Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Bastine, Reiner [Hrsg.]
Klinische Psychologie (Band 2): Klinische Psychodiagnostik, Prävention, Gesundheitspsychologie, Psychotherapie, psychosoziale Intervention — Stuttgart, Berlin, Köln, 1992

DOI Seite / Zitierlink:
https://doi.org/10.11588/diglit.16130#0057

DWork-Logo
Überblick
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
6.6. Behandlungsorientierte Psychodiagnostik

Eine der wesentlichsten Aufgaben der Klinischen Psychodiagnostik liegt in dem Erhe-
ben relevanter Informationen für die psychologische Behandlung, vor allem von Vor-
bedingungen und prognostischen Merkmalen, von Verlaufs- und Ergebnis-Indikato-
ren. Da im Laufe der letzten beiden Jahrzehnte die Anzahl und Bedeutung psychologi-
scher Behandlungen erheblich zugenommen hat, ist auch der Bedarf an geeigneten
diagnostischen Ansätzen und Verfahren gestiegen, ohne daß die entsprechenden
Grundlagen durch die traditionelle psychologische Diagnostik bereitgestellt werden
konnten. Für das Erfassen von Veränderungsprozessen fehlten daher zunächst eine
Reihe von konzeptuell-theoretischen und methodischen Vorarbeiten (vgl. Bastine,
1975).

Impulse für die neue, behandlungsorientierte Diagnostik entstanden hauptsächlich
im Rahmen der Verhaltenstherapie. Mit der Entwicklung und klinischen Erprobung
der Verhaltensanalyse (vgl. Kap. 6.4.1.) setzte eine intensive Diskussion über die
theoretischen und methodologischen Unterschiede zwischen der herkömmlichen Dia-
gnostik und den neuen Methoden der Verhaltensdiagnostik ein (vgl. Goldfried &
Kent, 1972; Schulte, 1974, 1976, 1986; Westmeyer, 1972, 1976). Inzwischen werden
die Beiträge aus den verschiedenen Behandlungsansätzen unter dem Begriff der
behandlungsorientierten Diagnostik zusammengefaßt. Überblicke finden sich u.a.
bei Bommert & Höckel (1981), Fischer (1985), Plaum (1982) und Zielke (1982a).

Aus der klientenzentrierten (i.e.S. humanistischen) und der verhaltenstherapeuti-
schen Tradition heraus haben sich zwei Arten einer behandlungsbezogenen Diagnostik
entwickelt, die Jüttemann (1984) als "therapeutische" und als "qualifizierende" Dia-
gnostik bezeichnet. Beide Auffassungen lassen sich idealtypisch unterscheiden:

# Mit der therapeutischen Diagnostik wird eine unmittelbare Rückwirkung auf den
Behandlungsprozeß angestrebt, da das diagnostische Ergebnis umgehend von den Be-
teiligten verarbeitet und zur Veränderung genutzt werden soll. Das diagnostische Vor-
gehen hat also eine selbst-reflexive Funktion und wird als direkte Hilfe für einen Kli-
enten eingesetzt und verstanden. Durch die diagnostischen Mittel sollen der Klient
oder die Klientin selbst in die Lage versetzt werden, den Prozeß der Veränderung
nach den eigenen Erkenntnissen und Bedürfnissen zu steuern; die diagnostischen Me-
thoden dienen in erster Linie der Unterstützung dieses Prozesses.

Allgemein lassen sich alle diejenigen Vorgehensweisen hier einordnen, in denen
die Selbstsicht der Person und die selbst wahrgenommene Problemkonstellation erfaßt
werden sollen. In weniger formalisierter Weise dienen dazu Verfahren der Problem-
oder Zustandsbestimmung, wie etwa die Ermittlung der therapeutischen Problemdefi-
nition (vgl. Kap. 10.3.1.) oder auch Bilanzsitzungen, in denen die bisher erreichten
therapeutischen Veränderungen reflektiert werden.

43
 
Annotationen