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Niedersächsisches Landesamt für Denkmalpflege [Editor]; Institut für Denkmalpflege [Editor]; Königfeld, Peter [Oth.]
Arbeitshefte zur Denkmalpflege in Niedersachsen: Das holzsichtige Kunstwerk: zur Restaurierung des Münstermann-Altarretabels in Rodenkirchen/Wesermarsch — Hameln: Niemeyer, Heft 26.2002

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Ludwig Münstermann und das Rodenkirchener Altarretabel

zu den verschiedenen Höfen Europas, eröffnen zahlreiche Mög-
lichkeiten, die künstlerischen Besonderheiten Münstermanns zu
erklären. Die zentrale Rolle kommt dabei den Besuchen Anton
Günthers am katholischen Kaiserhof in Prag und beim protestan-
tischen Kurfürsten von der Pfalz, Friedrich V., in Heidelberg zu.
Die Kurpfalz darf in diesem Zusammenhang als Vertreterin der
dritten Gruppe neben Lutheranern und Katholiken gelten, da sie
mit ihrem „Heidelberger Katechismus" von 1563 ihren eigenen
Weg gegangen war, der stark vom Calvinismus beeinflußt war.
Magisches Gedankengut prägte den Prager Kreis um Rudolph II.,
die Ausgleichstendenzen zwischen den Konfessionen wurden
am Heidelberger Hof - aller Wahrscheinlichkeit nach - von dem
lutherischen Prediger Johann Valentin Andreä gefördert, der zeit-
lebens von der Hoffnung auf „eine umfassend weltweite Lösung
der religiösen Krise" angetrieben wurde.70 Auch der Leibarzt des
katholischen Kaisers, Michael Meier (1568-1622), verfolgte das
Ziel, die religiösen Meinungsverschiedenheiten auszulöschen.71 In
dem Geheimbund der Rosenkreutzer fanden sich, ausgehend von
Heidelberg, die Anhänger dieses Gedankengutes zusammen. Wie
bei einem Geheimbund nicht anders zu erwarten, ist eine Mit-
gliederliste nicht überliefert, die Auskunft darüber geben könnte,
ob die Oldenburger und Delmenhorster Grafen als Auftraggeber
Münstermanns dazu gehörten.72
Münstermanns Werke für Rodenkirchen
Der Altar von 1629
Der 1618 in Auftrag gegebene Altar (Abb. 6) wurde im Jahr
1629 aufgestellt und ist mit einem Meisterschild zwischen zwei
Putten am Gesims oberhalb der Predella mit „Ludewick Munster-
man v. HB" - „ L. M. B." sowie gekreuzten Stecheisen hinter
einem Knüppel signiert.
Funktion
Die Funktion des Altarretabels ist direkt auf das Sakrament des
Abendmahls bezogen. Alle Darstellungen sind auf die Vermittlung
der Glaubensinhalte an die Gemeinde, aber besonders an die am
Abendmahl teilnehmenden Kommunikanten ausgerichtet.73 In der
Mittelachse des Altares sind wesentliche Szenen aus dem Leben
Jesu übereinandergestellt: drei von neun Stationen des Leidens-
weges wurden für die theologische Aussage des Altares ausge-
wählt.74 In der Predella befindet sich ein Relief mit der Hirtenan-
betung, in den Postamenten flankiert von der Verkündigung an
Maria links und der Taufe Jesu im Jordan rechts.
Das Hauptgeschoß des Altares wird von einer vollplastischen
Abendmahlsdarstellung eingenommen, die von den Einsetzungs-
worten in flügelartig wirkenden Seitenhängen begleitet wird.
Flankiert wird das Abendmahl von zwei großen Standfiguren, von
denen eine den Kirchenpatron St. Matthäus darstellt, die andere
- mit einem Buch - als Apostel Paulus gilt. Die Apostel stehen
hier als Zeugen des Geschehens und als frühe Überlieferer. Ihnen
zugeordnet sind Luther und Melanchthon, die „jüngsten" Über-
lieferer der christlichen Lehre und hier besonders der richtigen
Abendmahlslehre. Aus diesem Grunde stehen auch die Einset-
zungsworte deutlich lesbar, die die Austeilung des Abendmahls
in beiderlei Gestalt, von Leib und Blut Christi, an die Gemeinde
verkünden. Abendmahlsdarstellungen sind untrennbar mit dem
Gedanken an die Stiftung des Sakraments verknüpft. Bei vorre-
formatorischen Darstellungen des letzten Mahls Christi mit seinen
Jüngern überwog aber die Wiedergabe der Verratsankündigung.75
An den Altären in den Grafschaften Oldenburg und Delmenhorst
ist die Gewichtung gegenüber der historischen Darstellung der

Verratsankündigung eindeutig auf den eucharistischen Aspekt
verlagert. Die Einsetzung des Gedächtnismahls, die Segnung des
Brotes und des Weines durch Christus, die Apostelkommunion
und die Austeilung des Altarsakramentes durch Christus an die
Jünger stehen im Vordergrund.76
Mit der deutlichen Hervorhebung des Abendmahls innerhalb
des Programms wird in Rodenkirchen - wie bei den Altären in
Hohenkirchen und Schwei - der Schwerpunkt des Altarprogramms
auf die Teilhabe der Gemeinde (oder der Gläubigen) am Abend-
mahl gelegt. Die Kreuzigung Christi ist hier in das Obergeschoß
des Altares gerückt. Diese Szene, die dem Gläubigen zeigt, daß
Christus durch seinen Opfertod die Gnade der Sündenerlösung
für jeden Menschen und die ganze Menschheit erworben hat, ist
eine notwendige Voraussetzung für die Abendmahlsdarstellung,
jedoch nachgeordnet. Einen anderen Schwerpunkt haben die Altar-
programme in Varel und Tossens. Hier wird der Heilserwerbung
mit der Betonung der Kreuzigung im Hauptgeschoß der Vorzug
gegeben, während die Teilhabe der Gläubigen daran mit einem
Relief in der Predella nachgeordnet erscheint. Daß die bildlichen
Darstellungen an den Altären Münstermanns als theologische
Lehrmittel aufgefaßt wurden, wird besonders am Altar in Hohen-
kirchen deutlich. Die Reliefs in den Postamenten der Predella zei-
gen jeweils einen Pastor, der hier einer Frau das Brot austeilt und
dort einem Mann den Wein spendet.
In Rodenkirchen war die Kreuzigungsszene - wie in Varel und
Tossens bis heute - von Mose und Johannes dem Täufer flankiert,
wie die Inschriften auf den Postamenten überliefern. Das mit
Luther abgestimmte theologische Programm der Cranach-Bilder
„Gesetz und Gnade", das auch den Ausgangspunkt für das Pro-
gramm der Kanzel bildet, ist hierfür maßgeblich.77
Form
Die Form des Altares besteht aus einer Reihe von Elementen, die
verschiedene Assoziationen ermöglichen und zu verschiedenen
Bezeichnungen geführt haben. Der äußere Umriß ist bewegt py-
ramidal. Von mittelalterlichen Altären ausgehend ist gerne von ei-
nem Schrein (mit der Abendmahlsdarstellung) und den Flügeln
gesprochen worden. In diesem Bild bleibend, wäre die Kreuzi-
gungszene und die Bekrönung mit dem Auferstandenen als Ge-
sprenge zu bezeichnen. Von den Einzelformen ausgehend er-
scheint es jedoch sinnvoller, die verwendeten Architekturelemente
in ihren architektonischen Bezeichnungen anzusprechen. Von der
zeitgenössischen Renaissancearchitektur ausgehend, würde man
den unteren Teil des Altares (die Predella) als hohen Sockel an-
sprechen. Wie ein Triumphbogen ist das darüber befindliche
Hauptgeschoß gebildet. Wie bei einer Serliana erhebt sich der
Bogen über den mittleren der beiden Säulen, so daß eine rund-
bogige von zwei rechteckigen Öffnungen flankiert wird. Die
Bogenöffnung gibt den Blick frei auf einen dreidimensionalen
Bühnenraum mit der Abendmahlsszene im Vorder- und der Bun-
deslade im Salomonstempel im Hintergrund. Das Architekturge-
schoß darüber wird von einem Kreuzigungsrelief eingenommen,
dessen Hintergrund geöffnet ist und das Gegenlicht aus dem
großen Chorfenster durchscheinen läßt. Bekrönt wird dieser von
Hermenpilastern flankierte architektonische Aufsatz von einem
gesprengten Giebel, auf dessen mittlerem Podest der Auferstan-
dene mit der Osterfahne steht.
Die Konstruktion, in die das theologische Programm eingebun-
den ist, ist mit architektonischen Formen überzogen, zu denen
nach dem zeitgenössischen Verständnis auch die Edelsteine, das
Beschlag-, Ranken- und Knorpelwerk gezählt wird. Den Architek-
turformen wurden von den Zeitgenossen Bedeutungen beigegeben.
So sind die Säulenordnungen bestimmten Aufgaben zugeordnet,
wie Münstermann klar berücksichtigt hat. Das Hauptgeschoß mit

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