11.3. Argumentation und Instruktion
11.3.1. Sprache als Orientierung
Die Sprache ist sicher das evolutionär jüngste Produkt der Hirnentwicklung der Säu-
ger. Im Gegensatz zu Zeichensprachen, über die viele Tierarten verfügen, scheint sie
in symbolisch-konnotativer und abstrakt-logischer Form für den Menschen typisch.
Sprachliche Konstruktionen haben in Form von Gesetzen, Dogmen und Philosophien
das Zusammenleben der Menschen in ebenso großem Ausmaß geprägt wie die anima-
lischen Affekte und Reflexe. Es liegt daher nahe, die Sprache als Medium zur Behe-
bung psychischer Probleme zu nutzen.
Die frühen philosophischen Systeme waren viel stärker auch Lebensphilosophien, als es die heutige
Philosophie ist. Die Kyniker (Diogenes, 404-314 v. Chr.) und die Hedonisten (Kyrenaiker, z.B.
Aristipp, 435-365 v. Chr.) vertraten gegensätzliche Lehren vom asketischen und lustvollen Lebenswan-
del (vgl. De Crescenzo, 1985, 1988). Die Heilslehren von Buddha, Laotse und Konfuzius (im 6. bis 4.
Jahrhundert v. Chr.) dagegen strebten den Weg der Mitte bzw. die Vermeidung einseitiger Extreme an.
Epikur (270 v. Chr.) und die Stoiker (Epiktet, Seneca, beide im 1. Jahrhundert n. Chr.) wollten durch
Unerschütterlichkeit eine psychisch gesunde Lebensweise vermitteln. Auch Sokrates (469-399 v. Chr.)
war in Piatons Augen so etwas wie ein Psychotherapeut. Allen gemeinsam scheint das Ziel, das Leiden
des Menschen zu verringern (vgl. Jaspers, 1959). Dabei spielt die Vernunft eine entscheidende Rolle.
Sokrates z.B. versucht, Menon mit scheinbar logischen Argumenten davon zu überzeugen, daß dieser
die Tugend der Güte - entgegen seiner Behauptung - nicht kenne. Er verstrickt ihn dabei in Widersprü-
che, bis er aufgibt. Damit hat er sein Ziel erreicht, nämlich das Eingeständnis des Nichtwissens, das für
Sokrates der erste Schritt zur wahren Tugend und damit zur seelischen Gesundheit ist. Im Falle des
Charmides ist es sogar die psychosomatische Gesundheit, denn Sokrates behandelt ihn vordergründig
wegen seiner Kopfschmerzen (Piaton, 1957).
An die Kraft des Arguments knüpft die kognitive Therapie an, indem sie der Ver-
nunft Priorität gegenüber dem Gefühl einräumt (Grundannahmen zum kognitiven Mo-
dell: Band I, Kap. 2.2.2.4.; zur kognitiven Störungstheorie: Band I, Kap. 5.3.3.)
Typischerweise und paradoxerweise zielen kognitiv-therapeutische Strategien auf eine
Steuerung und Kontrolle des Affekts. Damit entsteht ein deutlicher Gegensatz zu den
erlebnisorientierten Therapieformen (s. vorangehendes Kapitel). Beide Behandlungs-
ansätze nutzen jeweils unterschiedliche Möglichkeiten: Sowohl eine emotionale als
auch eine rationale Orientierung einer Person können jeweils zu einer inneren Reprä-
sentation der momentanen Lage (Gefühl, Gedanke), zu einer Kommunikationsmög-
lichkeit (Ausdruck, Sprache), zu einer Erinnerung (episodisches und propositionales
Gedächtnis) und zu Handlungsentwürfen führen. Beide Mechanismen können eine
gewisse Unabhängigkeit und auch Gegensätzlichkeit zeigen, d.h. Vernunft und Gefühl
können einander widersprechen und zu Konflikten führen. Die kognitive Therapie be-
vorzugt die eine Wirkungsrichtung, indem sie den Klienten anhält, durch geeignete
Gedanken und Selbstinstruktionen seine Gefühlslage zu verbessern.
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11.3.1. Sprache als Orientierung
Die Sprache ist sicher das evolutionär jüngste Produkt der Hirnentwicklung der Säu-
ger. Im Gegensatz zu Zeichensprachen, über die viele Tierarten verfügen, scheint sie
in symbolisch-konnotativer und abstrakt-logischer Form für den Menschen typisch.
Sprachliche Konstruktionen haben in Form von Gesetzen, Dogmen und Philosophien
das Zusammenleben der Menschen in ebenso großem Ausmaß geprägt wie die anima-
lischen Affekte und Reflexe. Es liegt daher nahe, die Sprache als Medium zur Behe-
bung psychischer Probleme zu nutzen.
Die frühen philosophischen Systeme waren viel stärker auch Lebensphilosophien, als es die heutige
Philosophie ist. Die Kyniker (Diogenes, 404-314 v. Chr.) und die Hedonisten (Kyrenaiker, z.B.
Aristipp, 435-365 v. Chr.) vertraten gegensätzliche Lehren vom asketischen und lustvollen Lebenswan-
del (vgl. De Crescenzo, 1985, 1988). Die Heilslehren von Buddha, Laotse und Konfuzius (im 6. bis 4.
Jahrhundert v. Chr.) dagegen strebten den Weg der Mitte bzw. die Vermeidung einseitiger Extreme an.
Epikur (270 v. Chr.) und die Stoiker (Epiktet, Seneca, beide im 1. Jahrhundert n. Chr.) wollten durch
Unerschütterlichkeit eine psychisch gesunde Lebensweise vermitteln. Auch Sokrates (469-399 v. Chr.)
war in Piatons Augen so etwas wie ein Psychotherapeut. Allen gemeinsam scheint das Ziel, das Leiden
des Menschen zu verringern (vgl. Jaspers, 1959). Dabei spielt die Vernunft eine entscheidende Rolle.
Sokrates z.B. versucht, Menon mit scheinbar logischen Argumenten davon zu überzeugen, daß dieser
die Tugend der Güte - entgegen seiner Behauptung - nicht kenne. Er verstrickt ihn dabei in Widersprü-
che, bis er aufgibt. Damit hat er sein Ziel erreicht, nämlich das Eingeständnis des Nichtwissens, das für
Sokrates der erste Schritt zur wahren Tugend und damit zur seelischen Gesundheit ist. Im Falle des
Charmides ist es sogar die psychosomatische Gesundheit, denn Sokrates behandelt ihn vordergründig
wegen seiner Kopfschmerzen (Piaton, 1957).
An die Kraft des Arguments knüpft die kognitive Therapie an, indem sie der Ver-
nunft Priorität gegenüber dem Gefühl einräumt (Grundannahmen zum kognitiven Mo-
dell: Band I, Kap. 2.2.2.4.; zur kognitiven Störungstheorie: Band I, Kap. 5.3.3.)
Typischerweise und paradoxerweise zielen kognitiv-therapeutische Strategien auf eine
Steuerung und Kontrolle des Affekts. Damit entsteht ein deutlicher Gegensatz zu den
erlebnisorientierten Therapieformen (s. vorangehendes Kapitel). Beide Behandlungs-
ansätze nutzen jeweils unterschiedliche Möglichkeiten: Sowohl eine emotionale als
auch eine rationale Orientierung einer Person können jeweils zu einer inneren Reprä-
sentation der momentanen Lage (Gefühl, Gedanke), zu einer Kommunikationsmög-
lichkeit (Ausdruck, Sprache), zu einer Erinnerung (episodisches und propositionales
Gedächtnis) und zu Handlungsentwürfen führen. Beide Mechanismen können eine
gewisse Unabhängigkeit und auch Gegensätzlichkeit zeigen, d.h. Vernunft und Gefühl
können einander widersprechen und zu Konflikten führen. Die kognitive Therapie be-
vorzugt die eine Wirkungsrichtung, indem sie den Klienten anhält, durch geeignete
Gedanken und Selbstinstruktionen seine Gefühlslage zu verbessern.
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