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Winghart, Stefan; Niedersächsisches Landesamt für Denkmalpflege [Hrsg.]; Institut für Denkmalpflege [Hrsg.]
Arbeitshefte zur Denkmalpflege in Niedersachsen: Die Reichserntedankfeste auf dem Bückeberg bei Hameln: Diskussion über eine zentrale Stätte nationalsozialistischer Selbstinszenierung — Hameln: Niemeyer, Heft 36.2010

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Winghart, Stefan: Vorwort
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https://doi.org/10.11588/diglit.51156#0009
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Vorwort

Das Bekenntnis zur Verantwortung für die Unmensch-
lichkeit, die die Barbarei des Dritten Reiches über die
Welt gebracht hat, ist Staatsraison der Bundesrepublik
Deutschland. Das Bewusstsein dafür war in der unmit-
telbaren Nachkriegszeit nur ungenügend vorhanden,
ist aber seither stetig gewachsen. Die Täter allerdings,
so es sich nicht gerade um die hohen Repräsentanten
des Regimes handelte, die Mitläufer und mit ihnen die
Orte, an denen sich der Nationalsozialismus als Mas-
senbewegung selbst präsentierte, wurden lange Zeit
nicht oder nur ungenügend in die sich entwickelnde
Erinnerungskultur einbezogen. Zu den erinnerungs-
würdigen Orten gehört auch das Gelände des Reichs-
erntedankfestes auf dem Bückeberg bei Hameln.
Es ist zweifellos leichter, der Opfer zu gedenken, gera-
de für die Nachgeborenen, die sich keiner persönli-
chen Schuld bewusst sind. Die Identifikation mit den
Opfern der Tyrannei fällt nicht schwer, zumal dann,
wenn sie nicht risikobehaftet ist. Schwieriger wird es,
wenn wir es mit den Tätern zu tun haben. Der Erinne-
rung an den Nationalsozialismus als Volksbewegung
verbunden mit dem Blick auf die Stätten, an denen
die Massen enthusiastisch dem Führer zujubelten, ist
die Gesellschaft lange aus dem Weg gegangen. Gera-
de solche Orte stellen eine noch nicht genügend ge-
nutzte Quelle zur Geschichtsforschung des National-
sozialismus dar. Sie zu identifizieren, zu werten und zu
erforschen ist die Aufgabe der Denkmalpflege, die als
wissenschaftliche Institution für gebaute bzw. allge-
mein nicht schriftliche Quellen der Geschichte verant-
wortlich ist.
Diese Verantwortung stellt aber auch eine Herausfor-
derung dar, denn die architektonischen Zeugnisse des
Nationalsozialismus sind unbequeme Denkmale, die
an Tatsachen erinnern, die es besser nicht gäbe, Teile

eines Erbes, das niemand haben will und das doch
nicht ausgeschlagen und nicht beschönigt werden
darf. Gerade hier sind die wissenschaftliche Objekti-
vität und die fachliche Argumentation der Denkmal-
pflege gefordert und es ist die Pflicht der Fachleute,
die Entscheidungsträger in Land und Kommunen über
den jeweils aktuellen Stand von Forschung und Dis-
kussion zu informieren und zu beraten.
Dem Niedersächsischen Ministerium für Wissenschaft
und Kultur als der Obersten Denkmalschutzbehörde
gebührt aus diesem Grund Anerkennung und Dank
für den Anstoß dieser notwendigen wissenschaftli-
chen Diskussion einer schwierigen und durchaus auch
strittigen Frage.
Denkmalschutz und Denkmalpflege können nicht für
gesamtgesellschaftliche Defizite im Umgang mit der
Geschichte des Nationalsozialismus verantwortlich
zeichnen. Sie dürfen sich jedoch nicht aus der Verant-
wortung für die öffentliche Auseinandersetzung mit
den architektonischen Hinterlassenschaften der NS-
Zeit stehlen und müssen, wollen sie ihrem Auftrag
treu bleiben, auch unter Revision früherer Standpunk-
te zu einem historisch fundierten, eindeutigen Votum
für die Notwendigkeit der historischen Erinnerung
gelangen und damit auch zum Erhalt eines unbeque-
men Erbes beitragen. Ich hoffe, dies ist im Falle des
Geländes des Reichserntedankfestes auf dem Bücke-
berg mit der Vorlage dieses Arbeitsheftes gelungen.

Dr. Stefan Winghart
Präsident des Niedersächsischen
Landesamtes für Denkmalpflege
 
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