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Bastine, Reiner [Hrsg.]
Klinische Psychologie (Band 2): Klinische Psychodiagnostik, Prävention, Gesundheitspsychologie, Psychotherapie, psychosoziale Intervention — Stuttgart, Berlin, Köln, 1992

DOI Seite / Zitierlink:
https://doi.org/10.11588/diglit.16130#0422

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12.10. Schlußbemerkungen

Psychosoziale Intervention steht und verändert sich in einem hochkomplexen Span-
nungsfeld von allgemein gesellschaftlichen Entwicklungen, sozialpolitischen Konstel-
lationen, administrativ-institutionellen Rahmensetzungen, Wissenschaftsentwicklungen
und Professionalisierungsbemühungen psychosozialer Berufe. Sie strebt zugleich eine
Verbesserung individueller Problem- und Lebenslagen, die in einem nicht minder
komplexen Netz gesellschaftlicher und zwischenmenschlicher Widersprüche und Kon-
flikte stehen und entstehen und in denen die Betroffenen zumeist hoffnungslos ver-
strickt scheinen. Der professionelle Helfer möchte sich zuvorderst sicherlich für die
Belange der Betroffenen (Patienten und Klienten) engagieren. Er befindet sich jedoch
immer zugleich in der Rolle des Sachverwalters öffentlicher, administrativer, institu-
tioneller und professioneller Interessen. Und er soll schließlich die häufig gegenüber
der sozialpädagogischen und psychologischen Intervention abweisend eingestellte Le-
benswelt des Betroffenen in Rechnung stellen. Wie dann jedoch intervenieren, ohne
irgendeine der genannten Interessensphären oder Rahmensetzungen zu verletzen?

Es gibt in den vergangenen Jahren nicht gerade wenig Versuche, normative Leitli-
nien für eine Begründung psychosozialer Intervention zu entwickeln und zu diskutie-
ren (vgl. für den deutschsprachigen Bereich z.B. Grumiller & Strotzka 1981;
Hörmann & Nestmann, 1988; Keupp & Rerrich, 1982; Keupp & Zaumseil, 1978;
Kleiber & Rommelspacher, 1986). Kardorff (1988) hat jüngst den Versuch unter-
nommen, einige der dabei deutlich werdenden Prinzipien für eine "Ethik der Inter-
vention" herauszuarbeiten. Zusammengefaßt sind diese (ausführlich begründet bei
Kardorff, 1988, S. 319 f.):

- Gewährleistung des Selbstverfügungsrechts des Betroffenen als Grenze von Interventionen;

- Transparenz der Intervention und ihrer absehbaren Folgen;

- möglichst weitgehende Konsensherstellung bei Interventionen;

- Prinzip der Freiwilligkeit der Intervention als Normalfall;

- Abschätzung und Gewährleistung des geringstmöglichen Risikos für die Betroffenen (sozial-kon-
textuelle und finanzielle Folgekosten);

- Prinzip der Vorläufigkeit (Antizipation möglicher Korrekturen der Intervention);

- Einrichtung unabhängiger Kontrollinstanzen und -gremien für institutionelle Interventionsmaßnah-
men und Programme;

- Parteilichkeit und Solidarität (insbesondere bei ausgegrenzten und in ihren Durchsetzungschancen
eingeschränkten Minderheiten);

- Anpassung, Korrektur und Überprüfung der Interventionskonzeption durch die individuell vorliegen-
den kultur-, religions-, geschlechts- und schichtspezifischen Gegebenheiten;

- historische Vergewisserung über den gesellschaftlichen Entstehungszusammenhang spezifischer Dia-
gnosen, professioneller Traditionen, rechtlicher Regulierungen und institutioneller Gegebenheiten,
um die historisch spezifische gesellschaftliche Funktion der Interventionsgrundlagen und ihrer Praxis
verorten und bewerten und gegebenenfalls gezielte Verzweigungen organisieren zu können.

Die Handlungsprinzipien betonen erneut die grundlegende Akzeptanz und Förderung
der Eigenverantwortung als übergeordnetes Ziel psychosozialer Intervention. Profes-

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