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Winghart, Stefan; Niedersächsisches Landesamt für Denkmalpflege [Hrsg.]; Institut für Denkmalpflege [Hrsg.]
Arbeitshefte zur Denkmalpflege in Niedersachsen: Die Reichserntedankfeste auf dem Bückeberg bei Hameln: Diskussion über eine zentrale Stätte nationalsozialistischer Selbstinszenierung — Hameln: Niemeyer, Heft 36.2010

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Winghart, Stefan: Unbequeme Denkmale der NS-Zeit als denkmalpflegerische Aufgabe
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https://doi.org/10.11588/diglit.51156#0061
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Unbequeme Denkmale der NS-Zeit als denkmalpflegerische Aufgabe

Stefan Winghart

Das Bekenntnis zur Verantwortung für die Unmensch-
lichkeit, die die Barbarei des Dritten Reiches über die
Welt gebracht hat, ist Staatsraison der Bundesrepublik
Deutschland. An zahlreichen Orten des Erinnerns wird
der Opfer des Naziterrors gedacht; Besuche von Kon-
zentrationslagern gehören zum Schulstoff-was wäh-
rend der 60er Jahre noch nicht selbstverständlich war;
die lange vergessenen bzw. verdrängten Gräuel an
den Sinti und Roma, den Bibelforschern, den
Homosexuellen werden nicht mehr zur Seite gescho-
ben. Immer mehr Hausgemeinschaften suchen nach
den Spuren der in ihren Häusern wohnhaften jüdi-
schen Mitbürger, die in den Vernichtungslagern ver-
schwanden. In vielen Städten erinnern „Stolper-
steine" daran, dass die Opfer keine anonyme Masse
waren, sondern sich aus Individuen, aus Einzelschick-
salen zusammensetzten. Die Bundesrepublik hat im
Gedenken der Opfer des nationalsozialistischen Ter-
rors seit den späten 60er Jahren die blamablen Ver-
säumnisse der ersten Nachkriegszeit durchaus wett-
machen können und wir alle wissen, dass das Bild des
unverbesserlichen, uneinsichtigen Deutschen, wie es
etwa die englische Boulevard presse mit Inbrunst
pflegt, nicht der Wirklichkeit entspricht.

Warum also spreche ich im Titel meines kurzen State-
ments mit einem mehr als zehn Jahre alten Wort von
Norbert Huse von „unbequemen Denkmalen"?1 Sind
uns etwa Konzentrationslager-Gedenkstätten oder
Denkmale wie das Berliner Holocaust-Denkmal, um
das so lange gerungen wurde, unbequem? Ich glau-
be, davon kann, wenn wir den unvermeidlichen Bo-
densatz der Unbelehrbaren abziehen, im Großen und
Ganzen keine Rede sein. Und trotzdem: In gewisser
Weise wirkt immer noch der Mechanismus, den wir
aus den 70er Jahren kennen, als man sich zwar all-
mählich, nicht von selbst, sondern ausgelöst durch die
amerikanische Fernsehserie „Holocaust" der eigenen
Verantwortung zu stellen begann, diejenigen aber, die
in der eigenen Stadt, im eigenen Dorf nach den ganz
persönlichen Verstrickungen in das Regime und nach
der Schuld von Einzelnen fragten, als Nestbeschmut-
zer diffamierte und mundtot zu machen versuchte.
Ich nehme an, einige Teilnehmer dieses Kolloquiums
könnten hier ihre ganz eigene Geschichte erzählen.
Es ist unbestritten leichter, der Opfer zu gedenken,
gerade für die Gruppe der Nachgeborenen, zu der in-
zwischen nahezu alle gehören und die sich keiner per-
sönlichen Schuld bewusst sein muss. Die Identifi-


Stolperstein für Else Rosenkranz, geborene Levy, aus Coppenbrügge bei Hameln, und ihren Ehemann Oskar Rosenkranz in
Hamburg. „Stolpersteine" erinnern in vielen Städten an Opfer des nationalsozialistischen Terrors.
 
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