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WALTHER WREDE
auf dem Wagen stehen1: also fast unser Bildtypus! Die Wieder-
holung dieser Schilderung zeigt, wie sie zum festen ‘Typenschatz’
des Epos gehören mochte, und liegt es da nicht nahe, aus der
Darstellung des Kraters auf einen gleichen Passus in der Thebais2
zu schließen? Freilich scheint der Trunk, den Leontis reicht,
nicht dem Amphiaraos, der Hauptperson, sondern dem Lenker
Baton zu gelten; von dessen Rolle in der Thebais wissen wir
nichts, ahnen aber, daß er einst ein berühmter Heros gewesen
sein muß3, also auch in dieser Geschichte mehr als eine Neben-
person war4. Und sollte die Thebais älter gewesen sein als
die Ilias5, dann würden wir in der literarischen Vorlage unseres
Vasenbildes sogar den Prototyp jener homerischen Ausfahrts-
szenen erblicken dürfen.
Für sich steht die Amphora 60; die dem Ausfahrenden
zugekehrte Frau hält ihm mit der Rechten einen Kranz oder eine
Binde entgegen. Gerhard deutete sie als Eriphyle mit dem oQfioq.
Aber als solcher ist der Ring durch nichts charakterisiert, und
ehe wir uns mit ‘Gedankenlosigkeit’ des Malers zufrieden geben,
müssen wir eine bessere Deutung versuchen. Genau die gleiche
Figur erscheint an derselben Stelle auf einer Vase mit Brautzug
(München 1375, Jahn 392, unsere Taf. XV1I1). Hier ist die Deutung
als Überreichen des Brautkranzes wohl gegeben. Nun finden
1 Über das Verhältnis der beiden Stellen zueinander vgl. Gemoll,
Hermes XVIII 1883, 89; Sittl, Wiederholungen in der Odyssee 55; und
vgl. miteinander v. Wilamowitz, Homer. Unters. 90ff., zusammenfassend
228f. und ders., Ilias und Homer 68ff. — Spenden vor Unternehmungen
bei Homer gesammelt v. Fritze, De libatione 20.
2 Auf die Thebais führte schon Bethe (Theban. Heldenlied. 127f.)
das Bild des Kraters zurück, der im übrigen an eine 'A^upiaQSM l&Xaoia
als gesondertes Epos glaubte. Doch ist jetzt v. Wilamowitz auf Welckers
Ansicht, diese sei mit der Thebais identisch, zurückgekommen (Aischylos-
Interpretationen 104; vgl. auch Friedländer, Rhein. Mus. XLIX 1914, 332f.),
ebenso Robert (Oidipus I 218ff., II 80 Anm. 110).
3 Literatur: RE. s. v. Baton (Bethe).
4 Schol. -O 285 (Dindorf IV 347): Ui xjjavTS • avXXrjTTTMWi • /uovos yap
ansvSsi o üpia/uog; gewiß, davon erzählt der Dichter nur, der sich für den
xr)Qv% nicht weiter interessiert; aber doch beweist der Dual, daß in
Wahrheit beide spenden.
5 Vgl. v. Wilamowitz, Ilias u. Homer 340; Robert, Oidipus I 185ff.
WALTHER WREDE
auf dem Wagen stehen1: also fast unser Bildtypus! Die Wieder-
holung dieser Schilderung zeigt, wie sie zum festen ‘Typenschatz’
des Epos gehören mochte, und liegt es da nicht nahe, aus der
Darstellung des Kraters auf einen gleichen Passus in der Thebais2
zu schließen? Freilich scheint der Trunk, den Leontis reicht,
nicht dem Amphiaraos, der Hauptperson, sondern dem Lenker
Baton zu gelten; von dessen Rolle in der Thebais wissen wir
nichts, ahnen aber, daß er einst ein berühmter Heros gewesen
sein muß3, also auch in dieser Geschichte mehr als eine Neben-
person war4. Und sollte die Thebais älter gewesen sein als
die Ilias5, dann würden wir in der literarischen Vorlage unseres
Vasenbildes sogar den Prototyp jener homerischen Ausfahrts-
szenen erblicken dürfen.
Für sich steht die Amphora 60; die dem Ausfahrenden
zugekehrte Frau hält ihm mit der Rechten einen Kranz oder eine
Binde entgegen. Gerhard deutete sie als Eriphyle mit dem oQfioq.
Aber als solcher ist der Ring durch nichts charakterisiert, und
ehe wir uns mit ‘Gedankenlosigkeit’ des Malers zufrieden geben,
müssen wir eine bessere Deutung versuchen. Genau die gleiche
Figur erscheint an derselben Stelle auf einer Vase mit Brautzug
(München 1375, Jahn 392, unsere Taf. XV1I1). Hier ist die Deutung
als Überreichen des Brautkranzes wohl gegeben. Nun finden
1 Über das Verhältnis der beiden Stellen zueinander vgl. Gemoll,
Hermes XVIII 1883, 89; Sittl, Wiederholungen in der Odyssee 55; und
vgl. miteinander v. Wilamowitz, Homer. Unters. 90ff., zusammenfassend
228f. und ders., Ilias und Homer 68ff. — Spenden vor Unternehmungen
bei Homer gesammelt v. Fritze, De libatione 20.
2 Auf die Thebais führte schon Bethe (Theban. Heldenlied. 127f.)
das Bild des Kraters zurück, der im übrigen an eine 'A^upiaQSM l&Xaoia
als gesondertes Epos glaubte. Doch ist jetzt v. Wilamowitz auf Welckers
Ansicht, diese sei mit der Thebais identisch, zurückgekommen (Aischylos-
Interpretationen 104; vgl. auch Friedländer, Rhein. Mus. XLIX 1914, 332f.),
ebenso Robert (Oidipus I 218ff., II 80 Anm. 110).
3 Literatur: RE. s. v. Baton (Bethe).
4 Schol. -O 285 (Dindorf IV 347): Ui xjjavTS • avXXrjTTTMWi • /uovos yap
ansvSsi o üpia/uog; gewiß, davon erzählt der Dichter nur, der sich für den
xr)Qv% nicht weiter interessiert; aber doch beweist der Dual, daß in
Wahrheit beide spenden.
5 Vgl. v. Wilamowitz, Ilias u. Homer 340; Robert, Oidipus I 185ff.