Ludwig Münstermann und das Rodenkirchener Altarretabel
4 Hendrik Goltzius: Gustus/Geschmack, Kupferstich 1578.
wird darüber hinaus der Name des Malers, „M. Achille von aus-
burgk" überliefert.42 Die Münstermann-Kanzel für Eckwarden aus
dem Jahre 1623 wurde von dem in Oldenburg vielbeschäftigten
Künstler Johann Kirchring gefaßt.43 Auch für andere Bildwerke
des 17. Jahrhunderts ist die unabhängige Verdingung von Bild-
hauer und Faßmaler überliefert, was dem mittelalterlichen Ge-
brauch weitgehend entsprach.44
Da die Werke häufig aus Geldgründen nicht sofort gefaßt
wurden, gehörte es schon im Mittelalter zu den Gepflogenheiten,
daß der Bildhauer sein Werk für die Zeit bis zur endgültigen Fassung
mit einem Schutzüberzug aus Leim als „interimistische Fassung"
versah.45 Dieser Leimüberzug ist auch für den Altar in Rodenkirchen
zunächst als Schutzmaßnahme für den Transport von Hamburg
zum Aufstellungsort Rodenkirchen zu verstehen.46 Die Differenzie-
rung in unterschiedliche Farbtöne legt aber nahe, daß Münster-
mann eine möglicherweise lange Zeit bis zur endgültigen Fassung
für nicht unwahrscheinlich hielt und sein Werk aus diesem Grund
nicht roh und ungeschützt, nicht „unfertig" wirken lassen wollte,
und deshalb mit dem differenzierten Leimüberzug auch ein ange-
nehmes Erscheinungsbild des Altares im Kirchenraum anstrebte.
Abschließend wird die Frage kaum zu beantworten sein, ob es
sich dabei möglicherweise nicht nur um eine temporäre Fassung
handelte.
Ludwig Münstermann -
Grundlagen der künstlerischen Gestaltung
Druckgraphik als Vorlage
Anders als in der mittelalterlichen Kunst kann man seit dem
16. Jahrhundert nicht mehr davon ausgehen, daß die Ähnlichkeit
eines Kunstwerks mit einem anderen, älteren in einer anderen
Region darauf schließen läßt, der Künstler hätte dieses ältere
Werk gekannt. Stilvergleiche als eindeutige Hinweise auf eindeu-
tige Vorbilder, auf Ausbildungswege und Stationen der Wander-
schaft fallen mit dem Zeitpunkt fort, in dem die Druckgraphik eine
Verbreitung bedeutender Kunstwerke ermöglicht.47 Deshalb sind
vor allen anderen Einflüssen auf den Künstler die in seiner Werk-
statt verwendeten Vorlagenblätter zu ermitteln. Den großen Be-
stand an Druckgraphik des 16. und frühen 17. Jahrhunderts darauf
hin zu untersuchen, welche Blätter dem Künstler als Anregung
oder direkte Vorlage gedient haben, ist weiterhin ein Forschungs-
desiderat. Einzelne Belege für die Verwendung von gedruckten
Bildmotiven oder Ornamentvorlagen weisen jedoch nach, daß
auch Ludwig Münstermann sich den Gepflogenheiten der Zeit
entsprechend der Vorlagenbücher und Kunstreproduktionen be-
dient hat, um daraus seine eigenen Werke zu komponieren (Abb.
3 und 4).48
In der Kunst des 16. und 17. Jahrhunderts wurde der Schaf-
fensprozeß durch das eklektische Zusammenfügen vorgeprägter
Bildelemente gekennzeichnet. Der Wert eines Kunstwerkes wurde
weniger durch eine selbständige Erfindung erreicht als durch die
Beherrschung des Materials, die Bewältigung der Form und durch
die Fähigkeit, graphische Vorlagen überzeugend in ein plastisches
Gebilde umzusetzen.49 Von einem Bildhauer ist überliefert, daß
sich in seinem Nachlaß 500 Vorlagenblätter befanden.50
Der großen Wertschätzung der Graphik im 16. und 17. Jahr-
hundert scheint die Bevorzugung der Bildhauerei gegenüber der
Malerei zu widersprechen. Tatsächlich wurden aber Gestaltungs-
elemente der Malerei für die wandgebundenen, flächigen Deko-
rationen übernommen. So war das Zentrum eines Altares oder einer
Kanzel nichts anderes als ein in Relief übertragenes Gemälde, was
sich fast zwangsläufig aus der Verwendung von druckgraphischen
Vorlagen bei der Konzipierung eines neuen Werkes ergab.51 Dabei
bilden Architektur, Figur und Ornament eine Einheit, in der „jedes
einzelne Element sein ursprüngliches Wesen aufgegeben" hat, so
daß „an die Stelle ihrer ursprünglichen, klar gegeneinander abge-
setzten Bedeutungen und Funktionen eine unbegrenzte Verwen-
dung jeglicher Bedeutung und Funktion in einem ornamentalen
Sinn getreten" ist.52
Für die Verwendung von graphischen Vorlagen gibt es ver-
schiedene direkte und indirekte Belege im Werk Münstermanns.53
Die Reihe der Beispiele sei eingeleitet mit der Figurengruppe des
Rodenkirchener Kanzelfußes: Sie kann in direkte Verbindung ge-
bracht werden zu dem Vorblatt einer in der Nachbargemeinde
Stollhamm befindlichen Bibel von 1614 aus Goslar, auf dem eben
diese Gruppe aus Mose, Adam und dem Täufer abgebildet ist
(Abb. 5, vgl. Abb. 10).54 Nachdem der Ursprung dieses Stiches in
den Gemälden Lucas Cranachs unter dem Titel „Gesetz und
Gnade" aus den Jahren 1529 und 1530 sowie den daran an-
knüpfenden Stichfolgen gefunden war, konnte auch das gesamte
Programm des Kanzelkorbes auf dieses theologische Konzept
zurückgeführt werden.55 Die thematische Anlage, und somit auch
deren erste künstlerische Konzeption durch Cranach, fand in ver-
schiedenen Werken Münstermanns Aufnahme. Bei der Bildkon-
zeption, die mit Martin Luther abgestimmt war, wurden Szenen
des Alten Bundes den typologisch entsprechenden des Neuen
Bundes gegenübergestellt. Das Epitaph in Eckwarden ist hier eben-
so anzuführen wie jene Altäre, an denen Mose und der Täufer eine
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4 Hendrik Goltzius: Gustus/Geschmack, Kupferstich 1578.
wird darüber hinaus der Name des Malers, „M. Achille von aus-
burgk" überliefert.42 Die Münstermann-Kanzel für Eckwarden aus
dem Jahre 1623 wurde von dem in Oldenburg vielbeschäftigten
Künstler Johann Kirchring gefaßt.43 Auch für andere Bildwerke
des 17. Jahrhunderts ist die unabhängige Verdingung von Bild-
hauer und Faßmaler überliefert, was dem mittelalterlichen Ge-
brauch weitgehend entsprach.44
Da die Werke häufig aus Geldgründen nicht sofort gefaßt
wurden, gehörte es schon im Mittelalter zu den Gepflogenheiten,
daß der Bildhauer sein Werk für die Zeit bis zur endgültigen Fassung
mit einem Schutzüberzug aus Leim als „interimistische Fassung"
versah.45 Dieser Leimüberzug ist auch für den Altar in Rodenkirchen
zunächst als Schutzmaßnahme für den Transport von Hamburg
zum Aufstellungsort Rodenkirchen zu verstehen.46 Die Differenzie-
rung in unterschiedliche Farbtöne legt aber nahe, daß Münster-
mann eine möglicherweise lange Zeit bis zur endgültigen Fassung
für nicht unwahrscheinlich hielt und sein Werk aus diesem Grund
nicht roh und ungeschützt, nicht „unfertig" wirken lassen wollte,
und deshalb mit dem differenzierten Leimüberzug auch ein ange-
nehmes Erscheinungsbild des Altares im Kirchenraum anstrebte.
Abschließend wird die Frage kaum zu beantworten sein, ob es
sich dabei möglicherweise nicht nur um eine temporäre Fassung
handelte.
Ludwig Münstermann -
Grundlagen der künstlerischen Gestaltung
Druckgraphik als Vorlage
Anders als in der mittelalterlichen Kunst kann man seit dem
16. Jahrhundert nicht mehr davon ausgehen, daß die Ähnlichkeit
eines Kunstwerks mit einem anderen, älteren in einer anderen
Region darauf schließen läßt, der Künstler hätte dieses ältere
Werk gekannt. Stilvergleiche als eindeutige Hinweise auf eindeu-
tige Vorbilder, auf Ausbildungswege und Stationen der Wander-
schaft fallen mit dem Zeitpunkt fort, in dem die Druckgraphik eine
Verbreitung bedeutender Kunstwerke ermöglicht.47 Deshalb sind
vor allen anderen Einflüssen auf den Künstler die in seiner Werk-
statt verwendeten Vorlagenblätter zu ermitteln. Den großen Be-
stand an Druckgraphik des 16. und frühen 17. Jahrhunderts darauf
hin zu untersuchen, welche Blätter dem Künstler als Anregung
oder direkte Vorlage gedient haben, ist weiterhin ein Forschungs-
desiderat. Einzelne Belege für die Verwendung von gedruckten
Bildmotiven oder Ornamentvorlagen weisen jedoch nach, daß
auch Ludwig Münstermann sich den Gepflogenheiten der Zeit
entsprechend der Vorlagenbücher und Kunstreproduktionen be-
dient hat, um daraus seine eigenen Werke zu komponieren (Abb.
3 und 4).48
In der Kunst des 16. und 17. Jahrhunderts wurde der Schaf-
fensprozeß durch das eklektische Zusammenfügen vorgeprägter
Bildelemente gekennzeichnet. Der Wert eines Kunstwerkes wurde
weniger durch eine selbständige Erfindung erreicht als durch die
Beherrschung des Materials, die Bewältigung der Form und durch
die Fähigkeit, graphische Vorlagen überzeugend in ein plastisches
Gebilde umzusetzen.49 Von einem Bildhauer ist überliefert, daß
sich in seinem Nachlaß 500 Vorlagenblätter befanden.50
Der großen Wertschätzung der Graphik im 16. und 17. Jahr-
hundert scheint die Bevorzugung der Bildhauerei gegenüber der
Malerei zu widersprechen. Tatsächlich wurden aber Gestaltungs-
elemente der Malerei für die wandgebundenen, flächigen Deko-
rationen übernommen. So war das Zentrum eines Altares oder einer
Kanzel nichts anderes als ein in Relief übertragenes Gemälde, was
sich fast zwangsläufig aus der Verwendung von druckgraphischen
Vorlagen bei der Konzipierung eines neuen Werkes ergab.51 Dabei
bilden Architektur, Figur und Ornament eine Einheit, in der „jedes
einzelne Element sein ursprüngliches Wesen aufgegeben" hat, so
daß „an die Stelle ihrer ursprünglichen, klar gegeneinander abge-
setzten Bedeutungen und Funktionen eine unbegrenzte Verwen-
dung jeglicher Bedeutung und Funktion in einem ornamentalen
Sinn getreten" ist.52
Für die Verwendung von graphischen Vorlagen gibt es ver-
schiedene direkte und indirekte Belege im Werk Münstermanns.53
Die Reihe der Beispiele sei eingeleitet mit der Figurengruppe des
Rodenkirchener Kanzelfußes: Sie kann in direkte Verbindung ge-
bracht werden zu dem Vorblatt einer in der Nachbargemeinde
Stollhamm befindlichen Bibel von 1614 aus Goslar, auf dem eben
diese Gruppe aus Mose, Adam und dem Täufer abgebildet ist
(Abb. 5, vgl. Abb. 10).54 Nachdem der Ursprung dieses Stiches in
den Gemälden Lucas Cranachs unter dem Titel „Gesetz und
Gnade" aus den Jahren 1529 und 1530 sowie den daran an-
knüpfenden Stichfolgen gefunden war, konnte auch das gesamte
Programm des Kanzelkorbes auf dieses theologische Konzept
zurückgeführt werden.55 Die thematische Anlage, und somit auch
deren erste künstlerische Konzeption durch Cranach, fand in ver-
schiedenen Werken Münstermanns Aufnahme. Bei der Bildkon-
zeption, die mit Martin Luther abgestimmt war, wurden Szenen
des Alten Bundes den typologisch entsprechenden des Neuen
Bundes gegenübergestellt. Das Epitaph in Eckwarden ist hier eben-
so anzuführen wie jene Altäre, an denen Mose und der Täufer eine
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