Todesvorstellungen und -Sehnsüchten, so daß wir in dieser Zeit
vieles verwurzelt und niedergeschrieben finden, was in den kur-
zen Grabsentenzen des 20.Jh. nur unterschwellig anklingen
kann. So setzt Ph. Aries, der sich wie kaum ein anderer mit den
schriftlichen Formulierungen von Todesvorstellungen beschäftig-
te, diesen frühen Trend mit einem weiteren zeitgenössischen par-
allel, nämlich dem Verzicht auf testamentarisch-juristische Verfü-
gungen. Offensichtlich führte ein neues Empfinden zu vertrau-
ensvollen, aber um so beklagenswerteren Bindungen, sobald der
Tod in den Alltag einbrach. Fortan dominierte die Ambivalenz der
Trauer, die infolge unermesslichen Leides und verlorenen Glücks
das Verlangen nach dem Tod und dem ersehnten Wiedersehen
intensivierte112: „...Diese Zuneigung, die kultiviert und sogar ver-
herrlicht wurde, machte die Trennung durch den Tod schmerzli-
cher und lud dazu ein, sie durch die Erinnerung oder andere
mehr oder weniger konkrete Formen des Weiterlebens zu kom-
pensieren"113.
Deutlicher Niederschlag dieser Idee scheinen die zeitgleich
wiederauflebenden Grabbezirke gewesen zu sein, die eine Blüte-
zeit bis ca. 1850/60114, d. h. bis zum Ende der auch literarisch be-
legten „neuen Empfindsamkeit" und erneut zu Beginn unseres
Jahrhunderts erlebten. Wurden die umgrenzten Grabstätten der
1830-60er Jahre jedoch v. a. aus dem Wunsch romantischer Ge-
fühle heraus bestimmt, so wurden sie im 20.Jh. von überaus sen-
timentalem und v. a. selbstbezogenem Mitleid getragen, infolge-
dessen die einstige „heilige Stätte" zum regelrechten Aufent-
haltsbereich ausgestattet wurde. Zwangsläufig war mit der Um-
zäunung des tabuisierten Ortes ein intimer Rückzugsbereich ge-
schaffen, der durch Bänke, Buketts und angemessene Bepflan-
zung als privates Refugium melancholisch-hilfloser Neigungen
gestaltet wurde und dabei zuweilen die Form einer sakralisierten
Architektur annahm.
Vergegenwärtigen wir uns die vorab beschriebenen Entwicklun-
gen, so wird deutlich, daß sich die wandelnden Gefühle und Vor-
stellungen einer Zeit zwar primär im Wort einer Grabesinschrift,
aber auch in der Gestaltung des Landschaftsrahmens und der
Vorliebe für bestimmte Grabgestaltungen niederschlugen, wobei
diesen neben dem Grab(denk-)mal auch die Flächenausgestal-
tung als umgrenzter Bezirk beigeordnet werden muß. Entspre-
chend stieg zu Beginn des 20.Jh. mit den erstarkenden Verlust-
bezeigungen der Hinterbliebenen auch die Zahl neueingerichte-
ter Grabbezirke schwunghaft an, wobei sie um die Jahre 1907
bis 1920 zwangsläufig einen regelrechten Höhepunkt erlebten.
Daß in dieser Zeit auch der weitläufige landschaftliche Friedhof
der 1880er Jahre durch zahlreiche Binnenplätze strukturiert und
diese als tabuisierte Orte dem Kollektivbereich entzogen wurden,
deckt sich mit der Erscheinung der Grabbezirke, insofern beide
als Ausdruck eines bewußt angestrebten Raum- und Rückzugs-
gefühls einzustufen sind.
Auch der Trauernde des späten 19.Jh. war auf das Grab und
vor allem die Grabpflege konzentriert; wir konnten jedoch klar
erkennen, daß er weniger den Rückzug und das selbstbezogene
Mitleid als vielmehr die bewußte Erfahrung von Trauer suchte, in-
dem er über die gärtnerisch-labyrinthische Gestaltung des Fried-
hofs auch den Leidensweg des Lebens abschritt. Andersherum
erlebten wir in den vierziger Jahren erneut den Trend zur Monu-
mentalität, der auch aus Platzmangel kaum mehr private einsame
Zonen beließ; statt traditioneller Grabbezirke lebt nunmehr das
Grabfeld, die dichte Struktur enger Grabreihen auf, die ihre mar-
kanteste Form in den Ehrenfriedhöfen dieser Zeit erreicht; die
kollektive Trauer wird jetzt in endlosen Grabsteingruppierungen
und monumentalen Wegeachsen ablesbar, die nur in der kon-
zentrierten Dichte der Bestattungsflächen ein Gefühl von Ge-
meinsamkeit evozieren kann.
23 Floral interpretiertes Gitter auf dem Grabbezirk der Familie Hampel-
mann (Abt. XIII.II a).
24 Sitzbank auf dem Grabbezirk der Familie Senking (Abt. M 2)
25 Reihung repräsentativer Erbbegräbnisse entlang des Apsidialrundweges.
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vieles verwurzelt und niedergeschrieben finden, was in den kur-
zen Grabsentenzen des 20.Jh. nur unterschwellig anklingen
kann. So setzt Ph. Aries, der sich wie kaum ein anderer mit den
schriftlichen Formulierungen von Todesvorstellungen beschäftig-
te, diesen frühen Trend mit einem weiteren zeitgenössischen par-
allel, nämlich dem Verzicht auf testamentarisch-juristische Verfü-
gungen. Offensichtlich führte ein neues Empfinden zu vertrau-
ensvollen, aber um so beklagenswerteren Bindungen, sobald der
Tod in den Alltag einbrach. Fortan dominierte die Ambivalenz der
Trauer, die infolge unermesslichen Leides und verlorenen Glücks
das Verlangen nach dem Tod und dem ersehnten Wiedersehen
intensivierte112: „...Diese Zuneigung, die kultiviert und sogar ver-
herrlicht wurde, machte die Trennung durch den Tod schmerzli-
cher und lud dazu ein, sie durch die Erinnerung oder andere
mehr oder weniger konkrete Formen des Weiterlebens zu kom-
pensieren"113.
Deutlicher Niederschlag dieser Idee scheinen die zeitgleich
wiederauflebenden Grabbezirke gewesen zu sein, die eine Blüte-
zeit bis ca. 1850/60114, d. h. bis zum Ende der auch literarisch be-
legten „neuen Empfindsamkeit" und erneut zu Beginn unseres
Jahrhunderts erlebten. Wurden die umgrenzten Grabstätten der
1830-60er Jahre jedoch v. a. aus dem Wunsch romantischer Ge-
fühle heraus bestimmt, so wurden sie im 20.Jh. von überaus sen-
timentalem und v. a. selbstbezogenem Mitleid getragen, infolge-
dessen die einstige „heilige Stätte" zum regelrechten Aufent-
haltsbereich ausgestattet wurde. Zwangsläufig war mit der Um-
zäunung des tabuisierten Ortes ein intimer Rückzugsbereich ge-
schaffen, der durch Bänke, Buketts und angemessene Bepflan-
zung als privates Refugium melancholisch-hilfloser Neigungen
gestaltet wurde und dabei zuweilen die Form einer sakralisierten
Architektur annahm.
Vergegenwärtigen wir uns die vorab beschriebenen Entwicklun-
gen, so wird deutlich, daß sich die wandelnden Gefühle und Vor-
stellungen einer Zeit zwar primär im Wort einer Grabesinschrift,
aber auch in der Gestaltung des Landschaftsrahmens und der
Vorliebe für bestimmte Grabgestaltungen niederschlugen, wobei
diesen neben dem Grab(denk-)mal auch die Flächenausgestal-
tung als umgrenzter Bezirk beigeordnet werden muß. Entspre-
chend stieg zu Beginn des 20.Jh. mit den erstarkenden Verlust-
bezeigungen der Hinterbliebenen auch die Zahl neueingerichte-
ter Grabbezirke schwunghaft an, wobei sie um die Jahre 1907
bis 1920 zwangsläufig einen regelrechten Höhepunkt erlebten.
Daß in dieser Zeit auch der weitläufige landschaftliche Friedhof
der 1880er Jahre durch zahlreiche Binnenplätze strukturiert und
diese als tabuisierte Orte dem Kollektivbereich entzogen wurden,
deckt sich mit der Erscheinung der Grabbezirke, insofern beide
als Ausdruck eines bewußt angestrebten Raum- und Rückzugs-
gefühls einzustufen sind.
Auch der Trauernde des späten 19.Jh. war auf das Grab und
vor allem die Grabpflege konzentriert; wir konnten jedoch klar
erkennen, daß er weniger den Rückzug und das selbstbezogene
Mitleid als vielmehr die bewußte Erfahrung von Trauer suchte, in-
dem er über die gärtnerisch-labyrinthische Gestaltung des Fried-
hofs auch den Leidensweg des Lebens abschritt. Andersherum
erlebten wir in den vierziger Jahren erneut den Trend zur Monu-
mentalität, der auch aus Platzmangel kaum mehr private einsame
Zonen beließ; statt traditioneller Grabbezirke lebt nunmehr das
Grabfeld, die dichte Struktur enger Grabreihen auf, die ihre mar-
kanteste Form in den Ehrenfriedhöfen dieser Zeit erreicht; die
kollektive Trauer wird jetzt in endlosen Grabsteingruppierungen
und monumentalen Wegeachsen ablesbar, die nur in der kon-
zentrierten Dichte der Bestattungsflächen ein Gefühl von Ge-
meinsamkeit evozieren kann.
23 Floral interpretiertes Gitter auf dem Grabbezirk der Familie Hampel-
mann (Abt. XIII.II a).
24 Sitzbank auf dem Grabbezirk der Familie Senking (Abt. M 2)
25 Reihung repräsentativer Erbbegräbnisse entlang des Apsidialrundweges.
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