Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Winghart, Stefan; Niedersächsisches Landesamt für Denkmalpflege [Hrsg.]; Institut für Denkmalpflege [Hrsg.]
Arbeitshefte zur Denkmalpflege in Niedersachsen: Die Reichserntedankfeste auf dem Bückeberg bei Hameln: Diskussion über eine zentrale Stätte nationalsozialistischer Selbstinszenierung — Hameln: Niemeyer, Heft 36.2010

DOI Artikel:
Marszolek, Inge: Der Bückeberg - ein heterotoper Erinnerungsort
DOI Seite / Zitierlink:
https://doi.org/10.11588/diglit.51156#0073
Lizenz: Creative Commons - Namensnennung - Weitergabe unter gleichen Bedingungen
Überblick
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
Inge Marszolek

Der Bückeberg - ein heterotoper Erinnerungsort

69

3 Bombenflugzeuge über dem „Bückedorf", 1937.


cherische Seite des Regimes. Diese Form von Kampf-
spielen werden an historischen Orten in unterschiedli-
cher Weise aufgeführt, so z. B. wird im brandenburgi-
schen Genshagen der Sieg über die napoleonischen
Truppen unter Teilnahme der Bevölkerung nachge-
stellt und Flugschauen der Luftwaffen gehörten zum
Programm etwa der US-Streitkräfte in der alten Bun-
desrepublik.
In den ersten Jahren nach der nationalsozialistischen
.Machtergreifung' dürfte die Zurschaustellung militä-
rischer Macht in den Augen der Mehrheit der
Zuschauer eine willkommene Gelegenheit geboten
haben, nach der verheerenden Niederlage im Ersten
Weltkrieg die Wiedererweckung nationaler Größe zu
feiern. Dass zugleich etwa in Hameln15 oder in den
Städten und Dörfern, aus denen die Züge zum
Reichserntedankfest starteten, die Ausgrenzung der
Juden bereits praktiziert wurde - dieser Kontext dürf-
te nur von wenigen hergestellt worden sein.
Die Truppenvorführungen der Wehrmacht sind so vor
allem eine Demonstration der neuen nationalen Stär-
ke, und sie verweisen auf den Einbruch der Moderne
in das Land. So wird auf dem Bückeberg auch die
Versöhnung von Stadt und Land, von Moderne mit
dem Blut-und-Boden Mythos gefeiert. Diese Versöh-
nung von Gegensätzen geschah auf dem Bückeberg
mit dem deutlichen Verweis auf Zerstörung und Ver-
nichtung: Das ,Bückedorf', der Ort der Nicht-Einhei-
mischen, geht 1937 in Flammen auf. Diese Militarisie-
rung des Reichserntedankfestes ist nur eine Facette
einer Militarisierung der gesamten Gesellschaft, aber
auch des Bauernstandes. Die „Erzeugungsschlacht"

oder der Bauernsoldat als Kämpfer gegen den Bol-
schewismus oder als Schützer der „Scholle" wurde
auch auf Plakaten visualisiert. Diese Bemächtigung
durch den NS - Militarisierung und der Feier nationa-
ler Größe wie die quasi religiöse Inszenierung des
Führers als „Erlöser" - ist als „Widerlager" in diesen
Ort ebenso eingelagert. Insofern steht der Ort auch
für das Begehren, für eine libidinöse Sehnsucht auf
Teilhabe wie auch für die Angst und das Grauen, das
eben durch das Begehren der Teilhabe an der Macht
versucht wird zu bewältigen.
Bereits seit den 1980er Jahren gab es in der Histo-
riografie immer wieder Ansätze, die Formation der
NS-Volksgemeinschaft in den Blick zu nehmen. Bü-
cher wie das von Hans-Dieter Schäfer mit dem Titel
„Das gespaltene Bewusstsein"16 oder von Peter Rei-
chel über den „schönen Schein des Dritten Reichs"17
wie andere, die sich mit dem „Alltag" im National-
sozialismus beschäftigten18, waren hier Meilensteine.
Allerdings steht eine systematische Erforschung noch
aus - hier wird das niedersächsische Forschungs-
projekt zur NS-Volksgemeinschaft sicher wichtige
Erkenntnisse liefern.19 In den etablierten Gedenkstät-
ten allerdings - und das hat wiederum mit dem Ort,
dem ehemaligen KZ, zu tun, steht die Repräsentation
der ,NS-Volksgemeinschaft' eher im Hintergrund,
geht es doch in den ständigen Ausstellungen um die
Geschichte der Lager und das Leben und Sterben der
Häftlinge wie um die Täter. Auch die Beziehungen
zwischen Lager und der Bevölkerung in den umlie-
genden Orten sind nur unzulänglich erforscht und
entsprechend wenig ausgestellt.20
 
Annotationen