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Inge Marszolek
Der Bückeberg - ein heterotoper Erinnerungsort
Die zu entschlüsselnden Botschaften der
Landschaft
Eine „Entschlüsselung" der nationalsozialistischen
Geschichte des Bückebergs würde somit eine wichti-
ge Leerstelle auffüllen. Als „Schaukasten" des NS-Re-
gimes diente der Reichserntetag der Etablierung der
Volksgemeinschaft durch die Bereitstellung von emo-
tionalisierten Erlebnisräumen. Gerade weil die media-
len Bilder einer gleichgeschalteten Volksgemein-
schaft' in der Nachkriegsgesellschaft immer zugleich
Entlastungsbilder waren, scheint es umso notwendi-
ger, durch forschungsbasierte Aufklärung diese Bilder
auch als Propagandabilder des Regimes zu entschlüs-
seln. Darüber hinaus bietet dieser Ort die Möglichkeit,
die zumindest ambivalenten Vergemeinschaftungs-
potentiale von inszenierten, emotionalisierten Erleb-
nisräumen zu diskutieren. Allerdings ist davor zu war-
nen, Parallelen zu Pop-Konzerten allzu linear zu zie-
hen. Nicht Masseninszenierungen an sich stehen zur
Debatte - zu fremd dürften die Bilder vom Bückeberg
mit ihrer Performanz der volkstümlichen Bräuche etc.
Jugendlichen heute erscheinen - wohl aber die Inhal-
te und die Möglichkeiten der Instrumentalisierung.
Eine weitere Anschlussstelle ist, wie über die Bereit-
stellung von kollektiven Erlebnisräumen und deren
medialer Verbreitung, das Begehren, Teil von Macht
zu werden, gefördert wird. Wenn in diesen Inszenie-
rungen auch über Einschluss und Aussschluss verhan-
delt wird, so wird in diesen Vergemeinschaftungspro-
zessen - seien sie virtuell und medial transportiert
oder real erlebt - Identität konstruiert, die auf dem
Ausschluss anderer basiert. Dieses ist gerade für
Jugendliche vermittelbar, es gibt in diesen Gruppen-
prozessen, etwa in den Fußballstadien oder auf Kon-
zerten keine Unschuld. Gewalt ist hier immer-sei es,
dass sie spielerisch inszeniert wird, sei es, dass sie real
ausgeübt wird - potentieller Teil dieser Prozesse.
Eine große Bedeutung kommt der Decodierung von
durch den Nationalsozialismus produzierten Bildern
zu. Der Blick auf diese Bilder ist kein unschuldiger (ge-
nauso wenig wie der Blick des Fotografen oder ande-
rer Produzenten): Diese Bereitstellung von Bildern, die
„die Manifestationen von Größe und Geschichts-
mächtigkeit" dokumentierten,21 diente der Herstel-
lung von Bindekraft an das Regime. Wenn auf dem
Bückeberg Filmkulissen aufgebaut und zugleich Land-
schaft im Sinne der Größenfantasmen gestaltet und
illuminiert wurden, so wurde dies in den Wochen-
schauen und in der Printpresse medial vermittelt. Da-
bei verschwanden die Grenzen zwischen Inszenierung
und Realität, die „Volksgemeinschaft" wurde durch
die Bilder beglaubigt. In der Bilderflut, die heute zu
bewältigen ist, ist es immer wieder notwendig, auf die
Komplexität von Produktion, Verbreitung und Wir-
kungsweisen von Bildern hinzuweisen. Ein weiteres
Problem liegt auch in der zunehmenden Historisie-
rung: Bilder der NS-Masseninszenierungen erscheinen
für heutige Betrachter aus einer fernen Zeit - und
diese Bilder scheinen genau das zu zeigen. Die Irri-
tationen sind beruhigt - es bedarf der Information
und Aufklärung, um diese Beruhigung zu stören.
4 Teller zum Erntedankfest.
5 Abzeichen zum Erntedankfest des Jahres 1933.
Inge Marszolek
Der Bückeberg - ein heterotoper Erinnerungsort
Die zu entschlüsselnden Botschaften der
Landschaft
Eine „Entschlüsselung" der nationalsozialistischen
Geschichte des Bückebergs würde somit eine wichti-
ge Leerstelle auffüllen. Als „Schaukasten" des NS-Re-
gimes diente der Reichserntetag der Etablierung der
Volksgemeinschaft durch die Bereitstellung von emo-
tionalisierten Erlebnisräumen. Gerade weil die media-
len Bilder einer gleichgeschalteten Volksgemein-
schaft' in der Nachkriegsgesellschaft immer zugleich
Entlastungsbilder waren, scheint es umso notwendi-
ger, durch forschungsbasierte Aufklärung diese Bilder
auch als Propagandabilder des Regimes zu entschlüs-
seln. Darüber hinaus bietet dieser Ort die Möglichkeit,
die zumindest ambivalenten Vergemeinschaftungs-
potentiale von inszenierten, emotionalisierten Erleb-
nisräumen zu diskutieren. Allerdings ist davor zu war-
nen, Parallelen zu Pop-Konzerten allzu linear zu zie-
hen. Nicht Masseninszenierungen an sich stehen zur
Debatte - zu fremd dürften die Bilder vom Bückeberg
mit ihrer Performanz der volkstümlichen Bräuche etc.
Jugendlichen heute erscheinen - wohl aber die Inhal-
te und die Möglichkeiten der Instrumentalisierung.
Eine weitere Anschlussstelle ist, wie über die Bereit-
stellung von kollektiven Erlebnisräumen und deren
medialer Verbreitung, das Begehren, Teil von Macht
zu werden, gefördert wird. Wenn in diesen Inszenie-
rungen auch über Einschluss und Aussschluss verhan-
delt wird, so wird in diesen Vergemeinschaftungspro-
zessen - seien sie virtuell und medial transportiert
oder real erlebt - Identität konstruiert, die auf dem
Ausschluss anderer basiert. Dieses ist gerade für
Jugendliche vermittelbar, es gibt in diesen Gruppen-
prozessen, etwa in den Fußballstadien oder auf Kon-
zerten keine Unschuld. Gewalt ist hier immer-sei es,
dass sie spielerisch inszeniert wird, sei es, dass sie real
ausgeübt wird - potentieller Teil dieser Prozesse.
Eine große Bedeutung kommt der Decodierung von
durch den Nationalsozialismus produzierten Bildern
zu. Der Blick auf diese Bilder ist kein unschuldiger (ge-
nauso wenig wie der Blick des Fotografen oder ande-
rer Produzenten): Diese Bereitstellung von Bildern, die
„die Manifestationen von Größe und Geschichts-
mächtigkeit" dokumentierten,21 diente der Herstel-
lung von Bindekraft an das Regime. Wenn auf dem
Bückeberg Filmkulissen aufgebaut und zugleich Land-
schaft im Sinne der Größenfantasmen gestaltet und
illuminiert wurden, so wurde dies in den Wochen-
schauen und in der Printpresse medial vermittelt. Da-
bei verschwanden die Grenzen zwischen Inszenierung
und Realität, die „Volksgemeinschaft" wurde durch
die Bilder beglaubigt. In der Bilderflut, die heute zu
bewältigen ist, ist es immer wieder notwendig, auf die
Komplexität von Produktion, Verbreitung und Wir-
kungsweisen von Bildern hinzuweisen. Ein weiteres
Problem liegt auch in der zunehmenden Historisie-
rung: Bilder der NS-Masseninszenierungen erscheinen
für heutige Betrachter aus einer fernen Zeit - und
diese Bilder scheinen genau das zu zeigen. Die Irri-
tationen sind beruhigt - es bedarf der Information
und Aufklärung, um diese Beruhigung zu stören.
4 Teller zum Erntedankfest.
5 Abzeichen zum Erntedankfest des Jahres 1933.