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KURT MÜLLER
wird. Wir kennen jetzt eine ganze Reihe archaischer Walm-
dächer, alle offenbar mit ganz geringer Neigung. Ich halte es
nicht für unmöglich, daß auch die beiden Gebäude der Fran^ois-
vase solche andeuten wollen 1. Daß sich das Ziegeldach nicht
am steileren Sparrengerüst entwickelt hat, geht auch daraus
hervor, daß den griechischen Ziegeln die Aufhängevorrichtungen
fehlen; die Lehmschicht, in die sie gebettet sind, weist direkt
auf das alte Erddach zuriick. Der — nun natiirlich flache —
Giebel endlich scheint erst verhältnismäßig spät mit dieser
Dachform verbunden zu sein. Den Zusammenhang deutet das
horizontale Giebelgeison an. Vielleicht zeichnete der neue
Schmuck zunächst nur die Hauptfront aus 2; die Einfiihrung der
beiden Giebel, also des normalen Satteldaches, galt ja nach
Pindar als Erfindung der Korinther 3. Die Anregung dazu
brauchten sie gewiß nicht in der Ferne zu suchen: Giebel-
dächer, Nachkommen jener uralten Form, wird es auch damals
im Privatbau noch gegeben haben. Aber wir wollen den
Korinthern, bis sich berechtigtere Anwärter finden, das Verdienst
zubilligen, dem griechischen Tempeldach den Giebel in einer
Form gegeben zu haben, die allgemeinen Anklang gefunden
und zu klassischer Ausgestaltung geführt hat. Den Baumeistern,
von deren Werk unser Modell Kunde gibt, war dieser Versuch
noch nicht gelungen.
Göttingen. Kurt Müller.
1 Gemeint sein könnte auch ein Erddach mit allerdings merkwürdig
stark betonter Erdhäufung. Einen Giebel darunter zu verstehen, scheint
mir schlechterdings unmöglich.
2 Thermos, Dekoration A und Tonmodell aus Sparta, A. M. XXXIX
1914, 252 (Koch).
3 01. XIII 21. Das Scholion 29 a p. 363. Drachmann zitiert Timaios
für die gleiche Auffassung.
Korrekturzusatz. Nachträglich sehe ich, daß bereits Ridgeway
im Athenaeum vom 21. November 1908, 652 aus den S. 64 behandelten
Iliasstellen ein steiles Giebeldach erschließt, für das er nordischen
Ursprung annimmt.
KURT MÜLLER
wird. Wir kennen jetzt eine ganze Reihe archaischer Walm-
dächer, alle offenbar mit ganz geringer Neigung. Ich halte es
nicht für unmöglich, daß auch die beiden Gebäude der Fran^ois-
vase solche andeuten wollen 1. Daß sich das Ziegeldach nicht
am steileren Sparrengerüst entwickelt hat, geht auch daraus
hervor, daß den griechischen Ziegeln die Aufhängevorrichtungen
fehlen; die Lehmschicht, in die sie gebettet sind, weist direkt
auf das alte Erddach zuriick. Der — nun natiirlich flache —
Giebel endlich scheint erst verhältnismäßig spät mit dieser
Dachform verbunden zu sein. Den Zusammenhang deutet das
horizontale Giebelgeison an. Vielleicht zeichnete der neue
Schmuck zunächst nur die Hauptfront aus 2; die Einfiihrung der
beiden Giebel, also des normalen Satteldaches, galt ja nach
Pindar als Erfindung der Korinther 3. Die Anregung dazu
brauchten sie gewiß nicht in der Ferne zu suchen: Giebel-
dächer, Nachkommen jener uralten Form, wird es auch damals
im Privatbau noch gegeben haben. Aber wir wollen den
Korinthern, bis sich berechtigtere Anwärter finden, das Verdienst
zubilligen, dem griechischen Tempeldach den Giebel in einer
Form gegeben zu haben, die allgemeinen Anklang gefunden
und zu klassischer Ausgestaltung geführt hat. Den Baumeistern,
von deren Werk unser Modell Kunde gibt, war dieser Versuch
noch nicht gelungen.
Göttingen. Kurt Müller.
1 Gemeint sein könnte auch ein Erddach mit allerdings merkwürdig
stark betonter Erdhäufung. Einen Giebel darunter zu verstehen, scheint
mir schlechterdings unmöglich.
2 Thermos, Dekoration A und Tonmodell aus Sparta, A. M. XXXIX
1914, 252 (Koch).
3 01. XIII 21. Das Scholion 29 a p. 363. Drachmann zitiert Timaios
für die gleiche Auffassung.
Korrekturzusatz. Nachträglich sehe ich, daß bereits Ridgeway
im Athenaeum vom 21. November 1908, 652 aus den S. 64 behandelten
Iliasstellen ein steiles Giebeldach erschließt, für das er nordischen
Ursprung annimmt.