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Bastine, Reiner [Hrsg.]
Klinische Psychologie (Band 2): Klinische Psychodiagnostik, Prävention, Gesundheitspsychologie, Psychotherapie, psychosoziale Intervention — Stuttgart, Berlin, Köln, 1992

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https://doi.org/10.11588/diglit.16130#0273

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10.4. Klientenmerkmale, Differentielle Psychotherapie und Indikation

rapeutischen Behandlung (z.B. der Behandlungsmethoden oder des therapeutischen
Verhaltens) und dem zeitlichen Ablauf.

Kiesler ist mit seinem Beitrag einer der Wegbereiter einer differentiellen Auffas-
sung von der Psychotherapie. Er versuchte damit den "Mythos" auszuräumen, Psy-
chotherapie sei ein einheitlicher, in sich homogener Prozeß. Zugleich förderte er da-
mit ein übergreifendes Verständnis der Psychotherapie, da verschiedene Therapiefor-
men in diese Rahmenvorstellung eingeordnet werden können. Sein Modell ist als For-
schungsprogramm zu verstehen, durch das definiert wird, welche Einflüsse auf den
psychotherapeutischen Prozeß und dessen Ergebnis einwirken. Es lassen sich daraus
jedoch noch keine Entscheidungen über das konkrete psychotherapeutische Handeln
ableiten. Gibt die Differentielle Psychotherapie gewissermaßen das programmatische
Rahmenkonzept vor, orientiert sich die Leitfrage der differentiellen Indikation an Ent-
scheidungen, die über die Behandlung zu treffen sind: "Welche Behandlung, von wem
durchgeführt, ist für diese Person mit diesem spezifischen Problem und unter welchen
Rahmenbedingungen am effektivsten?" (Paul, 1967, S. 111; Ü.d.A.).

# Der Begriff der Indikation;. Der Begriff der Indikation stammt aus dem Medizi-
nischen und bedeutet, daß in einem bestimmten Krankheitsfall ein zwingender Grund
zur Anwendung eines bestimmten Heilverfahrens besteht. Eine Kontraindikation be-
deutet, daß ein bestimmtes Heilverfahren nicht angewendet werden darf, weil es z.B.
die Krankheit fördert oder zu nicht vertretbaren Nebenwirkungen führt. Diese Defini-
tion der Indikation setzt allerdings voraus, daß eine Krankheit jeweils nur mit einem
bestimmten Verfahren behandelt werden sollte, nämlich demjenigen, das die Ursachen
der Krankheit beseitigt (kausale Indikation). Auch in der Medizin ist diese Vorausset-
zung jedoch häufig nicht gegeben, so daß in der Definition eher eine Idealvorstellung
zum Ausdruck kommt. Für die Psychotherapie erscheint ein solches Indikationsmodell
nicht angemessen, weil psychische Störungen in der Regel multikausal und transaktio-
nal verursacht sind. Daher wird man auch nicht von kausalen psychologischen Inter-
ventionen in Sinne der Beseitigung der ursächlichen Bedingungen einer Störung aus-
gehen können (vgl. Band I, Kap. 2.2.). Die psychotherapeutische Indikation ist ein
komplexer Beurteilungsprozeß, in den empirische, theoretische und klinische Er-
kenntnisse über die psychische Störung (Pathopsychologie) und über die Wirksamkeit
und Wirkungsweise psychologischer Behandlungsverfahren eingehen. Ziel dieses Pro-
zesses ist es, eine systematische Auswahl der am besten geeigneten Behandlungsbe-
dingungen vorzunehmen.

Überblicke zur klinisch-psychologischen Indikation geben u.a. Baumann (1981),
Beutler & Clarkin (1990) und Grawe (1978, 1982b).

9 Psychotherapie als Prozeß des Problemlösens. Die psychotherapeutische Be-
handlung kann - wie auch andere Formen klinisch-psychologischer Intervention - als
eine praktische Problemlösung angesehen werden. Indikationsentscheidungen dienen
der Optimierung dieser Problemlösung, indem sie die Auswahl der "besten" Behand-

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