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Niedersächsisches Landesamt für Denkmalpflege [Editor]; Institut für Denkmalpflege [Editor]
Arbeitshefte zur Denkmalpflege in Niedersachsen: Der Hildesheimer Zentralfriedhof — Hannover: Niedersächsisches Landesverwaltungsamt, Heft 17.1998

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Todesrezeption und Totengedenken in Grabsentenzen des späten 19. und beginnenden 20. Jh.
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https://doi.org/10.11588/diglit.51148#0022
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„Im Grabe Ruh, im Leben Schmerz, o schlummre sanft
du treues Herz"
Hartmann E 13 (1908)
[Rth 1,17]

„Wo Du hingehst
da will auch ich hingehn
Dein Gott ist mein Gott
Wo Du begraben liegst
da will auch ich begraben sein"
Hartmann E 13 (1908)
[Rth 1,17]

„Auf Wiedersehen"
Barttlingck E 14 (1908)
Neben der verinnerlichend-leidenden Kontemplation, die vor al-
lem gegen Ende des Jahrzehnts immer deutlichere Züge an-
nimmt, dominiert jedoch nach wie vor der gefestigte Positivis-
mus, der allerdings einem allmählichen Ausdruckswandel unter-
worfen scheint; obwohl er die impulsive Leidenschaft der persön-
lichen Neigungen zeitgenössischer nichtbiblischer Äußerungen
noch nicht erreicht, hat er sich von der ausgesprochen glaubens-
gebundenen Haltung, wie sie noch das ausgehende 19.Jh. reprä-
sentiert, um so deutlicher distanziert. So zeigen die Zitate
„Nun aber bleibt Glaube, Hoffnung, Liebe diese drei, aber die
Liebe ist die größte unter ihnen"85
HöltjeV 6 (1905)
[1 Kor. 13,13]

„Ich lebe
und ihr sollt auch leben".
Hoppe H 22-24 (1910)
[Jh 14,19]

„Die mit Tränen säen werden Freuden ernten"
Lindemann A 7/8 (1910)
[Ps 126, 5]

„Haltet mich nicht auf
denn der Herr hat Gnade
zu meiner Reise gegeben"
Lindemann A 7/8 (1910)
[nach I Mo 24,21]

eindeutig das Widerstreben, den geliebten Menschen endgültig
gehen zu lassen („Haltet mich nicht auf..."); der Trauer („...Trä-
nen...") wird nunmehr deutlicher Ausdruck gegeben, dem Glau-
ben der stärkere Wert der Liebe („...Die Liebe ist die größte..."),
dem Tod das lebensbestimmende Bedürfnis des Einander-Wie-
dersehens gegenübergestellt („...auch leben"). Weniger offen-
sichtlich, aber dennoch ähnlich gerichtet verhält es sich bei dem
Zitat aus den Versen Hiobs,

„ich glaube daß
mein Erlöser lebt"
Leverkühn III 47/48 (1905)
[Hi 19, 25]

welches in dieser Wendung nur vordergründig starke Glaubens-
anbindungen demonstriert, insofern das wörtliche Zitat („Ich
weiß, daß mein Erlöser lebt") eine weitaus überzeugtere Hal-
tung, regelrechtes Wissen statt vages Glauben, wiedergibt:

„[...] ich weiß das mein Erlöser lebt [...]. Als der letztre wird er
über dem Staube sich erheben"
Chassee F 3 (1910)
[Hi 19, 25]

Dieses Zitat bindet somit an die dritte Gruppierung zeitgleicher
Grabsentenzen an, welche in traditionellen Bibelsprüchen noch
einmal die positivistisch-gelassene Glaubensform tradiert:
„Siehe, ich bin bei
Euch alle Tage
bis an der Welt Ende"
Lindemann A 7/8 (1910)
[Matt. 28, 20]
„Selig sind die Toten, die in dem Herrn sterben von nun an. Ja
der Geist spricht, dass sie ruhen von ihrer Arbeit denn ihre Werke
folgen ihnen nach"
Chassee F 3 (1910)
[Off. 14,13]
„Von nun an, spricht der Geist,
sollen sie ruhen von ihren
Mühen, denn ihre Werke
folgen ihnen nach"
Senking M 2 (1904) (Abb. 15)
[Off. 14,13]
„Tut mir auf die Tore der Gerechtigkeit,
daß ich durch sie einziehe und dem Herrn danke"
Blume 41/42 (1905)
[Ps 118, V 19]

Die Trauer als Form des Selbstmitleides
Für die Zeit nach 1910 ist ein deutlich erstarkendes persönliches
Empfinden und somit eine bislang unbekannte Form von Indivi-
dualität nachzuvollziehen. Der moderne Mensch der Vorkriegs-
zeit erkennt bald den Grund seines Leidens, den wichtigsten le-
bensbestimmenden Faktor - die Zeit -, den er mit unterschwelli-
ger Wehmut beschreibt und dessen Erkenntnis mit einer Steige-
rung der Verdrängungstendenzen parallel verläuft. Zugleich wird
der sehr deutlichen Erkenntnis der zeitlichen Begrenzung
menschlichen Daseins nur hoffend die Erwartung eines Fortle-
bens gegenübergestellt, die nun eine deutlich spürbare Distanz
zum Glauben als Lebensgrundlage offenbart; seine Wertschät-
zung resultiert vor allem aus den Erwartungen und Hoffnungen
ewigen Lebens, deren Gewißheit man sich versichern will. Es
scheint daher ein Charakteristikum der Zeit zu sein, verstärkt auf
Bibelzitate zu verzichten und an deren Stelle emotionale Reime
als Ausdruck persönlichen Empfindens anzuführen.
Als architektonisch-gestaltender Ausdruck dieses neuen Ge-
fühls, das erstmals nicht mehr als Kontemplation umschrieben
werden kann, sind die locker eingestreuten Brunnenplätze zu
verstehen, die-durch Baumbestand und Hecken abgegrenzt-
Möglichkeiten zum privaten Rückzug eröffnen und gleichzeitig
das Grab der Öffentlichkeit entziehen. Den Rückzugsgedanken
formuliert noch deutlicher die Konzeption des abseits gelegenen
Urnenhains, dessen tiefer gelegenes Becken inmitten eines dich-
ten Rhododendronbewuchses Abgeschiedenheit als Pathos insze-
niert (Abb. 17):
„Der Anfang das Ende o Herr sind Dein
Die Spanne dazwischen, die Spanne war mein"
Reuter O2 (1912) (Abb. 16)
„Wirke solange es Tag ist denn es kommt die Nacht
wo Du nicht mehr wirken
kannst"
Beste H 47-54 (1912)
[Jh 9,4]

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