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Verein für Nassauische Altertumskunde und Geschichtsforschung [Hrsg.]
Annalen des Vereins für Nassauische Altertumskunde und Geschichtsforschung — 35.1905(1906)

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Behlen, Heinrich: Das nassauische Bauernhaus
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https://doi.org/10.11588/diglit.70482#0257
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Das nassauische Bauernhaus.

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engste, unlösliche Verbindung zwischen Ern und Stube, zwischen Herd und
Ofen, eine Verbindung, die sich ursprünglich typisch sonst nirgends auf der
Welt findet, die aber in den letzten Jahrhunderten nach vielen Ländern
und Erdteilen übertragen worden ist.4) Wenn sie auch heute bei der Ver-
selbständigung von Koch- und Wohnräumen, durch verbesserte Heiz- und
Wärmeanlagen allmählich sich löst und meist schon geschwunden ist, so hat
diese typische Verbindung der Heizanlagen des Erns und der Stube doch auf
unser Wohnwesen von heute den allernachhaltigsten Einfluss gehabt. Und
nicht allein gehört diese Verbindung von Herd und Ofen der Mitte und dem
Süden Deutschlands an, nein, was bisher zu wenig beachtet war, auch das
niedersächsische Haus Nordwest- und Norddeutschlands zeigt sie trotz einer
gewissen anscheinend altertümelnden Besonderheit des sächsischen Herdes in
völlig typischer, allgemein-deutscher Weise. Allein diese Kombination von Herd-
Ofen oder Ern-Stube berechtigt uns von einem deutschen Bauernhause,
von einem deutschen Hause schlechthin zu reden. Gleichlaufend mit dem Ern,
meist durchgehend durch die ganze Tiefe des Hauses, nimmt den andern,
vorderen Teil des Hauses die Stube ein. Wir haben also typisch im schmalen,
d. h. 1 Balken tiefen nass. Haus, der Traufseite oder Breite nach entwickelt,
wesentlich 2 Bäume: nach dem Hintergiebel zu den Ern mit dem Eingang
von aussen und nach dem Vordergiebel zu, der gewöhnlich nach der Strassen-
seite sieht, die Stube, die von dem Ern aus durch eine Tür in der trennenden
Querwand zugänglich ist. Diese Tür erreicht man beiläufig über eine Treppe
von 1 oder mehreren Stufen, denn die Stube Hegt mit ihrem, nebenbei bemerkt,
stets gedielten Boden höher als der Boden des Erns, weil unter ihr und nur
unter ihr der Keller sich befindet. Dagegen liegen die Deckbalken von Ern
und Stube in einer Höhe, woraus folgt, dass die Stube stets niedriger ist als
der Ern. Neben der Stubentüre, die der Aussen(vorder)wand des Hauses nahe
liegt, liegt nun nach innen zu an der den Ern und die Stube trennenden Quer-
wand im Ern der Herd, in der Stube der Ofen. Noch findet man, aber sehr
selten, in Nassau den alten bodenständigen Herd, der aus einer 4 eckigen,
10—20 cm hohen, 1—2 Meter im Quadrat grossen Steinsetzung bestand, mit
seinem Herdgerät, Brandruten oder Brandreiten, Dreifuss, Blasrohr u. s. w.
So habe ich ihn wenigstens noch in Eschenau, aber nicht mehr in
Gebrauch gefunden. In den Nachbarländern dagegen hat sich dieser alte boden-
ständige Herd noch vielfach in wunderbarer Reinheit erhalten, so in der Rhein-

4) Es ist eine der reizendsten Aufgaben, diesem Eindringen der deutschen Herdraum-
Stube-Einrichtung auf n or di s ch em Boden an der Hand der vorzüglichen Darstellungen M e j b o r g s
nachzugehen. Besonders interessiert das schrittweise Herauswachsen der fenstererleuchteten
deutschen Ern-Stubenwohnung aus dem Oberlicht (liore-)Haus. Siehe die von Henning ans
Licht gezogenen M o 1b e c k'sehen Grundrisse „Das deutsche Haus“, Strassburg 1882, Fig. 34
u. 35 und bei Mej borg „Gamle danske hjem“, Kopenhagen 1888, S. 90, die Figuren 104—-106.
Beim finnländischen und esthnischen Haus wiederholt sich ähnliches (s. Heikel: „Die
Gebäude der Ceremissen, Mordwinen, Esthen und Finnen“, Helsingfors 1888, besonders S. 292/3).
Diese neuen deutschen Wohnungen verhalten sich zu den alten landständigen wie das
Elektrizitätslicht zum Rüböllicht.

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