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Niedersächsisches Landesamt für Denkmalpflege [Hrsg.]; Institut für Denkmalpflege [Hrsg.]
Arbeitshefte zur Denkmalpflege in Niedersachsen: Der Hildesheimer Zentralfriedhof — Hannover: Niedersächsisches Landesverwaltungsamt, Heft 17.1998

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Geschichte und Konzeption des Hildesheimer Zentralfriedhofes
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https://doi.org/10.11588/diglit.51148#0009
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Geschichte und Konzeption des Hildesheimer Zentralfriedhofes

Die Anfänge
Nur wenige Gehminuten vom Hildesheimer Hauptbahnhof ent-
fernt erstreckt sich abseits des hektischen Lebens der mit Rats-
entscheid 1886 in Angriff genommene einstige Zentral- und heu-
tige Nordfriedhof der Stadt. Obwohl zu drei Seiten die Wohn-
quartiere und breiten Straßenzüge der modernen Nordstadt an-
grenzen, bietet er dennoch eine Oase der Ruhe und Besinnung,
wie dies vor gut einhundert Jahren von den Stadtvätern für not-
wendig erachtet wurde, als sie auf der Suche nach „...guten Plät-
zen..." nach Orten fernab von Spiel- und Vergnügungsplätzen
Ausschau hielten.5 Entstehungs- und entwicklungsgeschichtlich
entspricht der Friedhof im vollem Maße den typischen Bestrebun-
gen dieser Zeit, angesichts der sprunghaft ansteigenden Bevölke-
rungszahlen abseits gelegene sowie raumgreifende Zentralfried-
höfe einzurichten, um der ringartigen Einschnürung durch eine
Vielzahl kleinerer Friedhöfe rund um das innere Stadtterrain
deutlich Einhalt zu gebieten. Als Argument wurde immer wieder
deren „störender" Eindruck und Eigenart, in so unschöner Art
das freundliche Bild der Stadt zu beeinträchtigen6, betont. Es ist
daher kaum zu leugnen, daß der werdenden Großstadt des en-
denden 19Jh. die vertraute Nähe zu den inneren Bestattungs-
plätzen verlorengegangen war und stattdessen nicht selten die
Angstvision dominierte, zu „...einer Stadt der Friedhöfe zu wer-
den"7. Vergleichbare Entwicklungen zeigen sich annähernd über-
all im Land wie auch im benachbarten Hannover, wo man die in-
nerstädtischen Kirchfriedhöfe bereits 1738 zugunsten des 1741
angelegten Gartenfriedhofes aufgab, bevor man mit der Konzep-
tion der Engesohde (1864 eröffnet) auch hier dem großflächigen
Kommunalfriedhof Vorrang einräumte.
Nur wenige Jahre später wurde in Hildesheim dem Bau eines
neuen Zentralfriedhofs nördlich der Stadt an der Landstraße nach
Peine stattgegeben (Abb. 1), da der ebenfalls außerhalb gelegene
Hildesheimer Marienfriedhof zur gleichen Zeit kaum mehr erwei-
terbar erschien. Dabei entspricht diese Anordnung dem Drang
der Zeit, die vermeintlichen gesundheitlichen Risiken eines Fried-
hofes möglichst gering zu halten und über nördliche Rand- oder
Außenlagen zu reduzieren8.
Der Friedhof „Hinter der Bahn"
Allein aus diesem Grund kamen für die Lageanordnung des neu-
en Zentralfriedhofes nur sehr wenige Standpunkte im Norden der
Stadt in Betracht, die sich angesichts des bereits bestehenden In-
dustriegeländes, des ausgebauten Siedlungsterrains und der ver-
kehrstechnisch notwendigerweise möglichst günstigen Anbin-
dung auf wenige ausgewählte Bereiche konzentrierten. Den Zu-
schlag erhielt schließlich ein weitläufiges Gelände an der Peiner
Straße (Gesamtgröße: „10 ha 47 ar"9), das sich damals im Besitz
des Senators Schwemann befand, wodurch sich die „...Verkaufs-
modalitäten wesentlich vereinfachten"10. Die Anordnung am
Rande der Nordstadt war jedoch keineswegs zufällig oder nur
aus gesundheitlichen Aspekten heraus begründet11; vielmehr ori-
entierte sie sich an einem städtischen Gebiet, das alle oben ge-
nannten Faktoren erfüllte und sich darüber hinaus in angemesse-
ner Entfernung „...vom Mittelpunkt der Stadt..."12 befand. So
werden in der Preußischen Landesaufnahme (1898) nördlich der
in ihrer heutigen Führung erst 1884 angelegten Bahnlinie zahlrei-
che Gebäudefunktionen genannt, die das Nordstadtquartier als
ein insgesamt industriell geprägtes Gewerbegebiet mit aufstei-
gender Tendenz ausweisen (Abb. 2): Neben der städtischen Lade-
mühle und Zuckerraffinerie (1883), dem städtischen Schlachthof
(1890), der Gasanstalt (1861) und dem Elektrizitätswerk (1904)
befanden sich hier weiterhin die große Maschinenfabrik Gebr.

Emst (1884), die Sparherdfabrik Senking (1901-03), die chemi-
sche Fabrik Ammonia (Gebr. Propfe; 1902) und die Hildesheimer
Aktien-Brauerei (1891). Zahlreiche kleinere Werkstätten und Spe-
zialbetriebe wie Farben-, Stock-, Armaturen- und Textilfabriken,
Glashütten, Kontore und Druckereien ergänzten das Bild eines le-
bendigen Arbeiterquartiers, das trotz seiner hier ansässigen lokal
bedeutsamen Produktionsbetriebe eine sozial untergeordnete
Bedeutung behielt.
Über die Sozialstruktur der Nordstadt berichtet sehr eindrucks-
voll eine Schriftquelle aus dem Jahr 1907: „Als ich am 15. Juni
1907 als 3. Pastor an St. Andreas in Hildesheim eingeführt war,
übertrug man mir den Nordbezirk „Hinter der Bahn" [...]. Es han-
delte sich damals um eine völlig ungeordnete, auch baulich ver-
nachlässigte Vorstadt. Für die damals etwa 6000 Menschen hin-
ter der Bahn gab es keine Schule, keinen Arzt, keine Apotheke
und kein Pfarrhaus [...]"13. Demnach wurde gezielt nach einer
vorstädtischen, sozial untergeordneten Stadtlage gesucht, da
eine derartige Friedhofsanlage die Hildesheimer Bürgerschaft we-
der störte noch bedrückte und zugleich vom Ausbau der Ausfall-
straßen und der Straßenbahnführung profitierte. Obwohl sich
damit also eine bewußte Integration in ein minderwertiges Arbei-
terviertel verband, ließen sich nicht nur zahlreiche der hier ansäs-
sigen wohlhabenden Fabrikanten, sondern auch Senatoren und
Geheimräte auf dem Zentralfriedhof bestatten und die Erbbestat-
tungen ihrer Familien mit z. T. prachtvollen Monumenten und
Gruftanlagen versehen. Es liegt daher nahe, den modernen Zen-
tralfriedhof ungeachtet seiner dezentralen, nördlichen Randlage
als einen autarken und völlig losgelösten Bezirk zu umschreiben,
der in seiner herausgehobenen Wertigkeit als solcher auch ver-
standen wurde, auch wenn er rein entstehungsgeschichtlich in
engem Zusammenhang mit seiner Umgebung zu bewerten ist.
Die Konzeption des Zentralfriedhofes:
Gestaltungsidee und Vorbild
Das Friedhofsareal wurde ungeachtet seiner projektierten Ge-
samtgröße von 40 Morgen zunächst nur in einem ausgewählten
kleineren Bereich an der Peiner Straße planiert und begrünt, um
eine baldige Belegung an dieser Stelle zu beschleunigen14. Die
Ausbauarbeiten der Gesamtfläche zogen sich jedoch vermutlich
noch einige Jahre hin, bis das angekaufte Areal nach den Gestal-
tungsplänen des Hamburger Gartendirektors W. BenqueK abge-
steckt und nach dessen Entwürfen gestaltet war. Dementspre-
chend zeigt die noch vor Abschluß der Gartenarbeiten durchge-
führte Preußische Landesaufnahme (1886-1889) die bis dato nur
einseitige Führung großzügig geschweift angelegter Wege ent-
lang eines langgestreckten, apsidial abschließenden Zentralplat-
zes (Abb. 2)16, welcher durch drei Parallel-, zahlreiche Querwege
und einen rautenförmigen Zentralplatz aufgelockert wurde. Ob-
wohl heute nicht mehr auf den ersten Blick ersichtlich, lag der
ursprünglichen Konzeption des Friedhofes die etwas reduzierte
Form eines Landschaftsgartens zugrunde (Abb. 3), wie dies in
allerdings wesentlich reiferer Form u. a. den annähernd zeitglei-
chen Stoffeiner Friedhof in Düsseldorf (1883) prägt. Insgesamt
spricht die geometrische Form, welche sich auch in den Karees
der Bestattungsbereiche, den markanten Sichtachsen und rah-
menden Alleen des Rundweges niederschlägt, zusammen mit der
geschwungenen Führung der äußeren Seitenwege für eine Art
„Gemischten Stil" (eine Kombination aus geometrischer Zentral-
anlage und großzügigem Landschaftsgarten), der-nach den bei-
den maßgeblichen Verfechtern dieser Konzeption auch als
Lenne-Meyerscher Stil bezeichnet17 - in Ansätzen bereits in priva-
ten Gartenanlagen des späten 18Jh. zu beobachten ist18. Anders
als es allerdings die Rahmenbedingungen privater Gärten erlau-

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