Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Bastine, Reiner [Hrsg.]
Klinische Psychologie (Band 2): Klinische Psychodiagnostik, Prävention, Gesundheitspsychologie, Psychotherapie, psychosoziale Intervention — Stuttgart, Berlin, Köln, 1992

DOI Seite / Zitierlink:
https://doi.org/10.11588/diglit.16130#0020

DWork-Logo
Überblick
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
6.2. Möglichkeiten und Zugänge zur Klinischen
Psychodiagnostik

In der Psychotherapieforschung ist es seit langem üblich und mittlerweile Standard,
für die Beurteilung des Behandlungserfolges verschiedene Beurteiler und unterschied-
liche Merkmalsbereiche heranzuziehen (vgl. Lambert et al., 1983; Rogers &
Dymond, 1954; Strupp et al., 1977). Diesem Vorgehen liegt die berechtigte Annahme
zugrunde, daß verschiedene Personen das Behandlungsergebnis aus unterschiedlichem
Blickwinkel beurteilen und daß sich in verschiedenen Merkmalsbereichen qualitativ
unterschiedliche Veränderungen zeigen. Zur Beurteilung werden also verschiedene
Datenquellen (Informanten), Datenebenen (psychologische Merkmalsbereiche) und
diagnostische Methoden herangezogen. Die Kombination verschiedener Erhebungs-
methoden wird programmatisch als multimethodale Diagnostik, die Kombination
verschiedener Datenebenen als multimodale Diagnostik bezeichnet (Campbell &
Fiske, 1959; Fahrenberg, 1987; Fiske, 1971, 1987; Nay, 1979; Seidenstücker &
Baumann, 1978, 1987).

In diesem Kapitel möchte ich vor allem zwei Aspekte der klinischen Psychodiagnostik erörtern: Das Er-
fassen klinisch-psychologischer Merkmale durch verschiedene Datenquellen und Beurteiler sowie das
Erfassen der persönlichen Entwicklungsgeschichte in Biografik und Anamnese. Den Abschluß bildet
eine Ubersicht und Systematisierung der psychodiagnostischen Möglichkeiten und Zugänge der Daten-
gewinnung. Auf die Erhebung verschiedener Datenebenen (Modalitäten) wird in Kap. 6.5. eingegan-
gen.

# Verschiedene Datenquellen und Beurteiler

Bei klinisch-psychologischen Problemstellungen ist im allgemeinen sehr schnell klar,
daß "ein Problem sehr viele Seiten hat" und daß verschiedene Personen in der Regel
recht unterschiedliche Urteile darüber abgeben. So kann der Klient aufgrund seiner
Störung sich selbst und seine Situation unter Umständen nicht mehr angemessen ein-
schätzen. Andererseits beeinflußt auch der Grad der Involviertheit einer Person die
Beurteilungsgenauigkeit: Bei einer geringeren persönlichen Verwicklung in die jewei-
ligen Probleme wird man eine neutralere und deshalb genauere diagnostische Beur-
teilung erwarten können. In jedem Fall werden die Beurteilungsperspektiven von un-
terschiedlichen Voreinstellungen, eigenen Motiven, "naiven" Erklärungen usw. des
Urteilenden beeinflußt, so daß die Unterschiedlichkeit auch durch den jeweiligen Le-
benskontext bedingt wird. Daher ist die Frage außerordentlich wichtig, wer die In-
formationen liefert und von wem sie ausgewertet werden.

Wenn man das Bemühen um eine möglichst vollständige Erfassung des Geschehens
in den Vordergrund rückt, müßte man versuchen, möglichst viele Informanten heran-
zuziehen. Als Quellen werden in diesem Fall meist Klient, Untersucher (Therapeut),
Bezugspersonen des Klienten (nahestehende andere, wie Partner oder Angehörige)
sowie unabhängige und geschulte Experten herangezogen (für die empirische Psy-
chotherapie-Forschung vgl. Lambert et al., 1983).

6
 
Annotationen