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Niedersächsisches Landesamt für Denkmalpflege [Editor]; Institut für Denkmalpflege [Editor]; Königfeld, Peter [Oth.]
Arbeitshefte zur Denkmalpflege in Niedersachsen: Das holzsichtige Kunstwerk: zur Restaurierung des Münstermann-Altarretabels in Rodenkirchen/Wesermarsch — Hameln: Niemeyer, Heft 26.2002

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Anmerkungen zu Münstermann und seinem Werk

bildnerischen Mittel kaum eine andere Wahl, als die des Einbe-
zuges des abstrakten Wortes. P. Dell d. Ä. (um 1490-1552) hielt
das Gotteswort auf kleinen Täfelchen fest und „beschriftete"
damit die in einem Relief zusammengestellten Szenen verschie-
denen Inhaltes. Die ihm zugeschriebene Holztafel „Gesetz und
Evangelium" von 1529/30 bewahren die Kunstsammlungen zu
Dresden auf. In den Werken des Dresdner Zentrums sind die oft
von Engeln gehaltenen Inschrifttäfelchen recht häufig zu finden.
Sie künden zwischen etwa 1555 und 1590 ununterbrochen vom
Glaubensbekenntnis der Werkstifter. Gleich der Torgauer Schule
verwendeten die Freiberger Meister das Inschrifttäfelchen im Relief
nur selten. Es tritt in ihren Schöpfungen nach 1580 nicht mehr
auf. Das bedeutet nicht, dass sie seitdem in ihren Kompositionen
des erklärenden Bibelwortes nicht mehr bedurft hätten. Man „be-
schriftete" viel und überall, wo man nur konnte, im Gebälk, im
atmosphärischen Bereich über einer Landschaft, in der Bodenzone
unter stilllebenhaften Darstellungen von Blumen, Pflanzen, Steinen
und Baumstümpfen, aber auch rahmengleich um ein Reliefme-
daillon, in den Zwickeln über einer rundbogig geschlossenen Sze-
ne oder im Sockelstreifen (CranachWerkstatt) unter einem Relief.
Sehr lange, etwa bis 1620, ist die Beschriftung der Stirnseiten der
Postamente, die die Säulen der Hauptstaffel tragen, üblich. In kei-
nem der aufgezählten Beispiele hält eine vollplastische Engelfigur
die Inschrifttafel. Das Vorbild muss deshalb mehr im wappenhal-
tenden Engel (Abb. 8) oder im tafeltragenden Moses (Abb. 12)
vermutet werden. Unter Beachtung dieser Tatsache und des Um-
standes, dass die Inschrifttafel in der Lokalschule Freibergs um
1600 längstens nicht mehr gebräuchlich war, wird dem Schöpfer
der Engelchen ein gewisses Maß an Unbekümmertheit und auch
Genialität zu eigen gewesen sein.
Auf der Suche nach Vergleichbarem im Freiberger Umfeld
fielen zwei der Werkstatt F. Ditterichs d. Ä. zugeschriebene Be-
krönungsskulpturen in die engere Wahl. Es sind dies einmal eine
geschnitzte sitzende Mosesfigur (Abb. 12) und ein stehender in
Alabaster geschnittener Putto (Abb. 13). Beide entstanden wohl
in den Jahren zwischen 1600 und 1605. Franz Ditterich arbeitete
in Holz und Stein. Deshalb war er in seinem Berufsleben nicht ganz
alltäglichen Widrigkeiten ausgesetzt. Der bereits harte Konkurrenz-
kampf zwang die künstlerisch tätigen Steinmetzen, sich entschie-
den gegen einen Zuwachs von seifen der Schnitzer zu wehren,
weil diese bei ihrer Tradierung echten Künstlertums über das
größere Können verfügten. Es gelang den zahlenmäßig stärkeren
Meistern des Steines zeitweise, eine Bindungsverpflichtung Franz
Ditterichs d. Ä. an das Holz zu erwirken39. Aus solchen Drang-
salen fand das geplagte Talent einen Ausweg, indem es in Holz
äußerst geschlossen modellierte (Abb. 12) und mittels der Farb-
fassung Stein, Marmor oder Alabaster imitierte40. Im Steinwerk
brillierte es mit Feinheit und stellte sein ganzes Können unter Be-
weis (Abb. 13). Der Putto aus Schönpriesen (Kräsne Bfezno ) ist
dafür ein beredetes Beispiel. Von solchen „meisterlich-diploma-
tischen" Winkelzügen zeigt sich der Schnitzer der beiden Engel-
chen völlig unbeeindruckt. Er kannte das Werk von F. Ditterich
sicherlich genau und schnitzte seine Stücke in Anlehnung an das
ihn mehr überzeugende steinerne Vorbild. So ähnlich die Gesichter
der Freiberger Engelchen auch dem des Puttos von Schönpriesen
hinsichtlich der hohen gerundeten Stirn, des spitzen Näschens, des
kleinen Mundes, des feinen Kinns, der Lockenpracht u.a. auch
sind, die ausgewogene Kopfform des letzteren verrät den gewach-
senen Meister. Jung und frisch stehen die Köpfe der Engel dage-
gen, die auf kurzem Hals sitzend eher flach wirken.
Auch die Körper der Engel sind in einem ursächlichen Punkt
dem des Putto verwandt, ja sie spinnen den Faden des Übernom-
menen ein entscheidendes Stück weiter. Franz Ditterich d. Ä.
hatte bei aller aufrichtigen Ergebenheit in Gott4' persönlich lernen
müssen, dass nur mit gebündelter Willensstärke großem Ungemach


12 Brand-Erbisdorf, ev. Dorfkirche. Moses, Rest eines Schnitzaltares. Holz,
farbig gefaßt, um 1603, Franz Ditterich d.Ä. zugeschrieben.

13 Krésné Bfezno (Schönpriesen), Böhmen, Schloßkirche. Putto, Teil eines
Steinretabels. Alabaster, ungefaßt, um 1604, Franz Ditterich d. Ä. zugeschrieben


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