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Bastine, Reiner [Editor]
Klinische Psychologie (Band 2): Klinische Psychodiagnostik, Prävention, Gesundheitspsychologie, Psychotherapie, psychosoziale Intervention — Stuttgart, Berlin, Köln, 1992

DOI Page / Citation link:
https://doi.org/10.11588/diglit.16130#0067

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6.7. "Klinische Methode" und Klinische Urteilsbildung

Eine Reihe von Untersuchungen hat sich mit den Fehlerquellen der diagnostischen
Urteilsbildung befaßt. In Tabelle 6.5 werden einige häufig auftretende Urteilsfehler
dargestellt, die während der Datenerhebung, bei der Urteilsbildung, der Darstellung
der Ergebnisse und der Korrektur (Feedback) des diagnostischen Urteils begangen
werden.

Wiggins (1981, S. 14) hat die vorliegenden Forschungsergebnisse zur klinischen Ur-
teilsbildung ironisch in vier Frage-Antwort-Sequenzen zusammengefaßt:

(a) Ist die klinische Urteilsbildung in ihrer Leistungsfähigkeit in irgendeiner Weise
herausragend? Das heißt, können Kliniker besser als normale Leute unbestimmte
Ergebnisse vorhersagen? Antwort: wahrscheinlich nicht.

(b) Ist irgend etwas Besonderes an dem Beurteilungsproze/J von Klinikern? Antwort:
wahrscheinlich nicht.

(c) Sind die Beurteilungsfehler von Klinikern entscheidend anders als die anderer pro-
fessioneller Entscheider (z.B. Börsenmakler, Ärzte, Elektroingenieure)? Antwort:
sicher nicht.

(d) Also unter der Voraussetzung, daß Kliniker, Laien und andere Professionelle im
gleichen Boot sitzen: Wie sollte man die charakteristischen Beurteilungs- und
Schlußfolgerungsstrategien im Hinblick auf die Anforderungen an wissenschaftli-
ches Schlußfolgern bewerten? Antwort: mit 4-.

Äußerst bedenklich ist jedoch, daß die Ungenauigkeit des eigenen Urteils in deutli-
chem Kontrast zum Vertrauen in die eigene Urteilsfähigkeit steht - dies hat die Er-
forschung der klinischen Urteilsbildung, des Entscheidungsverhaltens von Experten
und der von ihnen abgegebenen Wahrscheinlichkeitsschätzungen unmißverständlich
gezeigt (u.a. Einhorn & Hogarth, 1978). Diesen nachgewiesenen Schwächen der Ur-
teilsbildung zum Trotz haben die meisten Professionellen ein hohes Vertrauen in ihre
Urteilskraft. Kahneman & Tversky (1973) konnten zeigen, daß Menschen ihrem
Urteil sehr vertrauen, wenn die ihnen vorliegenden Informationen in sich konsistent
und/oder extrem sind, obwohl gerade diese Faktoren zu vorsichtigeren Urteilen füh-
ren sollten. Die beiden Autoren bezeichnen es als Validitäts-Illusion, wenn Urteilende
bei hoch fehleranfälligen Entscheidungen ihre Sicherheit in ihre eigene Urteils-
fähigkeit beibehalten. Die Persistenz der Validitäts-Illusion hat mehrere Gründe:

- Es werden oft keine Informationen gesucht und verwendet, die gegen die bisherige
Beurteilung sprechen könnten.

- Der Einfluß von Umweltbedingungen auf die Prognose wird unzureichend berück-
sichtigt.

- Bei der Kodierung, Speicherung und Verarbeitung der Informationen werden keine
Gedächtnishilfen verwendet (Einhorn & Hogarth, 1978, S. 413).

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