Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Niedersächsisches Landesamt für Denkmalpflege [Hrsg.]; Institut für Denkmalpflege [Hrsg.]; Königfeld, Peter [Bearb.]
Arbeitshefte zur Denkmalpflege in Niedersachsen: Das holzsichtige Kunstwerk: zur Restaurierung des Münstermann-Altarretabels in Rodenkirchen/Wesermarsch — Hameln: Niemeyer, Heft 26.2002

Zitierlink:
https://digi.ub.uni-heidelberg.de/diglit/adn_h26/0053
Lizenz: Creative Commons - Namensnennung - Weitergabe unter gleichen Bedingungen

DWork-Logo
Überblick
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
Ludwig Münstermann und das Rodenkirchener Altarretabel

Die Restaurierung des Altarretabels und der Chorausstattung
Peter Königfeld, Norbert Assmuth, Elke Behrens, Peter Butt, Wolfgang Hansmann

Restaurierungsgeschichte
Die Geschichte des Rodenkirchener Altarretabels ist - im Sinne
des Wortes - „bunt": mit mehreren, sehr unterschiedlichen
Fassungen hat sich im Laufe von knapp 400 Jahren seine Farb-
erscheinung, dem jeweiligen Zeitgeschmack oder der zeitgebun-
denen Vorstellung von Originalität entsprechend, verändert. Bei
der Konzipierung von Konservierungs- und Restaurierungsmaß-
nahmen mußte diese Entwicklung durch sehr sorgfältige Befund-
untersuchungen sowie Archivrecherchen1 berücksichtigt werden.
Zusammen mit den in den Kirchenakten überlieferten Daten zur
Farbgebung stellte die graue Untermalung der barocken Fassung
(Fassung 2) einen Glücksfall dar: sie trennte deutlich die älteren,
aus dem 17. Jahrhundert stammenden von den jüngeren und
ermöglichte so die klare stratigraphische Einordnung der verschie-
denen Schichten.
Fassung 1a von 1629 / 1630
Die exemplarische Untersuchung an einer ausgebauten Seiten-
wange (Stockwerk 2 Wange links)2 verdichtete 1996 die bereits
bei einer ersten Sondierung 19903 gewonnenen Hinweise, daß
man sich die Oberflächenerscheinung des Altares bei seiner Auf-
stellung 1629/1630 noch nicht polychrom vorstellen darf; bei der
Gesamtrestaurierung ab 1998 bestätigte sich dieser maltechnische
Befund. Danach erhielt das Retabel zunächst vor allem flächen-
deckend pigmentierte Leimüberzüge auf allen Holzteilen mit poly-
chromen Absetzungen in Teilbereichen.
Der Überzug konnte auch auf Flächen nachgewiesen werden,
die nach dem Zusammenfügen nicht mehr erreichbar waren (z.B.
2 I Säule 2, Basis); er bildet einen dünnen Film, kann daher auch
nicht von der Verleimung der Kompartimente stammen. Es muß
vorab offen bleiben, ob die Leimung nur zum Schutz der noch
nicht abschließend gefaßten Oberflächen oder als eine bewußt
eingesetzte erste Fassung gelten darf, die der Bildhauer seinem
Werk gegeben hat.
Eine Kartierung der am Altar verwendeten Holzarten (Abb. 1)
und der Vergleich mit anderen Bildwerken, beispielsweise dem
Altarretabel, dem Taufdeckel und der Kanzel in Schwei sowie
dem Orgelprospekt aus Rotenburg / Wümme (heute in Bremen,
Focke-Museum), zeigt, daß Münstermann seine Arbeiten mit sehr
sorgfältig geglätteten Oberflächen hergestellt hat, die grund-
sätzlich holzsichtig bzw. nicht polychromiert konzipiert zu sein
scheinen. Die Verwendung der dunkleren Eiche an den architek-
tonischen Teilen gegenüber der helleren Linde für Figuren, Me-
daillons usw. folgt eindeutig einer gestalterischen Absicht (Abb. 2).
Das Argument einer leichteren bildschnitzerischen Verarbeitbar-
keit des Weichholzes geht fehl, da viele Elemente auch in dem
Hartholz äußerst detailreich und minutiös durchgeformt sind.
Die Überzüge sollten offenkundig den Eindruck vermitteln,
daß drei Holzarten zum Einsatz gekommen seien: Die in Eichen-
holz gearbeiteten Partien waren mit einer dunkelbraunen Leim-
lasur überzogen, die Lindenholzteile dagegen mit einer rötlich
pigmentierten. Wie Ebenholz zeigten sich die Säulenschäfte und
Inschriftenfelder mit ihrer direkt auf das Holz aufgetragenen
schwarzen Schrift; ebenso ein Indiz dafür, daß Münstermann die
Farbigkeit des Retabels ganz bewußt vor Ort inszenierte wie die
Korrekturen in der „Geburt Christi" (1 m Bild <Geburt Christi>):
Dort ist die Hintergrundarchitektur in Linde geschnitzt, vermutlich

durch eine dunkelbraune Lasur aber optisch in Eiche verwandelt,
womit die Figurenstaffage deutlich hervorgehoben wird. Ähnliche
Farbkorrekturen konnten inzwischen an dem insgesamt aus Ei-
chenholz gefertigten Kanzelkorb in Apen nachgewiesen werden,
an dem die Figurenreliefs hell lasiert, ihre Nischen aber ebenholz-
farbig abgesetzt sind (Abb. 3).
Ob bereits in dieser Phase eine weitergehende Fassung ge-
plant worden ist, muß unbeantwortet bleiben. Daß das Retabel
als ein in der Oberflächenbearbeitung zwar vollendetes, aber
nicht fertiggestelltes Kunstwerk aufgefaßt worden ist, läßt sich
aber indirekt aus Unterlagen zur Errichtung des Altares in Berne
erschließen.4 Dieser wurde 1637/38 von dem Bildhauer Albrecht
Wulff nach dem Rodenkirchener Vorbild errichtet. Der Künstler
und die Vertreter der Kirchengemeinde fuhren dorthin: „Der Herr
Magister, Albrecht/Wulff, und einesteils Kirchgeschworene/
nach Rodenkirchen gewesen / aldar das Altar zu besichtigen".
Aber nicht dort, sondern im Münstermann-Altar in Hohenkirchen
fand man Anregung für die endgültige Fassung: „Den 7. May
nach Höehnkirchen ge= / wesen, umb das Altar zu besehen /
wie es gestaffieret".
Fassung 1b von 1638
Im Jahre 1630 stürzte der Südgiebel der Kirche ein. Der Sammel-
eifer für die benötigten Geldmittel für eine Reparatur war so groß,
daß auch eine Überarbeitung der Farbfassungen an Altarretabel
und Kanzel bis zum Jahre 1638 verwirklicht werden konnte: „Es
synd auch zwar das Altar und die Cantzel / vor diesem bericht er-
bawet und errichtet gewesen / weilen aber demselben stavierung
gahr nötig befunden / so haben die Eingepfarrte zue dessen be-
hufe von jedem / Jück 3 gr. Beygebracht / und gleich vorigem
Posten semtlich / dem Kirchgeschwornen Hinrich Dethmers /
eingehendigt... / Einnahme / 294 Rt. 62 ’Z> gr."5 „Außgab. /
Dahingegen hat der Kirchgeschworne Hinrich Dethmers / laut
produciertem ... specialim nahegelegten / Außgab zu behufe der
Kirchengebeute, / stafierung des Altars und predigtstuls / und
sonsten verwandt, womit der/Ausschuß friedlich gewesen, von
Anno / 1630 bis 1638. Beides inclusive in 8 / Jahren in Summa /
912 Rt. 2 'A gr.".6
Die Fassung von 1638 (Abb. 4) ergänzte den vorgegebenen
Bestand von 1629/30, wobei sie als eine Anreicherung, nicht
grundsätzliche Neukonzeption zu deuten ist: Vergoldungen und
Versilberungen, farbige Absetzungen und Inkarnate, die ebenfalls
ohne dickschichtige Grundierung direkt auf das Holz, die in wei-
ten Partien unberührt belassenen Leimüberzüge bzw. farbige Ab-
setzungen von 1629/30 aufgetragen wurden, lockerten nun die
eher strenge Erscheinung des weitgehend nicht polychromierten
Retabels auf. Profile, Gewandsäume, Profilstäbe und Ornamente
wurden vergoldet, einzelne Zonen der Architektur, beispielsweise
in der Bundeslade, mit einem Überzug in Ocker-Orange versehen.
Diamantsteine sowie einzelne Blüten erhielten auf Gold oder Silber
rote, blaue und grüne Lüster. Dabei wurden besonders die Edel-
steine reich differenziert gestaltet, von schlichtem Gelb bis zu rotem,
abschattiertem Lüster in grüner Einfassung. Die Farbigkeit der
Fruchtgehänge reichte von kupfergrünem Blattwerk bis zu dun-
kelrotem bzw. orangerotem Lüster auf Blattgold. Die Inkarnate
zeigen einen hellen, kühlen Ton mit rötlichen Höhungen, schwarze
Pupillen und Augenbrauen sowie rote Lippen. Die Haare der Putten
und einzelner Skulpturen waren vergoldet.

51
 
Annotationen