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Bayerisches Landesamt für Denkmalpflege; Grünewald, Matthias [Ill.]; Bayerisches Landesamt für Denkmalpflege [Contr.]
Die Lindenhardter Tafelbilder von Matthias Grünewald: Kolloquium 26.-27 April 1977 in München — Arbeitshefte des Bayerischen Landesamtes für Denkmalpflege, Band 2: München: Bayerisches Landesamt für Denkmalpflege, 1978

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https://doi.org/10.11588/diglit.63241#0047
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Kunsthistorischer Teil der Diskussion

Dr. Schenk zu Schweinsberg:
Ich möchte eine Kleinigkeit anmerken. Es ist wiederholt von
Barbari gesprochen und geschrieben worden. Angeregt
durch die sehr auffällige Beinhaltung des Schmerzensman-
nes, habe ich einen Stich nach Barbari herausgesucht, bei
dem diese merkwürdige Überschneidung des linken Spiel-
beines über das rechte Standbein so auffällig ähnlich ist,
daß ich nicht daran zweifle, die von mir vorgezeigte Kompo-
sition oder eine andere Barbari-Komposition sei dem Maler
des Schmerzensmannes Anlaß gewesen, sich damit aus-
einanderzusetzen. Außerdem sind die Formen dieses merk-
würdig weichen, üppigen Christus eher hinsichtlich des Ve-
nezianers Barbari zu erklären, als etwa von der deutschen
Formgebung jener Jahre. Die Zeitspanne ist ja in jedem Fall
äußerst gering.
Es ist eine interessante Frage, wie diese gelockerte Hal-
tung, überhaupt zustande gekommen sein kann. Ein ande-
rer Punkt, den ich zum Vortrag von Herrn Dittmann viel-
leicht noch nachtragen möchte, ist folgende Beobachtung.
Es gibt auf der Geiselung in der Pinakothek und bei dem,
wie ich glaube, frühen Selbstbildnis in Chicago mit dem
Monogramm MN etwas sehr Auffälliges, nämlich exzen-
trisch an einer Stelle ein besonders stark leuchtendes Zin-
noberrot, das ungewöhnlich stark betont ist. Es ist ein ab-
solut anderes Rot als alle übrigen, die hier zu sehen sind.
Es ist das stärkste Ziegelrot, das man sich vorstellen kann,
es hat eine ungeheuere Intensität.
Man hat noch sehr wenig vom Ornament am Mantelsaum
des hl. Dionysius gesprochen. Und ich muß sagen, daß das
Ornament in seiner exklusiven Anlage und in der Entwick-
lung von einem abstraktem Kern zum Ausblühen freier ve-
getabiler Formen hin, soweit ich sehe, singulär und äußerst
eindrucksvoll ist — für mich Pluspunkte nach der Seite
Grünewald.
Die an sich überraschend schleifenden Formen in der Kom-
position, sind auch mit den Umrissen, durch diesen Augen-
blick der intensiven Auseinandersetzung mit Barbari, für
mich leicht zu erklären. Später läßt diese Auseinanderset-
zung nach, obwohl schreibende Umrisse auch noch in den
Mainzer Fresken, die nach 1520 liegen müssen, sehr aus-
drucksstark vorkommen, jedoch sonst vollkommen ausge-
löscht sind durch die Pracht des freien Malens.
Dr. Mayr:
Ich möchte eine Frage nach der Ikonografie stellen. Es fällt
auf, daß innerhalb der 14 Nothelfer durchaus Gruppierun-
gen der Hauptpersonen möglich sind. Es fällt hier sehr auf,
daß die Tafeln jeweils bestimmte Heiligengruppen zeigen,
etwa die Frauen und die Bischöfe. Einen jeweiligen Schwer-
punkt bilden dann die Darstellungen des Ritters Georg und
auf der rechten Tafel die des Dionysius. Ist hier ein Bezug
zum Auftraggeber, oder die Intuition Grünewalds zu sehen,
der diese Bilder ja sicher gemalt hat?
Prof. Dr. Vetter:
Es ist sicher nicht zufällig, daß Georg in der Nähe der Jung-
fräulein erscheint. Er, der den Drachen überwunden und die
Jungfrau vor ihm bewacht hat, wird auf Tafelbildern derzeit

auch zur Hl. Jungfrau Maria oder zum Paradiesgärtlein in
Beziehung gebracht. Außerdem wird Georg in einen sehr
engen Zusammenhang zu Christus gebracht. Nämlich wie
der Ritter die Jungfrau vor dem Drachen behütete, so hat
Christus, Maria die Jungfrau, vor dem Drachen der Erbsün-
de bewahrt. Ich glaube, daß die Aufstellung Georgs in die-
ser frontalen Sicht, von der Altarrückseite her in einer Paral-
lele mit dem Christus in der Mitte zu sehen, nicht zufällig
ist. Darum wird auch hinter Georg das Kreuz sichtbar, das
zum Geweih des Hirschen gehört, der dem Hl. Eustachius
erschienen ist. Christus, der von der Sünde erlöst hat, wird
wieder in Verbindung zu Georg gesehen, welcher vom Dra-
chen befreite. Der Christophorus mit dem Christuskind be-
findet sich auch nicht zufällig in dieser Gruppierung. Wir
haben mit ihm drei Hinweise auf Christus, nämlich Kreuz,
Christuskind und Georg. Ich glaube, das muß man zusam-
mensehen. Es würde wohl auch erklären, was Herr Dr. Ditt-
mann unter „bewußten” oder „unbewußten Störungen”, so
glaube ich, bezeichnet hat. Hier steht das ikonographische
Moment im Vordergrund, man wollte die Zuordnung von
Kreuz und Georg dargestellt haben. Das ist in dieser Rich-
tung zu deuten, denn man sollte bedenken, daß sich mit Ge-
org diese Vorstellung im Mittelalter verbunden hat.
Dr. Mayr:
Gibt es vom Auftraggeber her, eine Notwendigkeit aus den
14 Nothelfern gerade den Hl. Georg und den Hl. Dionysius
hervorzuheben? Man könnte fast von einem Georgs-
Patrizium sprechen.
Dr. Breuer:
Mir ist der Auftraggeber des Altars nicht bekannt. Man weiß
nur soviel, daß es ein Stiftsherr von Aschaffenburg war, der
zugleich Oberpfarrer in Bindlach gewesen ist.
Welcher Art seine Beziehungen zum Domkapitel Bamberg
gewesen sind, kann ich nicht sagen. Es taucht also die Fra-
ge auf: steht der Hl. Georg in Verbindung mit dem Hauptpa-
tron des Domkapitels Bamberg?
Dr. Schädler hat die Plastik des Altars als nürnbergisch an-
gesprochen.
Das hat in den Ausführungen von Herrn Dr. Dittmann eine
gewisse Rolle gespielt, ist aber nicht unwidersprochen ge-
blieben. Frau Baumgärtl hat in einer langen Dissertation
versucht, die Plastik, die wir nicht ganz aus den Augen ver-
lieren sollten, und die darüberhinaus nicht schlecht ist, in
Bamberg zu lokalisieren. Das stellt natürlich die Frage in
welchem Horizont die Grünewald-Tafeln entstanden sind,
in ein anderes Licht.
Ich meine, daß man in der gesamten Diskussion um die
Entstehung der Lindenhardter Tafelbilder nicht so auf
Nürnberg starren darf. Man müßte lernen, etwas von der
Blickrichtung auf Nürnberg loszukommen, da auch Bam-
berg eine Kunststadt von hoher Bedeutung war, die aller-
dings gerade für die Zeit um 1500 sehr schlecht zu fassen
ist.
Dr. Mayr:
Könnte man für den Hl. Dionysius ebenfalls Beziehungen
zu Bamberg finden?

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