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Peda, Gregor; Bayerisches Landesamt für Denkmalpflege; Bayerisches Landesamt für Denkmalpflege [Contr.]
Konservierung, Restaurierung, Renovierung: Grundsätze, Durchführung, Dokumentation — Arbeitshefte des Bayerischen Landesamtes für Denkmalpflege, Band 6: München: Bayerisches Landesamt für Denkmalpflege, 1979

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https://doi.org/10.11588/diglit.63707#0021
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Abb. 10 Neurenaissanceausstattung eines Kirchenraumes aus
den Jahren 1868— 76.


Abb. 11 Raumzustand nach der 1956 vorgenommenen Purifizie-
rung.

hörenden Zeit. Das Denkmal in seiner auf uns überkomme-
nen Gestalt ist somit als Summe von authentischen, das
heißt originalen Veränderungen, als „historisches Original”
zu begreifen. In diesem Sinne ist der „originale Zustand”
als Summe der Überlagerung verschiedener Zeitepochen
von dem „ursprünglichen Zustand”, dem Zustand der Ent-
stehungszeit, abzugrenzen. Eingriffe, die im Lauf der Jahr-
hunderte nach der Entstehungszeit eines Denkmals vorge-
nommen wurden hatten zur Folge, daß der „ursprüngliche
Zustand” im heutigen „originalen Bestand” oft nur noch
mehr oder weniger fragmentarisch erhalten ist. Der „ur-
sprüngliche Zustand” kann demnach stets Gegenstand der
Forschung und Dokumentation, Ziel einer Instandsetzungs-
maßnahme aber nur dann sein, wenn er im überkommenen
Bestand noch weitgehend erhalten ist und durch seine Wie-
dergewinnung keine wesentlichen später hinzugefügten
Werte zerstört werden.
Zu der überkommenen Gestalt eines Denkmals gehört der
originale Bestand jeder abgeschlossenen Geschichtsepo-
che. In dem Bemühen, auch den Bestand des 19. und frü-
hen 20. Jahrhunderts zu erhalten, sieht sich die Denkmal-
pflege jedoch gelegentlich dem Vorwurf ausgesetzt heute
um Objekte bemüht zu sein, auf welche bis vor relativ kur-
zer Zeit die Erhaltungsforderungen noch nicht angewendet
wurden.

Der Grund dafür ist eine inzwischen veränderte Einstellung
zu den Werten der vergangenen Epoche. Es gehört zu den
Eigentümlichkeiten geschichtlicher Entwicklung, daß eine
Zeitepoche auf die unmittelbar vorangegangene anfangs
oft ablehnend reagiert. Die Reaktion des 20. Jahrhunderts
auf die vorangegangene Zeit hatte besonders für die Aus-
stattung kirchlicher Räume empfindliche Folgen. Reiche
Ausmalungen wurden überstrichen oder auf wenige Ele-
mente reduziert, Altaraufbauten abmontiert, viele Ausstat-
tungsstücke ersatzlos entfernt (Abb. 10 + 11). Dieses Dezi-
mierungsverfahren bedeutete nicht nur einen hohen Verlust
an historischer Substanz, sondern führte zudem zu einer
Verarmung der betroffenen Räume über die bezeichnender-
weise heute niemand mehr glücklich ist, denn Ablehnung
ist eine geschichtliche Haltung die sich selbst überlebt. Mit
größerem Abstand treten sachliche Gesichtspunkte anstel-
le von Emotionen in den Vordergrund und damit wächst
auch die Erkenntnis der Werte der unmittelbar zurücklie-
genden Epoche.
Die hohen Verluste an Denkmälern des Historismus waren
vor allem auf die geringe Wertschätzung der Kunstwerke
des 19. Jahrhunderts zurückzuführen. Sie wurden nicht
nach ihrem Geschichtswert, sondern vor allem nach ihrer
künstlerischen Aussage beurteilt, das heißt danach, inwie-
weit sie dem Kunstwollen der Gegenwart oder auch persön-
lichen ästhetischen Idealen entsprachen. Zeitgebundene
Urteile und künstlerisch-ästhetische Zielvorstellungen aber
sind einem relativ raschen Wandel unterworfen und mit ih-
nen ändern sich auch die Tendenzen die auf die Erhaltung
oder Erneuerung von bestimmten Werken der Vergangen-
heit abzielen (Abb. 12, 13, 14). In unserer schnellebigen Zeit
würde dies immer rascher aufeinanderfolgende Eingriffe
und damit immer wieder neuen Verlust an historischer Sub-
stanz bedeuten, der heute nicht mehr verantwortet werden
kann. Wenn es also Aufgabe von Denkmalschutz und Denk-
malpflege ist Denkmäler als anschauliche Dokumente der
Geschichte zu erhalten, dann müssen die Erhaltungsforde-
rungen für Denkmäler aller vergangenen Zeitepochen und
damit auch für die Denkmäler des 19. und der ersten Jahr-
zehnte des 20. Jahrhunderts gelten. Es kann nicht einer
Epoche der Vergangenheit der Geschichtswert aberkannt
werden, der für alle anderen selbstverständlicher Wertmaß-
stab ist.
Daß es Aufgabe der Denkmalpflege ist, den durch die Ge-
schichte authentisch gewordenen Zustand, das heißt die
auf uns überkommene Gestalt eines Denkmals, zu erhalten,
könnte fälschlich so verstanden werden, als sei jede in ver-
gangener Zeit vorgenommene Veränderung schutzwürdig
und jeder heutige Eingriff vom denkmalpflegerischen
Standpunkt aus abzulehnen. Es kann jedoch nicht Ziel der
denkmalpflegerischen Bemühungen sein, die Erzeugnisse
der Vergangenheit nur gleichsam in musealer Form zu er-
halten und damit auch die Kontinuität der geschichtlichen
Entwicklung zum Stillstand zu bringen. Im Gegensatz zum
Museumsobjekt steht das Denkmal gewissermaßen „im
Leben”. Teile des Denkmals, die einer ständigen Abnutzung
unterworfen sind, müssen gelegentlich erneuert werden.
Verändernde Eingriffe sind nicht nur vertretbar, wenn der
vorhandene Bestand durch frühere Eingriffe „auseinander-
restauriert” wurde oder in seiner Gesamterscheinung
schwerwiegend gestört ist, sondern auch dann, wenn ein

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