KRIEGERS AUSFAHRT IN DER ARCHAISCH-GRIECHISCHEN KUNST 313
nicht unbedingt die Amphiaraosgeschichte im Auge gehabt noch
einen gerade erst für diese zugeschnittenen Typus benutzt haben.
So Großes wie auf dem Berliner Krater ist in der Indi-
vidualisierung unseres Bildtypus nie wieder geleistet worden.
Zwar wird er unter jeder Meisterhand wieder etwas variiert,
aber eine wirklich neue Idee ist nicht mehr hineingetragen
worden. Das Einflechten von Motiven aus der Rüstungsszene
ergab doch auch nur bescheidene Variationen, aus deren Menge
wir nur noch einmal die Petersburger Amphora (59) hervor-
heben wollen. Hier ist etwas Neues versucht dadurch, daß die
beiden Hauptpersonen, der rüstende Held und sein Weib, kühn
in die Mitte des Bildes und vor das Gespann gezogen, durch
den Rundschild fast zu einer antithetischen Gruppe verbunden
und so gleichsam in die formale Rolle von Wappenhaltern ver-
setzt wurden. Der Meister gehört auch in der Technik zu den
ganz Großen und steht Exekias sehr nahe. Aber seine Stärke
liegt im Dekorativen. Ein so starkes Erfassen des Ethos,
wie es dem Meister des Amphiaraoskraters1 gelungen war,
blieb — freilich in ganz anderer Weise — erst wieder der rot-
figurigen Malerei Vorbehalten. An den Wagenszenen ist das
(von wenigen späten Ausläufern des V. Jhs. abgesehen) nicht
mehr erprobt worden. Die Wehmut des Abschiedes im Bilde
zu geben, wählte man andere Formen: vor allem die dst-Lcoöig
und die Abschiedsspende. Wie lange aber, wenn auch nur spo-
radisch, die alten festen, für das Thema‘Kriegers Ausfahrt’ ge-
schaffenen Formeln noch im V. Jh. nachwirkten, dafür sei nur
auf den wundervollen Petersburger Krater 766 des ‘Meisters
der Berliner Hydria’ (Stephani 1271; Compte-rendu 1874, Taf.
V—VI; Beazley, Att. Vasenm. 344, 1) verwiesen: der Held im
Begriff, vor den Säulen des Hauses den Wagen zu besteigen,
der alte Vater ihm gegenüber, vor den Pferden ein zweiter
Hoplit; im ganzen die alte Komposition, aber — abgesehen
von allen Errungenschaften der gewandelten Technik — schon
1 ‘Das ist eine Handlung von so packender Gewalt, in der psycho-
logische und ethische Motive der verschiedensten Art wie in einem Brenn-
punkt zusammenströmen, daß man ihre Verbildlichung wohl als einen
kunsthistorischen Anachronismus bezeichnen darf’ (Robert,
Hermeneutik 208).
nicht unbedingt die Amphiaraosgeschichte im Auge gehabt noch
einen gerade erst für diese zugeschnittenen Typus benutzt haben.
So Großes wie auf dem Berliner Krater ist in der Indi-
vidualisierung unseres Bildtypus nie wieder geleistet worden.
Zwar wird er unter jeder Meisterhand wieder etwas variiert,
aber eine wirklich neue Idee ist nicht mehr hineingetragen
worden. Das Einflechten von Motiven aus der Rüstungsszene
ergab doch auch nur bescheidene Variationen, aus deren Menge
wir nur noch einmal die Petersburger Amphora (59) hervor-
heben wollen. Hier ist etwas Neues versucht dadurch, daß die
beiden Hauptpersonen, der rüstende Held und sein Weib, kühn
in die Mitte des Bildes und vor das Gespann gezogen, durch
den Rundschild fast zu einer antithetischen Gruppe verbunden
und so gleichsam in die formale Rolle von Wappenhaltern ver-
setzt wurden. Der Meister gehört auch in der Technik zu den
ganz Großen und steht Exekias sehr nahe. Aber seine Stärke
liegt im Dekorativen. Ein so starkes Erfassen des Ethos,
wie es dem Meister des Amphiaraoskraters1 gelungen war,
blieb — freilich in ganz anderer Weise — erst wieder der rot-
figurigen Malerei Vorbehalten. An den Wagenszenen ist das
(von wenigen späten Ausläufern des V. Jhs. abgesehen) nicht
mehr erprobt worden. Die Wehmut des Abschiedes im Bilde
zu geben, wählte man andere Formen: vor allem die dst-Lcoöig
und die Abschiedsspende. Wie lange aber, wenn auch nur spo-
radisch, die alten festen, für das Thema‘Kriegers Ausfahrt’ ge-
schaffenen Formeln noch im V. Jh. nachwirkten, dafür sei nur
auf den wundervollen Petersburger Krater 766 des ‘Meisters
der Berliner Hydria’ (Stephani 1271; Compte-rendu 1874, Taf.
V—VI; Beazley, Att. Vasenm. 344, 1) verwiesen: der Held im
Begriff, vor den Säulen des Hauses den Wagen zu besteigen,
der alte Vater ihm gegenüber, vor den Pferden ein zweiter
Hoplit; im ganzen die alte Komposition, aber — abgesehen
von allen Errungenschaften der gewandelten Technik — schon
1 ‘Das ist eine Handlung von so packender Gewalt, in der psycho-
logische und ethische Motive der verschiedensten Art wie in einem Brenn-
punkt zusammenströmen, daß man ihre Verbildlichung wohl als einen
kunsthistorischen Anachronismus bezeichnen darf’ (Robert,
Hermeneutik 208).