BEMERKUNGEN ZUR ARCHAISCHEN KUNST
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auf die attische Kunst nichts Qreifbares gewonnen wird. Daß
ein fortwährender Austausch zwischen den benachbarten Kunst-
gebieten stattfand, ist bei dem allgemeinen Verkehr und der
Freizügigkeit der Künstler ja sowieso anzunehmen (vgl. das im
ersten Abschnitt zur hocharchaischen kretischen Kunst Bemerkte).
Eine Angabe des Plinius iiber die Chioten ist jedoch lehr-
reich: sie sollen sich ebenso wie die kretisch-peloponnesischen
Meister Dipoinos und Skyllis des parischen Marmors bedient
haben. Von parischem Marmor hört man fortwährend, von
einer parischen Bildhauerschule dagegen so wenig wie in neuerer
Zeit von einer carrarischen \ und auch die Funde ergeben keinen
Zug, dessen Ursprung in Paros sich wahrscheinlich machen
ließe 1 2. Wir müssen uns mit der unbenannten Größe einer selbst-
verständlich in mancherlei Spielarten gegliederten nesiotischen
Kunst begnügen; ob und inwieweit etwa die chiotische Kunst
dazugehört, bleibt, wie gesagt, ebenfalls fraglich; auf keinen
Fall läßt sich die Fiille der Erscheinungen in einer einzigen
Schule zusammenfassen. Dies umso weniger, als ja ein Zeit-
raum von mehr als hundert Jahren in Betracht kommt. Qrade
im hohen Archaismus können wir nun wirklich eine nesiotische
Schule mit Namen nennen: die naxische. Sie ist in der archäo-
logischen Literatur arg hin und her geworfen worden und hat
sich sogar die Verschmelzung mit der samischen zu einem un-
möglichen Doppelwesen gefallen lassen müssen 3. Seit wir die
delphische Sphinx der Naxier und den bekleideten Kuros von
Samos haben, scheint mir keinerlei Schwierigkeit mehr zu be-
1 Schrader, Auswahl 22 denkt allzu modern, wenn er seine parische
Bildhauerschule als eine wirtschaftlich notwendige Veredlungsindustrie
des dortigen Rohstoffes auffaßt. Wirtschaftlich waren der Stein und
der Transport, der z. B. in Delphi einen sehr großen Anteil an den
Kosten hatte, die Hauptsache. Vereinzelte parische Bildhauer im Aus-
lande beweisen gar nichts; aus der Grabstele des Alxenor ist ja auch
keine jüngere naxische Schule zu erschließen. Einen Bildhauer aus
Carrara kannte ich persönlich; seine Schule war genuesisch.
2 Rösch, Altertüml. Marmorwerke von Paros, Diss. Kiel 1914, be-
müht sich vergeblich, zu dem ihm offenbar vorgeschriebenen Ergebnis
einer parischen Schule zu gelangen. Auch sein stilistisches Urteil läßt
zu wünschen übrig. Dennoch ist seine Arbeit dankenswert.
3 Furtwängler, Meisterwerke 712 ff.
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auf die attische Kunst nichts Qreifbares gewonnen wird. Daß
ein fortwährender Austausch zwischen den benachbarten Kunst-
gebieten stattfand, ist bei dem allgemeinen Verkehr und der
Freizügigkeit der Künstler ja sowieso anzunehmen (vgl. das im
ersten Abschnitt zur hocharchaischen kretischen Kunst Bemerkte).
Eine Angabe des Plinius iiber die Chioten ist jedoch lehr-
reich: sie sollen sich ebenso wie die kretisch-peloponnesischen
Meister Dipoinos und Skyllis des parischen Marmors bedient
haben. Von parischem Marmor hört man fortwährend, von
einer parischen Bildhauerschule dagegen so wenig wie in neuerer
Zeit von einer carrarischen \ und auch die Funde ergeben keinen
Zug, dessen Ursprung in Paros sich wahrscheinlich machen
ließe 1 2. Wir müssen uns mit der unbenannten Größe einer selbst-
verständlich in mancherlei Spielarten gegliederten nesiotischen
Kunst begnügen; ob und inwieweit etwa die chiotische Kunst
dazugehört, bleibt, wie gesagt, ebenfalls fraglich; auf keinen
Fall läßt sich die Fiille der Erscheinungen in einer einzigen
Schule zusammenfassen. Dies umso weniger, als ja ein Zeit-
raum von mehr als hundert Jahren in Betracht kommt. Qrade
im hohen Archaismus können wir nun wirklich eine nesiotische
Schule mit Namen nennen: die naxische. Sie ist in der archäo-
logischen Literatur arg hin und her geworfen worden und hat
sich sogar die Verschmelzung mit der samischen zu einem un-
möglichen Doppelwesen gefallen lassen müssen 3. Seit wir die
delphische Sphinx der Naxier und den bekleideten Kuros von
Samos haben, scheint mir keinerlei Schwierigkeit mehr zu be-
1 Schrader, Auswahl 22 denkt allzu modern, wenn er seine parische
Bildhauerschule als eine wirtschaftlich notwendige Veredlungsindustrie
des dortigen Rohstoffes auffaßt. Wirtschaftlich waren der Stein und
der Transport, der z. B. in Delphi einen sehr großen Anteil an den
Kosten hatte, die Hauptsache. Vereinzelte parische Bildhauer im Aus-
lande beweisen gar nichts; aus der Grabstele des Alxenor ist ja auch
keine jüngere naxische Schule zu erschließen. Einen Bildhauer aus
Carrara kannte ich persönlich; seine Schule war genuesisch.
2 Rösch, Altertüml. Marmorwerke von Paros, Diss. Kiel 1914, be-
müht sich vergeblich, zu dem ihm offenbar vorgeschriebenen Ergebnis
einer parischen Schule zu gelangen. Auch sein stilistisches Urteil läßt
zu wünschen übrig. Dennoch ist seine Arbeit dankenswert.
3 Furtwängler, Meisterwerke 712 ff.