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Heft 1





Markusplatz die Augen, und nun doll
er über den Platz geradeaus nach der
Markuskirche gehen. Seit Hunderten
von Jahren wird dieses Spiel getrie-
ben, und noch kein einziger iſt dorthin
gelangt. Auch die großen Gelehrten
nicht, die ſich an dieſen Verſuchen be-
teiligten und die mit Aufbietung aller
Willenskraft geradeaus zu gehen ver-
ſuchten. Alle landeten entweder rechts
oder links, die meiſten rechts an den
„Neuen Prokurazien“. Dabei ſtießen
ſie an einer Stelle dieſes prachtvollen
Palaſtes an, die kaum auf der Hälfte
des zurückzulegenden Weges liegt. Sie V
hatten ſich alſo ziemlich ſcharf nach ts N
rechts gewandt. \ \
Man verfügt nicht überall über einen E : d \
Markusplatz. Der Verſuch läßt sich aber th .
auch an jedem anderen Play, auf jeder S Q ,
Wiese, in jedem Zimmer anſtellen.
Man faßt irgendeinen Gegenstand ins
Auge, alſo auf dem Platz zum Bei-
ſpiel die gegenüberliegende Haustür,
auf der Wieſe einen Baum, im Zim-
mer die Wanduhr oder was ſonſt es
auch ſei. Dann ſchließt man die Augen
und verſucht gerade darauf zuzuſchrei-
ten. Irgendwohin kommt man, nur
nicht dorthin, wohin man zu kommen
beabJichtigte. Und wiederum ergibt ſich
hier die alte Erfahrung vom Markus-
platz: die meisten, die es probieren,
weichen mehr oder minder stark nach
rechts ab. Einige auch nachlinks. Selbſt
wenn man ſich noch so ſehr bemüht,











wenn man das Ziel nicht vor Augen
ſieht. So irrt man im Nebel auch mit
offenen Augen nach der rechten, be-
ziehungsweise linken Seite ab. Dabei
werden, ebenſo wie in Schneeſtürmen,
oft volllommene Kreiſe beschrieben.
Auf Grund seiner Forſchungen kommt
der Gelehrte nun zu dem Ergebnis,
daß das Abweichen vom geraden
Wege mit dem Bau unseres Gehör-
organs in Zuſammenhang ſteht. Sehen
wir das Ziel, so führt uns das Auge
darauf zu. Sehen wir esnicht, ſo über-
nimmt das Ohr unsere Führung. In
unſerm Gehörapparat befinden ſich,
B und zwar ſowohl rechts als links, je
drei faſt kreisförmige Kanäle, die ge-
wisſſermaßen einen Balancierapparat
darſtellen, der bei Ausſchaltung des
Auges die Richtung bestimmt, nach
der wir uns bewegen. Sind die Augen
offen, ſo gewährt uns dieſer Balancier-
apparat die Möglichkeit, geradeaus zu
gehen. Jede dieser drei kreisförmigen
Röhren iſt mit Flüssigkeit gefüllt. Die
Röhren ſtehenuntereinanderin Verbin-
dung. Die eine Röhre bewirkt eine auf-
rechte, die andere eine ſeitliche, die
dritte eine nach vorn geneigte Stel-
lung des Kopfes. Die auf die Röhren
wirkenden Eindrücke werden durch be-
ſondere „Balanciernerven“ nach dem
Gehirn übermittelt und beeinflussen ſo
über dieſes unseren Gang. Mit Hilfe
eines von ihm gebauten Drehſtuhls,
der in raſche Umdrehungen versetzt







dieses Abirren von der Geraden durch
Abbiegen nach der entgegengesetzten
Richtung auszugleichen – man kommt
doch wieder nach der Seite, nach der
man ſchon vorher abgewichen war. Nur
der Grad der Abweichung iſt ein an-
derer. Es iſt eine alte Erfahrung, daß
die Person, die einmal nach rechts ab-
geirrt iſt, immer nach rechts abirren
wird, und daß eine andere, deren Weg
einmal nach links führte, immer nach links abbiegt. Der auf unſerem Bild
dargeſtellte Mann mit dem Hut wird alſo nach dem Grad seines Willens,
mit dem er sich auf den Baum zu bewegt, nach A oder nach B oder nach C
kommen. Der Mann mit der Mütze hingegen ſchreitet nach D, nach R oder
nach V. Niemals wird ihn ſein Weg nach der andern Seite führen. Auch
Kreideſtriche helfen nichts, die man oft auf den Boden macht. Es iſt kein
Kunſtſtück, auf ihnen mit offenen Augen dahinzuwandeln. Sobald man
aber die Augen ſchließt, befindet man ſich ſchon nach dem ersten oder
zweiten Schritt rechts oder links davon. Die Frage, ob der Mensch ge-
radeaus gehen könne, muß daher ſo beantwortet werden, daß dies nur
mit offenen Augen möglich iſt.

Schon ſeit langem hat sich die Wiſſenſchaft bemüht, das Rätsel zu lösen,
warum der Menſch, ſobald er die Augen ſchließt, tatſächlich keinen Schritt
mehr geradeaus machen kann und warum die meiſten Menſchen nach
rechts abbiegen. Mancherlei Theorien ſind aufgestellt worden. Man hat
zum Beiſpiel eine „Rechtsneigung“ der Menſchheit festgestellt. Die meisten
Menſchen ſchreiben und arbeiten mit der

Kann der Menſch geradeaus gehen?

Um zu ermitteln, ob man geradeaus gehen kann, faſſe man einen

etwa hundert Meter entfernten Baum oder einen andern paſſenden

Gegenstand ins Auge. Dann versuche man, mit verbundenen Augen

gerade darauf zuzugehen. Man wird finden, daß man entweder nach

rechts oder links abweicht. Manche Personen irren nach rechts ent-

weder nach A, nach B oder nach C ab, andere wieder nach links, so
daß sie alſo nach D, E oder F kommen

werden kann, hat der Forsſcher nun
feſtgeſtellt, daß der Balancierapparat
durch Erſchütterungen aller Art in
hohem Maßebeeinflußtwird. Schließen
wir die Augen oder ſehen wir unser
Ziel nicht, so wird die Ungleichheit
unserer Schritte auf den Balancier-
apparat wirken und damit maßgebend
für die Richtung werden, die wir ein-
ſchlagen. Bei den meiſten Menschen
iſt die rechte Seite stärker gebaut als die linke. Man tritt daher mit dem
rechten Fuß ſtärker auf als mit dem linken. Dadurch wird der rechte
Teil des Balancierapparates gereizt, der Kopf neigt ſich etwas rechts,
und wir biegen nach rechts ab. So ſucht der amerikaniſche Gelehrte das
Rätsel, warum man nicht geradeaus gehen kann, zu erklären.

Im Kampf gegen die engliſche Krankheit

Von Frau Pr. Stthiller, ärztlicher Mitarbeiterin des
Städtiſchen “gz z ett sture tettsas Prof.

ie Rachitis (engliſche Krankheit) ist die meiſtverbreitete und in allen
Kreisen der Bevölkerung am besten bekannte Erkrankung des kind-
lichen Alters. Sie hat derart charakteriſtiſche Merkmale, daß auch der
cerie, beſonders aber die Muiter, die ihr



rechten Hand. Es gibt nur wenige Links-
händer. Unwillkürlich nimmt man von zwei
gleich großen Stücken Zucker, die auf dem
Tiſch liegen, das rechte. In den Treppen-
häuſern großer Gebäude wird faſt ſtets die
rechte Treppe gewählt und ſo weiter. Aber
mit dieſer „Rechtsneigung“ ist nichts erklärt.
Ein amerikaniſcher Gelehrter in Baltimore,
der die vorliegende Frage neuerdings zum
Gegenſtand ſeiner Unterſuchungen gemacht
hat, weiſt darauf hin, daß es auch nicht
das Schließen der Augen ſein kann, durch
das das Abirren vom geraden Weg bewirkt
wird. Dieses tritt vielmehr stets dann ein,





(

Z AMMllBdencérsppen ATK

“ Gehörnerven
Balanciernerven



j tielencter. Ü
S : Appara te, . h IR
. lhitflslsket sefölk.

Der Balancierapparat im Gehirn des Menſchen

Kind’ sorgfältig beobachtet, sie leicht erken-
nen kann. Das gilt nicht nur von den
ausgesprochenen Fällen ſchwerer Verkrüm-
mungen der Beine und dann, wenn der
Schädel die für Rachitis typiſche viereckige
Form ſchon angenommen hat, wenn der
aufgetriebene Bauch, die dicken Gelenke an-
zeigen, daß die Krankheit den gleichmäßig
ſchönen Bau des kindlichen Körpers entſtellt
hat, ſondern das gilt auch für frühe Stadien
dieſer Erkrankung, wenn die erſten Zeichen
der Erweichung besonders der Knochen des
Hinterkopfes und der Beine auftreten. Dies
Weichwerden der Hinterhauptknochen, das






 
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