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Winghart, Stefan; Niedersächsisches Landesamt für Denkmalpflege [Hrsg.]; Institut für Denkmalpflege [Hrsg.]
Arbeitshefte zur Denkmalpflege in Niedersachsen: Die Reichserntedankfeste auf dem Bückeberg bei Hameln: Diskussion über eine zentrale Stätte nationalsozialistischer Selbstinszenierung — Hameln: Niemeyer, Heft 36.2010

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Lucka, Wilhelm: Einführung
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https://doi.org/10.11588/diglit.51156#0010
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Einführung
Wilhelm Lucka

Die langjährige Diskussion um die Ausweisung des
Geländes der Reichserntedankfeste als Baudenkmal
auf dem Bückeberg bei Hameln berührt nicht nur
grundlegende Probleme des Umgangs mit den bauli-
chen und anderen dinglichen Zeugnissen des Natio-
nalsozialismus. Sie hat auch generelle Schwierigkeiten
in der Vermittlung von Denkmalausweisungen sicht-
bar werden lassen, auf die einzugehen sich lohnt.
Denkmalausweisungen werden üblicherweise aus der
wissenschaftlich begründeten und in internen Diskur-
sen gefestigten Sicht von Fachleuten getroffen. Dies
ist nach § 21 Nr. 2 des Niedersächsischen Denkmal-
schutzgesetzes explizit die Aufgabe des Niedersäch-
sischen Landesamtes für Denkmalpflege. Das Ober-
verwaltungsgericht Lüneburg hat mehrfach bestätigt,
dass in erster Linie das Landesamt dazu berufen und
auch befähigt ist. Es hat die Anforderung formuliert,
dass dessen Aussagen von einem „breiten Kreis von
Sachverständigen" getragen werden müssen. Gleich-
wohl hat es sich als notwendig erwiesen, dass Denk-
malausweisungen, um wirklich fruchtbar wirken zu
können, aktiv von einem anderen Personenkreis ge-
tragen werden müssen, seien es Eigentümer oder lo-
kale Entscheidungsträger. Diese wiederum haben
durch Ihr Leben und ihre Nutzung des Denkmals zu
diesem eine ganz spezifische Beziehung entwickelt, in
deren Kontext die „Aufnahme in das Verzeichnis der
Kulturdenkmale", so der Begriff des § 4 des Nieder-
sächsischen Denkmalschutzgesetzes, nicht unbedingt
verstanden wird. Häufig genug gehen sie zudem auch
von einem anderen Verständnis des Wortes „Denk-
mal" aus, das die Denkmalausweisung mit der Denk-
malsetzung im Sinne einer Auszeichnung aufgrund
einer positiven Würdigung gleichsetzt oder zumindest
assoziert. Vergegenwärtigen wir uns, wie sehr Spra-
che strukturell unser Denken und Handeln bestimmt,
so wird klar, dass Konflikte dabei nicht immer ausblei-
ben können.
„Die populäre Erwartung, dass Denkmalpflege dem -
aus Sicht der Gegenwart - historisch Vorbildlichen
oder doch wenigstens dem historisch Wünschenswer-
ten vorbehalten sei oder sich gar auf das künstlerisch
Wertvolle zu konzentrieren habe, sieht in Denkmal-
eintragungen von Objekten der NS-Zeit leicht eine Art
verspäteter Würdigung und Anerkennung..." so be-
schreibt der Berliner Landeskonservator Dr. Jörg Has-
pel, im Vorwort zu einem Stadtführer zu den Berliner
Bauten aus jener Zeit das grundlegende Missverständ-
nis.1

Auch die Denkmalpfleger selbst haben lange um die
Bewertung der baulichen Hinterlassenschaften der
NS-Zeit gerungen. „Sicher: die damnatio memoriae ist
keine Bewältigung! Vielmehr wird uns nach über vier-
zig Jahren verdrängter Erinnerung jedes greifbare
Geschichtszeugnis wichtig. Aber ist es darum auch ein
Denkmal? Was ist an der architektonischen Hinterlas-
senschaft der NS-Zeit denkmalwert?" fragte die
Redaktion der Zeitschrift „Deutsche Kunst und Denk-
malpflege", des Organs der bundesdeutschen Lan-
desdenkmalpfleger 1989 im Vorwort des ersten The-
menheftes zu den Denkmalen dieser Zeit.2
Der Kieler Kunsthistoriker Prof. Dr. Lars Olof Larsson
bekannte sich im gleichen Heft zu der Notwendigkeit,
der Aufgabe der Bewertung nicht auszuweichen:
„Wenn es also die Aufgabe der Denkmalpflege ist,
gemäß einer Jahresringe-Philosophie, aus allen
Epochen und Entwicklungsphasen der Gesellschaft
repräsentative Bauwerke und Ensembles, sozusagen
als steinerne Zeugen der Geschichte für die Nachwelt
zu erhalten, darf wohl in der Tat die Zeit des National-
sozialismus nicht ausgeklammert werden.... Für die
Frage, wie mit den Bauten der NS-Zeit umzugehen ist,
bleiben jedoch Überlegungen über ihren künstleri-
schen Ausdruck und Rang von untergeordneter
Bedeutung. Entscheidend muss sein, wie ihr Wert als
Geschichtszeugnisse zu beurteilen ist."3
Haben die Fachleute unter dieser Fragestellung ihr
Urteil gefällt, so stehen sie vor dem Problem, in der
Öffentlichkeit die bewusste Erhaltung von Anlagen zu
fordern, die gerade wegen der geschichtlichen Fak-
ten, die sie repräsentieren, spontan eher die gegentei-
lige Reaktion hervorrufen. Die Zerstörung der Erin-
nerungsmaie ist die natürliche Reaktion, die nach der
Überwindung einer Herrschaft Raum greift. Die
„damnatio memoriae" betrifft durchaus nicht nur den
Umgang mit Denkmalen des Nationalsozialismus,
sondern auch andere Denkmalkategorien. Die mora-
lisch begründete Verdammung menschenunwürdiger
Wohnbebauung für die Unterschichten des 19. Jahr-
hunderts hatte beispielsweise zur Folge, dass deren
Ausweisung als Denkmale in den Anfängen auf gro-
ßes Unverständnis traf. Zu der bewussten Vernach-
lässigung von Schlössern in der früheren DDR gab es
vereinzelt auch in der Bundesrepublik Deutschland
Analogien. Noch um 1980 hat ein energischer Bürger-
meister einer niedersächsischen Kleinstadt dafür
gesorgt, dass eine gründerzeitliche Fabrikantenvilla
 
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