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Winghart, Stefan; Niedersächsisches Landesamt für Denkmalpflege [Editor]; Institut für Denkmalpflege [Editor]
Arbeitshefte zur Denkmalpflege in Niedersachsen: Die Reichserntedankfeste auf dem Bückeberg bei Hameln: Diskussion über eine zentrale Stätte nationalsozialistischer Selbstinszenierung — Hameln: Niemeyer, Heft 36.2010

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Marszolek, Inge: Der Bückeberg - ein heterotoper Erinnerungsort
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https://doi.org/10.11588/diglit.51156#0072
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Inge Marszolek

Der Bückeberg - ein heterotoper Erinnerungsort

Eingriffe in die Landschaft verwiesen auf die national-
sozialistischen Vorstellungen von totaler Planbarkeit
und Bemächtigung von Landschaft und Gesellschaft.
Darüber hinaus wurden diese Vergemeinschaftungs-
prozesse quasi naturalisiert.
Die Bedeutung des Reichserntedankfestes erschöpfte
sich nicht in dem Ziel, die Landbevölkerung für den
Nationalsozialismus zu gewinnen, die Inszenierungen
richteten sich an die .Volksgemeinschaft' insgesamt:
Die Medien transportierten die Bilder und schufen so
virtuelle Räume für die Emotionalisierung der Massen
über das Weserbergland hinaus. Der Nationalsozialis-
mus wurde zur Glaubenssache. Die Verbindung von
religiösen Ritualen mit germanischen Mythen und der
Feier des Führers bot die Basis dafür, die Volks-
genossen auf die .dunklen Seiten' der NS-Volksge-
meinschaft einzustimmen. So ging es zum Einen um
das Aushandeln der Exklusion, die in diesem Falle
weniger rassistisch bestimmt war, sondern sich auf
diejenigen bezog, die dem Regime ablehnend und kri-
tisch gegenüberstanden, wie sich in der auf dem
Bückeberg zitierten Kampagne gegen die .Mies-
macher und Meckerer' zeigte. Darüber hinaus ging es
aber auch um die Einübung des Krieges. Die mediale
Verbreitung der Bilder dieser Inszenierungen - wie die
der Reichsparteitage, Olympia 1936 etc. - lässt die
Bilder quasi zum Insert kollektiver Identifizierung und
Erinnerung’0 werden. Die Bilder und damit die ästhe-
tische und emotionale Erfahrung wirken bis heute
weiter. Auch wenn durch beständige Umformungen
des Gedächtnisses auch Bilder immer wieder neue
Bedeutungen erlangen und in neue Kontexte einge-
ordnet werden, so sind es doch gerade diese, von den
Nationalsozialisten selber produzierten Bilder, die
auch heute immer wieder in medialen Produktionen
recycelt werden. Damit wirken nicht nur die Bilder
weiter, sondern mit ihnen auch die ästhetische und
emotionale Erfahrung.
Habbo Knoch hat jüngst betont, dass der historische
Ort der NS-Verbrechen an Autorität gewinnt, zum

2 Bremen, U-Boot-Bunker „Valentin" in Bremen-Farge.


Authentizitätsmarker werde - eben weil Zeitzeugen
kaum noch vorhanden sind. Er hat dies vor allem
bezogen auf die Orte der Lager." Doch gilt dieses im
gleichen Maße für die Orte der „Zurschaustellung der
Volksgemeinschaft". Anders als die Lagerorte schei-
nen die Orte der Selbstinszenierung der Volksge-
meinschaft auf merkwürdige Weise kontaminiert
bzw. „unsichtbar" in der Landschaft der Gedenk-
kultur. Das gilt auch für Orte, die sowohl für den
Terror wie für das Faszinosum stehen, ich verweise
hier auf den Bunker .Valentin' in Bremen, der, geplant
als fordistische Fabrik des U-Boot-Baus, mittlerweile
als Ikone des Betonbaus Anziehungspunkt für
Touristen und Technikfreaks ist. Nicht erfahrbar aber
ist für diejenigen, die außen am Weserdeich an die-
sem riesigen Bunker vorbeiradeln, dass ein Mikro-
kosmos von Lagern in dieser idyllischen Landschaft ab
1943 existierte, darunter ein Lager für Zwangsar-
beiter, eins für KZ-Häftlinge aus Neuengamme und
das „Privatlager" der Bremer Gestapo, das Arbeitser-
ziehungslager.'2
Die Geschichte des Bückebergs ist eine andere: Aber
auch diese ist bisher unsichtbar, auch wenn Spuren in
der Landschaft deutliche Marker auf die Geschichte
sind, so ist sie nicht ohne weiteres lesbar, aber sie ist
an diesem Ort angelagert. Sie existiert in den Fami-
liengeschichten in den umliegenden Orten, und zwar
wird sie, so ist zu vermuten, in Narrativen wie „es war
doch nicht alles schlecht", etc. erzählt.13 Oder aber sie
wird erinnert in den Geschichten über der in kurzer
Zeit gleichgeschalteten .Volksgemeinschaft', beglau-
bigt durch die vom Regime selber produzierten und
transportierten Bilder. Das aber stellt ein Entlastungs-
argument dar, das auf Narrative aus den der 1950er
Jahre zurückgeht und die Befunde der Historiografie
seit den 1980er Jahren über eine differenzierte
Gesellschaft mit ihren Nischen nicht zur Kenntnis
nimmt.
Der Bückeberg heute kann ebenso wie andere .distur-
bing remains' als im Sinne Foucaults heterotoper Ort
bezeichnet werden. Hierunter versteht Foucault Orte,
die von Machtbeziehungen und -praktiken geprägt
sind.14 Diese beherbergen eine kulturelle Gegenplat-
zierung: Im Fall des Bückebergs die nationalsozialisti-
sche Utopie einer Volksgemeinschaft, die vom rassisti-
schen Vernichtungsbegehren durchdrungen war. Es
ist ein Ort, an dem noch heute Spuren von Fantasmen
und Macht zu finden sind, die auf die nationalsozialis-
tische Ordnung verweisen. Dieses Verhandeln von
Ausschlüssen und Einschlüssen wurde auf dem
Bückeberg durchgespielt und auf die Bühne gebracht.
Die Volksgenossen waren zwar „nur" Zuschauer, aber
als solche nahmen sie Positionen im ritualisierten Spiel
ein, z. B. im Kampf gegen die Meckerer oder in den
militärischen Schauspielen. Das erscheint oder er-
schien erst einmal unschuldig: Militärische Kampfspie-
le verweisen nicht auf den ersten Blick auf die verbre-
 
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