Die deutsche Bewegung. (Rückblick.)
743
III. Rückblick.
Seitdem Deutschland nach Verbreitung des äussern Friedens wieder sich
selbst angehört, sind Bestrebungen mannigfacher Art hervorgetreten, die Zu-
kunft des Volkes in wahrhaft organischer Weise mit seiner Vergangenheit ver-
knüpft zu sehen und darum ein aus dem freien Vertrauen der Nation selbst
hervorgegangenes Organ zu begehren, um von dessen Beirath und Zustimmung
die politischen Schicksale des gemeinsamen Vaterlandes abhängig zu machen.
Schon in den ersten Jahren nach den Kriegen gegen Napoleon hatte Deutsch-
land seine sogenannten demagogischen Umtriebe, politischen Untersuchungen
und Bestrafungen. Unverkennbar ist indess die Bewegung weit umfassender
und massenhafter geworden; dies zwar unter dem äusseren Einflüsse erschüt-
ternder Weltbegebenheiten, die sich aber, wenngleich in andern Formen, von
Zeit zu Zeit wiederholen können. Solche Erscheinungen sind kein bedeutungs-
loses Spiel auf der wie zufällig bewegten Oberfläche des Völkerlebens und
wollen nicht blos nach ihrem äusserlichen Thatbestande, sondern auch in ihren
tiefer liegenden Ursachen erfasst und gewürdigt sein.
Durch den Präsidenten der Bundescentralbehörde ward in einer bekannten
„Darlegung“ (1838) der geschichtliche Zusammenhang jener Bestrebungen unter
andern folgendermaassen geschildert: „Es sei bei denen, welchen der Sinn für
die wahre innere Einheit Deutschlands abgegangen, das Verlangen nach einer
äusserlich sichtbaren entstanden. Die schon durch die erste französische Revo-
lution hervorgerufenen revolutionairen Ideen über die Verhältnisse der Fürsten
und Völker seien nun in der ersten äussern Ruhe des Friedens bei Einzelnen
mit grösserer Kraft zum Vorschein gekommen, und Manche, von allen Rechts-
principien losgelöst, hätten sich auf den verschiedensten Stufen der Träumereien,
der die innern Verhältnisse der Völker umwälzenden Theorien ergeben. Hier-
nach hätten sich Mehrere schon bald nach dem Kriege von 1815 eine deutsche
Republik als das zu erreichende Ziel vor Augen gestellt. Diesem Ziele habe
man sich auf indirectem Wege allmälig zu nähern gesucht, indem man unter
theils wohlbewusster, theils unbewusster Verwechselung der Begriffe laut und
leidenschaftlich Constitutionen im ausländischen Sinne gefordert und in engli-
scher und französischer Weise eine Gesammtrepräsentation des deutschen Volkes
verlangt habe. So sei zuerst ein seitdem sehr wirksam gewordenes, seiner
Natur nach undeutsches Element in den bis dahin doch wenigstens national auf-
gefassten Kampf eingetreten.“
Gegen diese Anführungen erhob die sogenannte liberale Partei in Deutsch-
land andauernd Widerspruch: „Wer das Verlangen nach einer äusserlich sicht-
baren Einheit in sich trage, dem fehle darum noch nicht der Sinn für die wahre
innere Einheit; denn es gebe im Völkerleben nichts wahrhaft Innerliches, was
sich nicht äusserlich zu gestalten, was sich nicht nothwendig ein Organ seines
Daseins zu verschaffen suche. Habe man in englischer und französischer Weise
eine Gesammtrepräsentation des deutschen Volkes verlangt, so sei doch diese
Repräsentation ein wesentlich germanisches Institut, und habe man Constitu-
tionen im ausländischen Sinne gefordert, so sei dies ebensowenig undeutsch,
als es etwa unenglisch gewesen, dass sich Grossbritannien die Principien der
auf deutschem Boden entstandenen Reformation in seiner Weise angeeignet.
Denn äusser dem eigenthümlichen Nationalen gebe es zugleich einen allgemeinem
Zeitcharacter, wonach bei allen Nationen, die in näherem Verkehr, in ununter-
brochenem Austausche von Ansichten und Einsichten stehen, nothwendig auch
ähnliche Bedürfnisse und Ansprüche zum Vorschein kommen müssten.“
Wie feindliche Heere standen sich die politischen Parteien gegenüber, als
das Jahr 1848 mit seinen Stürmen hereinbrach; jede hatte ihren Tross, ihre
Kämpfer, ihre geistigen Führer und Häupter.
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III. Rückblick.
Seitdem Deutschland nach Verbreitung des äussern Friedens wieder sich
selbst angehört, sind Bestrebungen mannigfacher Art hervorgetreten, die Zu-
kunft des Volkes in wahrhaft organischer Weise mit seiner Vergangenheit ver-
knüpft zu sehen und darum ein aus dem freien Vertrauen der Nation selbst
hervorgegangenes Organ zu begehren, um von dessen Beirath und Zustimmung
die politischen Schicksale des gemeinsamen Vaterlandes abhängig zu machen.
Schon in den ersten Jahren nach den Kriegen gegen Napoleon hatte Deutsch-
land seine sogenannten demagogischen Umtriebe, politischen Untersuchungen
und Bestrafungen. Unverkennbar ist indess die Bewegung weit umfassender
und massenhafter geworden; dies zwar unter dem äusseren Einflüsse erschüt-
ternder Weltbegebenheiten, die sich aber, wenngleich in andern Formen, von
Zeit zu Zeit wiederholen können. Solche Erscheinungen sind kein bedeutungs-
loses Spiel auf der wie zufällig bewegten Oberfläche des Völkerlebens und
wollen nicht blos nach ihrem äusserlichen Thatbestande, sondern auch in ihren
tiefer liegenden Ursachen erfasst und gewürdigt sein.
Durch den Präsidenten der Bundescentralbehörde ward in einer bekannten
„Darlegung“ (1838) der geschichtliche Zusammenhang jener Bestrebungen unter
andern folgendermaassen geschildert: „Es sei bei denen, welchen der Sinn für
die wahre innere Einheit Deutschlands abgegangen, das Verlangen nach einer
äusserlich sichtbaren entstanden. Die schon durch die erste französische Revo-
lution hervorgerufenen revolutionairen Ideen über die Verhältnisse der Fürsten
und Völker seien nun in der ersten äussern Ruhe des Friedens bei Einzelnen
mit grösserer Kraft zum Vorschein gekommen, und Manche, von allen Rechts-
principien losgelöst, hätten sich auf den verschiedensten Stufen der Träumereien,
der die innern Verhältnisse der Völker umwälzenden Theorien ergeben. Hier-
nach hätten sich Mehrere schon bald nach dem Kriege von 1815 eine deutsche
Republik als das zu erreichende Ziel vor Augen gestellt. Diesem Ziele habe
man sich auf indirectem Wege allmälig zu nähern gesucht, indem man unter
theils wohlbewusster, theils unbewusster Verwechselung der Begriffe laut und
leidenschaftlich Constitutionen im ausländischen Sinne gefordert und in engli-
scher und französischer Weise eine Gesammtrepräsentation des deutschen Volkes
verlangt habe. So sei zuerst ein seitdem sehr wirksam gewordenes, seiner
Natur nach undeutsches Element in den bis dahin doch wenigstens national auf-
gefassten Kampf eingetreten.“
Gegen diese Anführungen erhob die sogenannte liberale Partei in Deutsch-
land andauernd Widerspruch: „Wer das Verlangen nach einer äusserlich sicht-
baren Einheit in sich trage, dem fehle darum noch nicht der Sinn für die wahre
innere Einheit; denn es gebe im Völkerleben nichts wahrhaft Innerliches, was
sich nicht äusserlich zu gestalten, was sich nicht nothwendig ein Organ seines
Daseins zu verschaffen suche. Habe man in englischer und französischer Weise
eine Gesammtrepräsentation des deutschen Volkes verlangt, so sei doch diese
Repräsentation ein wesentlich germanisches Institut, und habe man Constitu-
tionen im ausländischen Sinne gefordert, so sei dies ebensowenig undeutsch,
als es etwa unenglisch gewesen, dass sich Grossbritannien die Principien der
auf deutschem Boden entstandenen Reformation in seiner Weise angeeignet.
Denn äusser dem eigenthümlichen Nationalen gebe es zugleich einen allgemeinem
Zeitcharacter, wonach bei allen Nationen, die in näherem Verkehr, in ununter-
brochenem Austausche von Ansichten und Einsichten stehen, nothwendig auch
ähnliche Bedürfnisse und Ansprüche zum Vorschein kommen müssten.“
Wie feindliche Heere standen sich die politischen Parteien gegenüber, als
das Jahr 1848 mit seinen Stürmen hereinbrach; jede hatte ihren Tross, ihre
Kämpfer, ihre geistigen Führer und Häupter.