1 6 D a s B uch f ü x Alle
Heft 1
reiche Schuldkonto des Jim Mac Coy mir imponiert habe, wohl aber tat
das die völlige Gleichgültigkeit, die abſolute Seelenruhe, mit welcher dieser
in den Tod ging. Der alte Sokrates kann den Schierlingsbecher nicht mit
einem größeren Gleichmut der Seele geſchlürft haben als dem, mit
welchem Mac Coy das Galgengerüſt beſtieg. Und das, obgleich dies für ihn
ſchon aus körperlichen Gründen gar nicht so leicht war, denn er hatte nur
e in Bein und mußte sich mühſam auf zwei Krücken fortbewegen. Nun
klettere mal einer auf Krücken ſolch eine hühnerleiterartige ſchmale Treppe
empor –~ zumal wenn er weiß, daß er die Treppe nur hinauf, ganz sicher
aber nie wieder lebendig herunterkommen wird! Den Priester, der ihm
nachfolgen wollte, um unter dem Galgen mit ihm zu beten, lehnte er ab.
Er war inzwiſchen mühſam oben angekommen, und die Krücken hatten ihm
die Gehilfen abgenommen, nachdem er ſJich selbſt an das feſtgezimmerte
Geländer der Galgenplattform gelehnt hatte.
„Die Frage des Sheriffs, ob er noch etwas zu ſagen habe, beantwortete
Mac Coy mit einem lauten Ja l‘ Er begann seine Anſprache erſt, nach-
dem er langſam und umſtändlich aus seiner Taſche einen – Tabaks-
beutel, Zigarettenpapier und eine Streichholzſchachtel hervorgeholt und
das alles auf das breite Geländer gelegt hatte. Und dann fing er an, Tich
ganz gemütlich eine Zigarette zu drehen. Wenn man bei irgend einer
Tätigkeit ſehen kann, ob jemand nervös iſt, dann iſt das beim freihändigen
Zigarettendrehen. Aber Jim Coys Hände zitterten nicht im geringsten, und
nicht ein Körnchen des ſchwarzen Kentuckntabaks fiel daneben. Als die
Zigarette fertig und in Brand gesteckt war ~ es folgten ihr dann noch
sieben andere , begann er zu der Menge der Zuſchauer zu ſprechen, zwar
laut und weithin vernehmbar, aber nicht im geringsten erregt oder
gar nach Wirkung ſtrebend, sondern vielmehr in einer Art von behag-
lichem Plauderton, etwa wie man eine geſchäftliche Angelegenheit be-
ſpricht.
„Ich bin‘, begann er, ,mein Leben lang ein ſchlechter Kerl gewesen.
Viel dazu beigetra-
Galgenhumor hinzufügte – „,nicht immer mit meinen eigenen Pfer-
den.‘
„Nun ſtand aber, wie hier einzuschalten iſt, noch vor vierzig Jahren in
Texas auf Pferdediebſtahl die Todesſtrafe, was dadurch versſtändlich wird,
daß die damals –~ und auch sſpäter noch übliche – Methode der freien
Vieh- und Pferdezucht auf offener Prärie auf dem Vertrauen der Sicher-
heit beruhte, wie ſie nur durch ganz drakoniſche Strafen erzielt werden
konnte, und zwar Strafen, welche womöglich sofort auf dem Wege der
Lynchjuſtiz vollſtrectt wurden. Daher auch die fortwährenden blutigen
Kämpfe zwiſchen Pferde- und Viehdieben und den bis an die Zähne be-
waffneten Cowboys.
„Jim Coy erzählte nun weiter, indem er sich eine Zigarette nach der
andern drehte, wie erals Pferdedieb im Laufe der Jahre in ſolchen Kämpfen
zwölf Gegner zur Strecke gebracht habe, ÇJund‘, meinte er, .wenn ich jetzt
dafür büßen muß, so geſchieht mir ganz recht. Aber daß ich gerade wegen
der dreizehnten Affäre gehängt werde, das iſt – nehmen Sie mir es
nicht übel, Herr Sheriff – eine Gemeinheitl‘ . . . Und hierbei kam
zum erſten Male so etwas wie eine leichte Erregung in den Tonfall seiner
Worte. :
„Was den zwölften Fall anlangt,‘ fuhr Jim Mac Coy dann ſchon wieder
ganz ruhig fort, .ſo war das ganz weit draußen am Rio Grande, und unsere
Verfolger – Cowboys und eine große Sheriffsmannschaft ~ hatten uns in
einer Schlucht ſo in die Enge getrieben, daß wir nicht weiterkonnten und
angesichts der Überzahl dem Befehl des Sheriffs von Val Verde County:
Hände hoch! wohl oder übel Folge leiſten mußten. In dieſem Augen-
blick unſerer völligen Wehrlosigkeit ſchießt einer der feigen Gesellen ~ ich
hatte ihn wohl erkannt ~ auf mich, und seine Kugel zerſchmettert mein
rechtes Knie. Monatelang habe ich im Hoſpital gelegen, nachhem man
mir mein Bein abgenommen. Und wie ich mich so in furchtbaren Qua-
len ~ ]eeliſchen noch mehr als körperlichen, denn wie ſollte ich von nun
an als Krüppel mei-
gen hat wohl, daß .
ich als Waiſe in der
Weltherumgeſtoßen
worden bin und nie
die Vorteile eines
geregelten Schul-
unterrichts genossen
habe. In einer Zei-
tung iſt von mir be-
hauptet worden, der
Whisky hätte mich
ſoweitgebracht, aber
das iſt nicht wahr.
Ich habe nicht oft
getrunken und auch
dann nie ~ oder
doch wenigstens faſt
nie ~ zu viel. Aber
was mein Verderb
war, das iſt die Tat-
ſache, daß ich regel-
mäßiger Arbeit aus
dem Wege gegan-
gen bin, solange ich
nur irgend konnte.
Und daran wieder
trug die Schuld
mein wilder Unab-
hängigkeitsſinn, der
es nie lange ertra-
gen konnte, sich un-
ter den Willen und
das Machtgebot ei-
nes anderen, eines
Vorgesetzten, zu beu-
gen. Selbst als Cow-
boy habe ich es des-
halb nie lange auf
ein und derselben
Ranch ausgehalten.
Auf diesſe Art ge-
langte ich dann bald
zum Pferdehandel,
und zwar‘ wie er
hier mit ganz wört-
lich zu nehmendem
Erwboy und Indianer verſtändigen ſich durch Zeichensprache
nen Lebensunter-
halt erwerben? ]
wand, da ſchwor ich
einen heiligen Eid:
D e r Hund muß
daran glauben, und
zwar das ersſtemal,
wenn du ihn zu
Gesicht bekommſt!
Und, meine Herren,
ſchloß er seine An-
ſprache naiv, ,solch
einen Schwur muß
man doch als an-
ſtändiger Kerl hal-
ten. Das habe ich
denn auch getan.
Daß ich nun gerade
werde, das will mir
einfach nicht in den
Kopf l‘ ~Und dann,
sich zum Sdheriff
wendend, ſagte er
in aller Gemütlich-
keit: .Und nun, Mr.
Tobin, tun Sie Ihre
Pflicht l‘
„Mit der Unter-
ſtüzung eines wei-
teren Sheriffsge-
hilfen wurde er auf
die verhängnisvolle
Falltürklappe ge-
führt, dann wurde
die von dem Gal-
genquerholz herab-
hängende Schlinge
ihm um den Hals
gelegt und dann als
Schluß der Vorbe-
reitungen ihm die
weite ſchwarze Kap-
pe übergezogen.
„Atemlose Stille
herrſchte in dem
deswegen gehängt.
Heft 1
reiche Schuldkonto des Jim Mac Coy mir imponiert habe, wohl aber tat
das die völlige Gleichgültigkeit, die abſolute Seelenruhe, mit welcher dieser
in den Tod ging. Der alte Sokrates kann den Schierlingsbecher nicht mit
einem größeren Gleichmut der Seele geſchlürft haben als dem, mit
welchem Mac Coy das Galgengerüſt beſtieg. Und das, obgleich dies für ihn
ſchon aus körperlichen Gründen gar nicht so leicht war, denn er hatte nur
e in Bein und mußte sich mühſam auf zwei Krücken fortbewegen. Nun
klettere mal einer auf Krücken ſolch eine hühnerleiterartige ſchmale Treppe
empor –~ zumal wenn er weiß, daß er die Treppe nur hinauf, ganz sicher
aber nie wieder lebendig herunterkommen wird! Den Priester, der ihm
nachfolgen wollte, um unter dem Galgen mit ihm zu beten, lehnte er ab.
Er war inzwiſchen mühſam oben angekommen, und die Krücken hatten ihm
die Gehilfen abgenommen, nachdem er ſJich selbſt an das feſtgezimmerte
Geländer der Galgenplattform gelehnt hatte.
„Die Frage des Sheriffs, ob er noch etwas zu ſagen habe, beantwortete
Mac Coy mit einem lauten Ja l‘ Er begann seine Anſprache erſt, nach-
dem er langſam und umſtändlich aus seiner Taſche einen – Tabaks-
beutel, Zigarettenpapier und eine Streichholzſchachtel hervorgeholt und
das alles auf das breite Geländer gelegt hatte. Und dann fing er an, Tich
ganz gemütlich eine Zigarette zu drehen. Wenn man bei irgend einer
Tätigkeit ſehen kann, ob jemand nervös iſt, dann iſt das beim freihändigen
Zigarettendrehen. Aber Jim Coys Hände zitterten nicht im geringsten, und
nicht ein Körnchen des ſchwarzen Kentuckntabaks fiel daneben. Als die
Zigarette fertig und in Brand gesteckt war ~ es folgten ihr dann noch
sieben andere , begann er zu der Menge der Zuſchauer zu ſprechen, zwar
laut und weithin vernehmbar, aber nicht im geringsten erregt oder
gar nach Wirkung ſtrebend, sondern vielmehr in einer Art von behag-
lichem Plauderton, etwa wie man eine geſchäftliche Angelegenheit be-
ſpricht.
„Ich bin‘, begann er, ,mein Leben lang ein ſchlechter Kerl gewesen.
Viel dazu beigetra-
Galgenhumor hinzufügte – „,nicht immer mit meinen eigenen Pfer-
den.‘
„Nun ſtand aber, wie hier einzuschalten iſt, noch vor vierzig Jahren in
Texas auf Pferdediebſtahl die Todesſtrafe, was dadurch versſtändlich wird,
daß die damals –~ und auch sſpäter noch übliche – Methode der freien
Vieh- und Pferdezucht auf offener Prärie auf dem Vertrauen der Sicher-
heit beruhte, wie ſie nur durch ganz drakoniſche Strafen erzielt werden
konnte, und zwar Strafen, welche womöglich sofort auf dem Wege der
Lynchjuſtiz vollſtrectt wurden. Daher auch die fortwährenden blutigen
Kämpfe zwiſchen Pferde- und Viehdieben und den bis an die Zähne be-
waffneten Cowboys.
„Jim Coy erzählte nun weiter, indem er sich eine Zigarette nach der
andern drehte, wie erals Pferdedieb im Laufe der Jahre in ſolchen Kämpfen
zwölf Gegner zur Strecke gebracht habe, ÇJund‘, meinte er, .wenn ich jetzt
dafür büßen muß, so geſchieht mir ganz recht. Aber daß ich gerade wegen
der dreizehnten Affäre gehängt werde, das iſt – nehmen Sie mir es
nicht übel, Herr Sheriff – eine Gemeinheitl‘ . . . Und hierbei kam
zum erſten Male so etwas wie eine leichte Erregung in den Tonfall seiner
Worte. :
„Was den zwölften Fall anlangt,‘ fuhr Jim Mac Coy dann ſchon wieder
ganz ruhig fort, .ſo war das ganz weit draußen am Rio Grande, und unsere
Verfolger – Cowboys und eine große Sheriffsmannschaft ~ hatten uns in
einer Schlucht ſo in die Enge getrieben, daß wir nicht weiterkonnten und
angesichts der Überzahl dem Befehl des Sheriffs von Val Verde County:
Hände hoch! wohl oder übel Folge leiſten mußten. In dieſem Augen-
blick unſerer völligen Wehrlosigkeit ſchießt einer der feigen Gesellen ~ ich
hatte ihn wohl erkannt ~ auf mich, und seine Kugel zerſchmettert mein
rechtes Knie. Monatelang habe ich im Hoſpital gelegen, nachhem man
mir mein Bein abgenommen. Und wie ich mich so in furchtbaren Qua-
len ~ ]eeliſchen noch mehr als körperlichen, denn wie ſollte ich von nun
an als Krüppel mei-
gen hat wohl, daß .
ich als Waiſe in der
Weltherumgeſtoßen
worden bin und nie
die Vorteile eines
geregelten Schul-
unterrichts genossen
habe. In einer Zei-
tung iſt von mir be-
hauptet worden, der
Whisky hätte mich
ſoweitgebracht, aber
das iſt nicht wahr.
Ich habe nicht oft
getrunken und auch
dann nie ~ oder
doch wenigstens faſt
nie ~ zu viel. Aber
was mein Verderb
war, das iſt die Tat-
ſache, daß ich regel-
mäßiger Arbeit aus
dem Wege gegan-
gen bin, solange ich
nur irgend konnte.
Und daran wieder
trug die Schuld
mein wilder Unab-
hängigkeitsſinn, der
es nie lange ertra-
gen konnte, sich un-
ter den Willen und
das Machtgebot ei-
nes anderen, eines
Vorgesetzten, zu beu-
gen. Selbst als Cow-
boy habe ich es des-
halb nie lange auf
ein und derselben
Ranch ausgehalten.
Auf diesſe Art ge-
langte ich dann bald
zum Pferdehandel,
und zwar‘ wie er
hier mit ganz wört-
lich zu nehmendem
Erwboy und Indianer verſtändigen ſich durch Zeichensprache
nen Lebensunter-
halt erwerben? ]
wand, da ſchwor ich
einen heiligen Eid:
D e r Hund muß
daran glauben, und
zwar das ersſtemal,
wenn du ihn zu
Gesicht bekommſt!
Und, meine Herren,
ſchloß er seine An-
ſprache naiv, ,solch
einen Schwur muß
man doch als an-
ſtändiger Kerl hal-
ten. Das habe ich
denn auch getan.
Daß ich nun gerade
werde, das will mir
einfach nicht in den
Kopf l‘ ~Und dann,
sich zum Sdheriff
wendend, ſagte er
in aller Gemütlich-
keit: .Und nun, Mr.
Tobin, tun Sie Ihre
Pflicht l‘
„Mit der Unter-
ſtüzung eines wei-
teren Sheriffsge-
hilfen wurde er auf
die verhängnisvolle
Falltürklappe ge-
führt, dann wurde
die von dem Gal-
genquerholz herab-
hängende Schlinge
ihm um den Hals
gelegt und dann als
Schluß der Vorbe-
reitungen ihm die
weite ſchwarze Kap-
pe übergezogen.
„Atemlose Stille
herrſchte in dem
deswegen gehängt.