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Kimpflinger, Wolfgang; Neß, Wolfgang; Zittlau, Reiner; Niedersächsisches Landesamt für Denkmalpflege [Hrsg.]; Institut für Denkmalpflege [Hrsg.]
Arbeitshefte zur Denkmalpflege in Niedersachsen: Das Fagus-Werk in Alfeld als Weltkulturerbe der UNESCO: Dokumentation des Antragsverfahrens — [Hannover]: Niedersächsisches Landesamt für Denkmalpflege, Heft 39.2011

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3. Begründung für die Eintragung
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https://doi.org/10.11588/diglit.51160#0078
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3. Begründung für die Eintragung

hinterlüftet. Die am Fagus-Werk verwendeten
großflächigen, kastenförmig ausgebildeten
Stahl-/Glas-Fensterbahnen finden sich in ähnli-
cher Form - ebenfalls bereits geschossübergrei-
fend und mit Stahlblechverblendungen im Brü-
stungsbereich - im Kontor- und Geschäftshaus-
bau, wie beispielsweise am „ Papierhaus" in Ber-
lin, gebaut 1906 von Bruno Schmitz. Auch Hans
Poelzig bediente sich, wie sein Entwurf für die
Werder-Mühle in Breslau zeigt, bereits 1906
großflächiger, geschossübergreifender Vergla-
sungen, die kastenförmig vor die ansonsten sehr
massiv und geschlossen wirkenden Baukörper
gesetzt sind. War in der Ingenieurarchitektur des
19. Jahrhunderts das Material Glas in erster Li-
nie zur Auflösung der Raumbegrenzungen ein-
gesetzt, so suchen Reformer wie Poelzig, Beh-
rens und Gropius das an sich wesenlose Mate-
rial Glas architektonisch, d.h. für die Formung
von Räumen und Körpern dienstbar zu machen
und funktional dort einzusetzen, wo Helligkeit
und Licht in besonderem Maße gebraucht wird.
Ein Beispiel hierfür ist auch Gropius' eigener Ent-
wurf für ein neues Krankenhaus in Alfeld von
1912, wo der Operationstrakt eben solche groß-
flächig verglasten Raumbegrenzungen auf-
weist.
Ein direkteres Licht auf die Genese des Fagus-
Werks wirft jedoch der Vergleich mit der für die
AEG in Berlin 1908/09 errichteten Turbinenhal-
le von Peter Behrens. Während seiner Zeit im Bü-
ro von Behrens (Juni 1908 bis März 1910) erlebt
Walter Gropius den Entstehungsprozess dieser
gewaltigen Stahlgelenkbogen-Konstruktion
(Entwurfszeit: Herbst 1908 bis Frühjahr 1909)
aus unmittelbarer Nähe. Nach einer anfängli-
chen Identifikation mit dem großen Architekten
folgt für Gropius eine Phase der kritischen Aus-
einandersetzung. Ausschlaggebend hierfür war
für Gropius, wie er selber später berichtete, der
Frontteil der Turbinenhalle, die Gropiusals kons-
truktiv unecht und ästhetisch manipuliert emp-
fand. Tatsächlich könnte man das Hauptgebäu-
de des Fagus-Werks als eine gebaute Berichti-
gung der Turbinenhalle sehen, in der Gropius in
antithetischer Weise Stellung zu Behrens be-
zieht. In einem Umkehrverfahren korrigiert Gro-
pius das Vorgehen des Lehrers: Während Beh-
rens an der Langseite die Stützen senkrecht stellt
und die dazwischen befindlichen Fensterflächen
neigt, böscht Gropius die Pfeiler und befestigt
die geschossübergreifende Glashaut lotrecht am
Sturz. Die nach innen geneigten Stützen über-
nehmen die Rolle der geneigten Fenster bei Beh-
rens und werden zur Negativform. Sietreten hin-
ter die Fenster zurück und es entsteht, zum er-
sten Mal in der Geschichte der Architektur, der


Abb. 101: AEG Turbinenhalle, Berlin, Architekt: Peter Behrens,
1908-1909 (2003)


Abb. 102: AEG Turbinenhalle, Berlin, Architekt: Peter Behrens,
1908-1909 (2003)

Abb. 103: AEG Turbinenhalle, Berlin, Architekt: Peter Behrens,
1908-1909 (2003)


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