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Bastine, Reiner [Editor]
Klinische Psychologie (Band 2): Klinische Psychodiagnostik, Prävention, Gesundheitspsychologie, Psychotherapie, psychosoziale Intervention — Stuttgart, Berlin, Köln, 1992

DOI Page / Citation link:
https://doi.org/10.11588/diglit.16130#0068
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6. Klinische Psychodiagnostik

Erschwert wird die Korrektur fehlerhaften Urteilens dadurch, daß bei negativen Ent-
scheidungen typischerweise das Geschehen nicht weiter verfolgt wird, z.B. bei Ab-
lehnung einer Behandlungsmaßnahme oder Behandlungsabbruch. Wenn die verbliebe-
nen Fälle erfolgreich behandelt werden, kann dadurch ein verfälschtes Feedback ent-
stehen, das die Einschätzung der eigenen Urteilskompetenz verstärkt (Einhorn & Ho-
garth, 1981). Offenbar tragen mehr und gewichtigere Faktoren zur Stabilisierung der
Urteilskompetenz bei als angemessen ist.

Wie kann diese fatale Überschätzung, der eben auch erfahrene Kliniker unterlie-
gen, abgebaut werden? Anscheinend ist es ungeheuer schwer, Experten zu einer Ver-
änderung ihres Beurteilungsverhaltens zu bewegen; anstelle gut gemeinter Ratschläge
leisten Workshops und ausgefeilte Argumentationen schon wesentlich brauchbarere
Hilfen (vgl. Dawes, 1986):

Aus der Analyse von EntScheidungsprozessen weiß man, daß beispielsweise die
Repräsentativitäts-Heuristik eine besondere Stellung in der klinischen Urteilsbildung
einnimmt. Die Repräsentativitäts-Heuristik (s. Tab. 6.5.) besagt, daß eine Vorhersage
dann zutreffender sein wird, wenn Prädiktor und Kriterium einander ähnlich sind, da
angenommen wird, daß das Kriterium in gewissem Maß durch die Prädiktoren reprä-
sentiert wird. Diese Annahme ist zweifellos vernünftig, jedoch ist bei einer diagnosti-
schen oder prognostischen Beurteilung die jeweilige Basisrate in Rechnung zu stellen,
auf die sich die Aussage bezieht. So führt beispielsweise ein hoher Wert auf der De-
pressions-Skala des MMPI recht häufig zur Diagnose "Depression", obwohl der prä-
diktive Zusammenhang lediglich 0,10 beträgt und die Basisrate der Depression mit
nur etwa einem Fall auf 1.000 Patienten sehr niedrig ist.

Andererseits werden auch Aussagen über eine Person schnell akzeptiert, wenn sie
sozialen Stereotypen entsprechen ("Sie haben eine starkes Bedürfnis, von anderen an-
erkannt zu werden"). Die meisten Personen werden derartige Beschreibungen als ge-
naue Schilderungen ihrer Person wahrnehmen, obwohl sie nahezu auf jedermann zu-
treffen (Barnum-Effekt: Snyder et al., 1977). Kliniker laufen nun Gefahr, ihren Kli-
enten solche hoch wahrscheinlichen Beschreibungen zu vermitteln - mit der Folge, daß
die Bestätigung der Klienten ihn oder sie in der Überzeugung festigt, die richtige In-
terpretation geleistet zu haben (vgl. Türk & Salovey, 1985).

Es ist zu hoffen, daß die genauere Kenntnis von Entscheidungsabläufen und Feh-
lerquellen dazu führt, den Unzulänglichkeiten des Beurteilungsprozesses aktiv zu be-
gegnen (vgl. Kahneman et al., 1982). Entscheidende Verbesserungen sind jedoch erst
durch systematische Hilfen bei der Erhebung, Speicherung und Auswertung der In-
formationen zu erwarten. Diese diagnostischen Hilfen beginnen beim schlichten Regi-
strieren und Niederschreiben der ermittelten Basisraten problematischer Ereignisse,
um so die typische Überschätzung der Häufigkeit klinisch relevanter Ereignisse zu er-
kennen und damit das "pathologische Vorurteil" zu korrigieren, das nahezu zwangs-
läufig mit dem klinischen Kontext verbunden zu sein scheint. Weitere Verbesserungen
sind mit computergestützter diagnostischer Informationsverarbeitung zu erreichen
(vgl. Kleinmuntz, 1984; Dawes, 1986). Eindeutig überlegen ist die computergestützte

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