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Antiquitäten-Zeitung — 4.1896

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Nr. 28 (8. Juli)
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https://doi.org/10.11588/diglit.61939#0222
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Seite 218.

Antiquitäten-Zeitung in Stuttgart, Zentral-Organ für Sammelwesen und Alterthumskunde.

Nr. 28.

rühmtheit, welche man einer Person zugestehen will, doch
zu sehr von der individuellen Auffassung des einzelnen
Sammlers abhängt.
(Fortsetzung solgt.)
Von der Numismatischen Ge-
sellschaft in Berlin.
In der Mai-Sitzung 1896 legte Admiral Strauch
mehrere überseeische Münzen vor, darunter als besonders
bemerkenswerth 1 Kori von 1855, die Münzeinheit des
indischen Staates Cutch (4 Kori rechnen gleich 1 indische
Rupee), und 10 Dirhem von Marokko aus dem Jahre
1299 der Hodschra — 1881/82 n. Chr., im Werthe
gleich etwa 1 span. Duro. Diese 10-Dirhemstücke sind
nur in sehr geringer Zahl geprägt worden und nicht
in den allgemeinen Verkehr gelangt. Der Vortragende
fügte die Mittheilung hinzu, daß Spanien sich mit der
Absicht trage, für Puerto Rico besondere Münzen nach
spanischem System zu prägen. Dr. Weber als Gast
zeigte einige Bracteoten und Regierungsrath v. Kühle-
wein drei moderne Medaillen. Die eine, auf den Tod
der Kaiserin Augusta mit dem Kopfe in vertieftem
Felde, mit Schleier und antikem Diadem, ohne Um-
schrift, Rückseite mit gekröntem Namenszuge und An-
gabe des Todestages, soll nur an die Offiziere ver-
theilt worden sein, die am Sarge Wache gehalten haben.
Die andere, ans das Brieftauben-Wettfliegen zwischen
Berlin und Wien 1893, hat den Kopf des Präsidenten
vom ornitholog. Verein, Bachofen v. Echt, auf der Rück-
seite fliegende Tauben und beider Städte Thürme.
Die dritte Medaille bezieht sich auf den Musiker Hans
v, Bülow, zeigt dessen scharf geschnittenes Profilbild
und auf der Rückseite ein Palmblatt und eine auf des
Meisters ruhmreiches Wirken bezügliche Inschrift. Die
beiden letzten Medaillen sind von A. Scharff's kunst-
fertiger Hand. Dr. Bahrfeldt brachte die soeben er-
schienene dritte Auflage von Schlickeysen-Pollmann's
Abkürzungen auf Münzen und Medaillen zur Ansicht
und wies, eine ausführliche Besprechung anderen Orts
sich vorbehaltend, darauf hin, daß die Mängel der zweiten
Auflage keineswegs beseitigt wären, ja daß ein großer
Theil der numismatischen Literatur seit 1882 über-
haupt nicht berücksichkigt sei und das Buch nichts weniger
als befriedigen könne. Er legte weiter eine längere
Reihe von Mittelaltergroschen seiner Sammlung vor,
darunter besonders zu nennen der brandenburgische sog.
Statthaltergroschen von 1481, die älteste märkische
Münze mit einer Jahreszahl; einen Stolberger Groschen
von Graf Heinrich VIII. und seinen Söhnen, von 1501,
geschlagen auf Grund des Münzbriefes Friedrich's II.
von Brandenburg im Jahre 1467; braunschweigische
Groschen von Herzog Wilhelm I. 1416—1482, Heinrich
III. 1426—1463, aus der Münze zu Salzderhelden,
von Albrecht III. 1427—1483, Heinrich dem Netteren
1495—1514, ferner ein Turnose von Arnold II. von
Randerath, Groschen von Schoenvorst, einen Albus
Friedrich's IV. von Mörs, in Valkenburg geschlagen,
u. a. m. Stadtbaurath Bratring setzte seine Vorträge
über pommersche Münzen fort. Er gab ein Bild von
der schwedisch-pommerschen Prägung unter Gustav
Adolf, Christine und Karl Gustav. Von Gustav Adolf
sind nur zwei in Stettin 1632 geschlagene Dukaten
bekannt. Seine Tochter Christine prägte Doppeldukaten,
Dukaten, Doppelthaler, Thaler, halbe Thaler, Halb-
reichsörter und Witten (Vise Thlr.). Sie sind sämmt-
lich ohne Münzmeisterzeichen und zeichnen sich durch
korrekte Arbeit aus. Karl Gustav prägte dieselben
Sorten wie seine Vorgängerin in der Krone, nur Halb-
thaler und Halbreichsörter nicht, dafür aber noch Viertel-
thaler und Doppelschillinge. Ein Theil der Münzen
führt die Initialen des Münzmeisters Ulrich Butkan
V. L. Eine große Anzahl schöner und seltener Stücke
der obigen Reihe, die Herr Bratring aus seiner Samm-
lung vorlegte, verdeutlichte und belebte den Vortrag.
Hauptmann Brause verbreitete sich über die Belagerung
der Stadt Harlem durch die Spanier unter Herzog
Alba in den Jahren 1572, 1573. In diesen schweren
Zeiten ließ die Stadt Nothmünzen anfertigen, meist
Thalerklippen, die heute zu den gesuchten Seltenheiten
gehören. Hervorragend darunter ist die aus der Mail-
let'schen Sammlung stammende Klippe mit der Gravir-
ung: „ttaarlsm van äen Mran -ilba bslsKsrt iiastt
äoor noot äit Sslä KöslaKsn". Nicht weniger als zwölf
verschiedene Nothmünzen dieser Art zeigte Herr Brause
aus seiner Sammlung vor. Die neuesten Erwerbungen
für seine Sammlung deutscher Kaisermünzen brachte
Baurath Fischer-Dieck zur Vorlage: einen schönen, in
Melle geprägten Denar Karl's des Kahlen, einen Geln-
hüuser Denar Rudols's von Habsburg, je einen Eskalin
von Karl V. v. 1540 und von Philipp II. v. 1547,
beide aus einem Funde in Lothringen stammend. Land-
gerichtsrath Dannenberg sprach im Anschluß an frühere
Vorträge über die Großbroncen (Sesterzen) der späteren
Kaiserzeit und legte viele schöne und seltene derartige
Stücke vor, unter denen besonders die von Didius
Julianus, Balbinus, Pupienus und Paulina, Gemahlin
des Maximinus, hervorragten. Regierungsrath Friedens-
burg zeigte mehrere besonders schöne Medaillen aus
neuerer Zeit, von König in Dresden auf Thorwaldsen
und Rauch, von Voigt in München auf König Ludwig
I., von Schnitzspahn in Darmstadt auf Prinz Alfred
von England und die Großfürstin Marie Feodorowna,
endlich von Scharff in Wien auf Rosegger — und machte
dann Miltheilungen über einige ihm in schlesischen Ak-
ten geglückte Auffindungen von allgemeinerem Interesse.
Unter den Münzforschern ist es streitig, ob der Winter-
könig , von dem wir Geld aus den Münzstätten Prag,
Kuttenberg, Joachimsthal und Olmütz besitzen, auch in
Breslau hat prägeu lassen. Diese Frage ist jetzt mit
Sicherheit zu verneinen; die königliche Münze in Bres-
lau war damals bereits seit 20 Jahren eingegangen
und auch eine städtische bestand nicht mehr. Im Januar
1620 wandte sich nämlich der Rath der Stadt an die
Herzoge von Oels mit der Bitte, da sie auf die er-
hoffende glückliche Ankunft des Königs von Böhmen
etliche Stücke Goldes zu münzen bedacht, zn denen
die Stempel allbereit verfertigt seien, deren Prägung

in ihrer Münze zu Oels zu gestatten. Es sind dies
die bekannten seltenen Goldstücke zu 1 und 2 Dukaten
mit dem Bilde des Königs und dem Breslauer Stadt-
wappen. Im November 1620, also schon gegen Ende
seiner kurzen Herrschaft, schreibt dann Friedrich an
dieselben Herzoge, daß er zur Stillung und Abferti-
gung des ihm aus Böhmen nachgefolgten Kriegsvolkes
eine Summe GeldesHm möglichster Eile zusammen-
bringen müsse, und d"... :r daher Silber in die Münze
zu Oels werde führen nässen, damit es dort zu Geld
geprägt werde; im Januar des folgenden Jahres er-
sucht dann die Kammer den Oelser Münzmeister Hans
Tuhmann um Auskunft über die bisherige Ausmünzung.
Wir besitzen nun aus dem Jahre 1621 einen Vierund-
wanziger und einen Achtundvierziger König Friedrich's,
mit dem Monogramm Hans Thumann's, die Erzeug-
nisse dieser Prägung. Schlesisch sind endlich auch die
Münzen Friedrich's mit dem Zeichen Christoph Cantor's,
der 1619 und 1620 sich in Troppau aufhielt. Aus
der Oelser Münze ist übrigens auch der Löwenberger
Schützenfestthaler von 1615 hervorgegangen, wie sich
aus einer Urkunde Herzog Karl's aus diesem Jahre
ergibt, worin er die Prägung, und zwar gemäß der
kaiserlichen Bewilligung bis zum Betrage von 2000
Stück gestattet.

Berichte aus Vereinen.
Berlin. (Bei der Junisitzung der
Archäologischen Gesellschaft), die unter
dem Vorsitz des Herrn Schöne stattfand,
trug Herr Pernice eine neue Deutung
zweier etruskischer Spiegel vor, Herr
Aßmann berichtete über die Funde im
Ncmisee, die ohne hinreichenden Grund
für Reste eines Schiffes angesehen werden, vielmehr
wahrscheinlich einer schwimmenden Villenanlage angehört
haben, Herr Erman gab einen eingehenden Ueberblick
über die jüngsten Untersuchungen auf der Insel Philae,
Herr Werl sprach über die Nike des Paionios, die sich
in ganz bestimmter Weise von den übrigen Siegesmalen
der Altis nnterscheidet, Herr O. Kern gab einen Bei-
trag zur Topographie von Eleusis und zum Schluß ver-
setzte Herr Koepp die ganze Versammlung durch ein
„unter dem Strich gesprochenes" Impromptu über „höhere
Kritik nach tausend Jahren" in die heiterste Stimmung,
wozu ihm die Bemerkung eines vielgenannten Kunst-
historikers über die Paionios-Nike Anlaß gab.
Museen, Ausstellungen.
Bibliotheken, Sammlungen,
Stuttgart. (Ausstellung für Elek-
trotechnik und Kunstgewerbe, Stuttgart
1896.) Für die Besucher der Ausstellung,
welche ihren Angehörigen und Bekannten
eine kurze Nachricht vom Ausstellungs-
platze selbst senden wollen, hat die Firma
C. Rübsamen sogenannte offizielle Aus-
stellungspostkarten hergestellt, die dem Beschauer eine Ge-
sammtansicht der Ausstellung zeigen und noch für den
Schreiber die Bequemlichkeit besitzen, daß sie schon
frankirt sind, da die Freimarke eingedruckt ist. Diese
Karten werden nebenbei später noch eine Seltenheit
für Briefmarkensammler bilden. — Ein Ausstellungs-
gegenstand, dessen Originalität besonders die ländlichen
Ausstellungsbesucher ebenso belustigt, als die Nützlichkeit
seiner Zweckbestimmung allgemein begriffen wird, ist
neuerdings im Hofe des Gewerbedorfs aufgestellt. Es
ist ein elektrisch betriebenerStiefelputzer,
eingerichtet von JuliusGeiger, mechanische Werk-
stätte. Derselbe besteht im Wesentlichen aus zwei
rotirenden Bürsten, von denen die eine den Schmutz
entfernt, während die andere, nachdem die Wichse mit
einer Handbürste aufgetragen worden ist, das Schuh-
zeug mit verblüffender Schnelligkeit blankwichst. — In
der am 1. d. Mts. im Terrassensaale des Stadtgactens
in Anwesenheit Sr. Exz. des Herrn Staatsministers v.
Pischek und unter dem Vorsitz des Präsidenten der Aus-
stellung Geh. Hofraths Dr. v. Jo b st stattgehabten Sitzung
des geschäftsführenden Ausschusses bilvete die Frage
der Verlängerung der täglichen Ausstel-
lungszeit und die Ermäßigung des Ein-
trittspreises für gewisse Fälle den haupt-
sächlichsten Gegenstand der Tagesordnung. Die Aus-
stellung für Elektrotechnik war bisher an 3 Wochentagen,
Mittwoch, Samstag und Sonntag, bis Abends 10 Uhr
offengehalten, an den übrigen Wochentagen aber schon
Abends 6 Uhr geschlossen worden. In der kunstgewerb-
lichen Abtheilung im Königl. Landesgewecbemuseum er-
folgte der Schluß an sämmtlichen Wochentagen um 6
Uhr. Den vielfachen aus der Mitte des Publikums
an die Ausstellungsleitung herangetretenen Wünschen
entsprechend, wurde beschlossen, bis auf Weiteres beide
Theile der Ausstellung regelmäßig bis Abends 8 Uhr
offen zu lassen, in der elektrotechnischen Abtheilung über-
dies die drei Zehn-Uhr-Abende beizubehalten. Bei dem
Landesgewerbe-Museum soll jedoch die tägliche Offenhal-
tung bis Abends 8 Uhr nur versuchsweise stattfinden, weil
von einer großen Minorität in der Versammlung geltend
gemacht wurde, daß dort eine Offenhaltung bis 7 Uhr ge-
nüge. Die durch diese Verlängerungen bedingten Mehrkosten
ind nicht unbeträchtlich, aber es ist zu hoffen, daß das
Publikum durch möglichst zahlreichen Besuch für das Ent-
gegenkommen sich erkenntlich erweisen wird. Die Oe ff -
nun g der Ausstellung in beiden Theilen ist auf Morgens
8 Uhr festgesetzt. Die Ermäßigung der Eintrittspreise für ge-
wisse Fälle anlangend, wurde zunächst, einem Antrag des
Oberbürgermeisters Rümelin entsprechend, für die Sänger
des deutschen Sängerbundsfestes, welche sich als solche
legitimiren, der Preis für den jedesmaligen Eintritt auf
50 Pf. ermäßigt. Deßgleichen wurde für sämmtliche
Vereine, insbesondere die württembergischen Gewerbe-
vereine, deren Interesse der anwesende Vcrbandsvorstand
Professor Gießler auf's Wärmste vertrat, der Eintritts-
preis bei vorheriger Anmeldung und geschlossenem Ein-
tritt auf die Hälfte, also gleichfalls 50 Pf. herabgesetzt.



Schließlich wurde die Zulässigkeit der Benützung der
Dauerkarten, welche bisher auf den Namen lauteten,
auch für die nächsten Familienangehörigen ausgesprochen.
Erinnert man sich, daß die Arbeiter, das Militär vom
Feldwebel abwärts, sowie die Schüler und Schülerinnen
schon seit längerer Zeit die Vergünstigung ermäßigter
Eintrittspreise genießen, so wird man der Ausstellungs-
leitung die Anerkennung nichr versagen können, daß sie
gleichwie in Hinsicht auf die Besuchszeit, so auch bezüg-
lich der Normirung der Eintrittspreise stets bemüht ist,
den verschiedenartigen und häufig keineswegs nach der
gleichen Richtung sich bewegenden Wünschen und Bedürf-
nissen des Publikums, soweit als dies mit den Interessen
des Gesammtunternehmens vereinbar ist, nachzukommen.
— Nutzpflanzen-Ausstellung. Ein Genuß sel-
tener Art steht noch den Besuchern der Elektrotechnischen
und Kunstgewerbe Ausstellung bevor. Universitätsgärtner
Schelle, am botanischen Garten unserer Landesuniver-
sität, wird vom 25. Juli bis 2. August (incl.) im großen
Pflanzenhaus des Stadtgartens eine Sammlung der
wichtigsten einheimischen, sowie eine Auswahl von
ausländischen Nutzpflanzen zur Schau bringen, und zwar
— was den Werth der Ausstellung noch erhöht — mit
den Erzeugnissen, Drogen re. re. der betreffenden Pflanzen.
Letzterer Umstand wird Dank dem bereitwilligsten Ent-
gegenkommen des königlichen Naturalien-
Kabinetts, des botanischen Instituts der land-
wirthschaftlichen Akademie Hohenheim, dann aber be-
sonders noch durch die thatkräftige Unterstützung hiesiger
Grobfirmen, wie: Schmidt L Dihlmanu, Feuerlein,
Beisbarth, Rueff, Fischer u. s. w. möglich werden. Daß
eine solche Zusammenstellung unserer wichtigsten Nahr-
ung?-, Gewürz-, Futter-, Arznei- und technisch gebräuch-
lichen Pflanzen für Jedermann, ganz besonders aber
für die Schulen und vor Allem für die landwirthschaft-
lichen Besucher der Ausstellung von großem Werth ist,
bedarf wohl keiner besonderen Erläuterung. Da die
Ausstellung innerhalb des Rahmens der Elektrizitäts-
und Kunstgewerbe-Ausstellung stattfindet, so ist der Ein-
tritt frei. Auch soll in der Ausstellungs-Woche von
Herrn Schelle ein öffentlicher Vortrag über Nutzpflanzen,
rein populärer Ausführung, mit ebenfalls freiem Ein-
tritt, gehalten werden.

Ausgrabungen, Entdeckungen,
Funde.
(Nachdruck nur mit Genehmigung der Redaktion gestattet. Sämmt-
liche Fund-Nachrichten stammen ausnahmslos aus der neuesten Zeit.
Einsendungen stets erwünscht. Bei Zeitungsausschnitten ist zu be-
merken, aus welchem Blatte sie stammen.)
Bitte!
Vielfach finden sich in Lokal- und anderen Blättern Mittheilungen
über Ausgrabungen, Entdeckungen und Funde, welche in solchen
Zeitungen wenig beachtet werden und bedauerlicher Weise bald der
Vergessenheit anheimsallen. Wir bitten daher die Freunde unseres
Blattes um die Zusendung solcher Notizen per Streifband (Porto
s A, damit dieselben für die Wissenschaft nutzbar gemacht werden
können.
Der Herausgeber eines Blattes in Amerika
wendet stch mit den Worten an das Publikum:
„Wenn Sie irgend etwas wissen, was zu wissen
interessant ist, und was wir eigentlich wissen soll-
ten, ""d von dem Sie wissen, daß wir es nicht
wissen — bitte, lassen Sie es uns wissen!" —
Das gilt auch für unsere geneigten Leser.
Nerchau, Sachsen. (Wendische Begräbnißstätte.)
Dieser Tage stießen Arbeiter beim Grundgraben eines
Hausneubaues auf der unmittelbar am Markte gelegenen
Hauptstraße auf menschliche Knochenüberreste. Es wur-
den 5 Schädel und noch gut erhaltene Arm- und Bein-
knochen aufgefunden. Die vom Bürgermeister Kaulisch
geleiteten weiteren Ausgrabungen förderten nach und
nach weitere menschliche Knochentheile zu Tage. Hier-
bei wurde auch ein altes thönernes Gefäß, jedenfalls
eine Thränenurne, ausgegraben. Es unterliegt wohl
kaum einem Zweifel, daß hier eine alte sorbenwendische
Begräbnißstätte aufgefunden worden ist, deren Alter
wohl auf über 1000 Jahre angegeben werden kann.
Nach alten Ueberlieferungen soll die Stadt Nerchau,
deren Schreibweise nach noch vorhandenen Urkunden
theils Nerchow (im Gau Chutizi), villa Nkrobouua
(im Jahre 991), burZvaräum Mroollouua (997), Xiris-
obnll, Mroocvs, oppicknm Nsredocvs, dlsrolra, Nsrobo,
Hsroi, Mriredus. gewesen ist, früher bedeutend größer
gewesen sein, jetzt (circa 2000 Einwohner), doch ist ein
urkundlicher Nachweis darüber nicht voryanden. Ur-
kundlich nachgewiesen ist Nerchau zuerst im Jahre 973.
Damals schenkte Otto II. die Stadt und Flur Nerchau
dem Bisthum Merseburg.
Wien. (Ein Blatt des Sirach.) Mrs. Lewis,
die glückliche Entdeckerin dec syrischen Evangelienhand-
schrift vom Sinai, die mit mit ihrer Schwester Mrs.
Gibsou in diesem Frühjahre zum vierten Male im
Orient war, ist auch diesmal vom Glücke begünstigt ge-
wesen. Unter hebräischen Handschriften, die sie in Je-
rusalem erworben, fand sich auch ein Blatt des Sirach.
Seit fast 2000 Jahren ist der hebräische Text dieses
biblischen Buches bis auf etwa 40 Citate, die man aus
dem Talmud gesammelt hat, in der Kirche verloren ge-
wesen. Man besaß nur die griechische Uebersetzung, die
der Enkel des Verfassers im 38. Jahre des Euergetes,
d. h. im Jahre 132 vor Christus angefertigt hatte. Un-
glücklicherweise gehen aber all unsere Handschriften dieses
griechischen Textes, von denen bis jetzt gegen zwanzig
näher bekannt sind, auf ein einziges Original zurück,
in dem in sehr alter Zeit durch irgend einen unglück-
lichen Zufall zwei Blätter verletzt worden waren. MU
Hülfe der altlateinischen Uebersetzung, die vielleicht unter
Berücksichtigung des hebräischen Originals, aus einem
noch ungestörten Exemplare des griechischen Textes ge-
macht wurde, hat der Philolog Sauppe dies vor Jahren
nachgewiesen. Daneben kannte man seit dem 16. Jahr-
hundert eine syrische Uebersetzung, und es war lange
Streit unter unseren Gelehrten, ob ihr Verfasser noch
direkt das hebräische Original oder auch schon nur die
genannte griechische Uebersetzung zu Grunde gelegt habe.
Aus diesen zwei oder drei Quellen das verloren ge-
gangene Exemplar herzustellen, ist und war eine äußerst
anziehende, keineswegs durchaus leichte Aufgabe für
Orientalisten. Dem Professor Bickell in Wien, früher
 
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