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Banck, Otto; Alte Pinakothek
Die Gallerien von München: eine Stahlstichsammlung der vorzüglichsten Gemälde der Königl. Pinakothek, der Herzogl. Leuchtenberg'schen und Schleißheimer Gallerien — Leipzig, Dresden: Verlag der Englischen Kunstanstalt von A. H. Payne, 1851

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https://doi.org/10.11588/diglit.55342#0017

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Christus als Knabe.
Vvn Carlo Dolce.

Da dies reizende Bild zu einfach ist, um sich nicht selbst zu erklären, so sei hier das noch
unbekannte Leben seines Meisters erzählt, dessen fromm-zarte innige Schöpfungen ihn zum Liebling
des gebildeten Salons, besonders aber aller kunstsinnigen Damen gemacht haben.
Es war gerade in dem Jahre 1616, in welchen zwei große Genien, Shakespeare und
Cervantes, von der Erde schieden, als zu Florenz am 25. Mai Carlo Dolce geboren wurde, —
4 Jahre also vor dem Ende des unsterblichen Rafael. Seine Eltern waren nur wenig bemittelt
und als Carlo kaum das Alter von 4 Jahren erreicht hatte, starb sein Vater. Da mehre Kinder
vorhanden waren und der Ernährer fehlte, gerieth die Familie in Armuth, und die Mutter, die
einen ungemein gottergebenen, stillen Charakter hatte, sah ihren einzigen Trost in dem sanften,
liebenswürdigen Knaben Carlino, wie man den jungen Dolce wegen seines sehr hübschen, wohl-
gefälligen Aeußern und seiner zarten Gestalt allgemein nannte. Sein friedliebender kindlicher
Tugendsinn ging so weit, daß er selbst andere Kinder zur Frömmigkeit und zum Abbeten des Ro-
senkranzes aufforderte. Diesen Eigenschaften verdankte er, daß die Freunde seiner geachteten
Familie sein Talent mit mehr Aufmerksamkeit als sonst zu geschehen pflegt, betrachteten, und man
ihn schon in seinem neunten Jahre zu Vingali in die Lehre gab, wo er so schnelle Fortschritte machte,
daß er schon nach zwei Jahren ein selbstständiges Bild, Christus als Knabe malte, das jedoch nicht
mit dem unfern zn verwechseln ist.
Zu Meister Jacopo Vingali zu kommen, war schon immer die Sehnsucht Carliuos gewesen.
Nicht etwa weil dieser Maler ein überaus freundlicher Mann und ein geachteter Künstler war,
sondern weil er zu des beliebten Matteo Rosalli besten Schülern gehörte und das Atelier eines
Genius inne hatte, von dem ganz Florenz des Lobes und der Bewunderung voll war. Es war
die Werkstätte des gefeierten Andrea del Sarto. Oft wanderte Carlo in die Kirche St. Annun-
ziata, wo jener Meister seine Freskobilder den hinterlistigen Mönchen für 10 Skndi malen mußte,
und zeichnete mit kindlicher Andacht die schönen lieblichen Köpfe derselben nach, oder er ging zur
Porta a Pinti hinaus und blickte mit weicher, bang begeisterter Sehns ucht in dem Schein der
gelben Abendsonne zur Spitze jenes Berges, auf welchem Fiesole, die uralte Gebnrtsstätte vom
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