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Bálint, Zoltán [Hrsg.]
Die Architektur der Millenniums-Ausstellung — Wien, [1897]

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https://doi.org/10.11588/diglit.3730#0046
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SCHLUSSWORT.

LJie Millenniumsausstellung wurde am 3. November 1896
geschlossen. Trotz des trüben AVetters und des von Zeit zu Zeit
herabrieselnden Regens bewegte sich ein nach Zehntausenden
zählendes Publicum auf dem Ausstellungsgebiet, um von der dem
Tode geweihten Zauberstadt Abschied zu nehmen. Wir durch-
schritten noch einmal dieses Territorium, um den Orten, wo wir
während eines halben Jahres so oft und so gerne geweilt, Lebe-
wohl zu sagen, und bevor wir zur Gegenwart zurückkehren, in
den Hallen der historischen Ausstellung der uns vorgezauberten
Vergangenheit Valet zuzurufen. Und da, insbesondere angesichts
des Baucomplexes der historischen Ausstellung, bemächtigte sich
unser ein wehmüthiges Gefühl. Die aus den Nachahmungen der an
die ruhmvolle Vergangenheit erinnernden Steine componirten
Bauten veranlassten uns zum Nachdenken darüber, wie wenig wir
von den Baudenkmälern unserer tausendjährigen Vergangenheit
bewahren konnten. Vor unseren Augen tauchten abermals die-
jenigen Blätter unserer nationalen Geschichte auf, wo es ge-
schrieben steht, wie oft dieses reiche, gottgesegnete Land der
verheerenden Wuth der barbarischen Horden zum Opfer fiel,
dass dieses Land nach dem Tartarenzuge sozusagen das zweite
Mal gegründet werden musste; und als es sich dann auf die
höchste Stufe des wirtschaftlichen und culturellen Wohlstandes
erhoben hatte, fielen bei Mohäcs die Edelsten und Besten der
Nation im Kampfe gegen den Türken und die Nation musste
anderthalb Jahrhunderte lang das Joch der Barbaren tragen.
Ungarn, welches zur Zeit Ludwigs des Grossen zweimal so gross
war wie heute, wurde in Stücke gerissen, aber Europa, dessen
Hort es bildete, blieb von den Verheerungen des Islams verschont.
Die gebildeten Nationen wissen es, dass seit fünfthalbhundert
Jahren die Mittagsglocke heute noch die ruhmreiche Waffenthat
der Ungarn gegenüber den Türken verkündet.*)

Darf man sich angesichts solcher nationaler Missgeschicke
darüber verwundern, dass ein grosser Theil der Andenken unserer
einstigen Cultur zu Grunde ging?

Die Ausstellung hatte nebst der historischen auch eine
moderne Abtheilung, und versanken wir beim Anblicke unserer

*) Das Mittagsläuten wurde vom Papste Calixtus III. zum Andenken an den
glänzenden Sieg Johann Hunyady's bei Belgrad im Jahre 115u" angeordnet (Czobor).

historischen Andenken in liebevolles Nachsinnen, so schöpften wir
aus dem Bilde unseres gegenwärtigen Fortschrittes Kraft und
Zuversicht. Dasselbe können wir auch von unserer modernen
Architektur behaupten. Die Architektur der Ausstellung wurde
von einer jüngeren Architekten-Generation ins Leben gerufen.
Aus diesen architektonischen Objecten, aber auch aus der Ent-
wicklung unserer modernen heimischen Baukunst können wir
auch für die Zukunft den Schluss ziehen. Die riesig in Schwung
gerathene Architektur der Hauptstadt unseres Vaterlandes be-
rechtigt zu den schönsten Hoffnungen, und, obwohl noch in weiter
Zukunft weilend, sind doch schon verheissungsvolle Anzeichen
der Schaffung einer nationalen Architektur vorhanden. Das stets
intensivere Studium unserer architektonischen Kunstdenkmäler,
die Aufnahmen und Restaurirungen, die fleissigere Sammlung
unserer volksthümlichen Decorationsmotive und schliesslich eine
immer mehr zur Geltung kommende Tendenz, welche sowohl in
der Architektur, als auch in der Kunstindustrie den nationalen
Styl zu schaffen bestrebt ist, werden, wir sind dessen gewiss,
früher oder später ihre Früchte tragen.

Die Bestrebung, eine nationale Architektur zu schaffen, fand
nach dem schön begabten, aber früh verstorbenen Friedrich
Feszl, welcher bei der Budapester Redoute einen vielleicht ver-
fehlten Versuch eines Entwurfes in ungarischem Styl unternahm,
lange keine Nachfolger. Seine geistige Erbschaft wurde von
Edmund Lechner übernommen, welcher, unserer Ansicht nach,
diesmal richtig, aus der ungarischen Ornamentik ausgehend,
dieselbe in solchen architektonischen Formen anwendet, welche
der unserem Decorationsstyl am nächsten stehenden indischen
Decoration entsprechen. Sein feiner künstlerischer Sinn und seine
jugendliche Begeisterung- haben auf diesem Gebiete bereits viel
Hervorragendes geschaffen, und wir glauben, dass sein be-
geisterndes Beispiel nicht ohne Nachfolger bleiben wird. Das auf
dem Gebiet der Schwesterkünste auflebende Bestreben nach einer
nationalen Kunst kann auch für die Architektur nicht wirkungslos
bleiben, und wenn der ungarische Styl, in Folge der Natur der
Sache, auch nicht geschaffen werden kann, so liegt doch das
Entstehen einer Architektur nationalen Charakters vielleicht nicht
in allzu weiter Ferne ....

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