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Heft 3

ſchale. Das Dankeswort der meiſten: „Gott laſſe deinen Schatten nie
kürzer werden!", das heißt: „Gott ſchenke dir ein langes Leben!“, blieb
mir eine liebe Erinnerung.

Zu unſeren Bildern

Ehrlos. Zu dem Kunſtblatt in dieſem Heft (vor S. 29). ~ Obwohl das
Handwerk im Mittelalter hohes Ansehen genoß, die Meiſter im Rate
der Stadt gewichtige Stimme hatten, galten doch einzelne Gewerbe
als „unehrliche Hantierungen“, ſo zum Beiſpiel die der Bader und
Müller und vor allem der fahrenden Spielleute. Für den Ehrloseſten unter
dieſen von der Volksmeinung Geächteten galt der „Scharfrichter“, auch
„Nachrichter" genannt. Das war nicht immer so gewesen. Im früheren
Mittelalterkonnte und mußte viel-
mehr Hängen und Enthaupten
ehrenamtlich durch jeden unbe-
ſcholtenen Bürger verrichtet wer-
den. Schon der Beiname, den man
dem Scharfrichter gegeben hatte,
„Meister Hämmerlein“, erinnert
daran, daß die Vollſtreckungrechts-
kräftigen Urteils eigentlich nichts
Entehrendes haben kann, weil der
Betreffende als ein Bote oder als
Arm der heiligen Juſtiz der Ge-
rechtigkeitdient. Der Hammer des
alten germaniſchen Gottes Thor
war ein uraltes Rechtsſymbol,
das erſt in späterer Zeit nicht
mehr verſtanden wurde, als man
ſich bei der Bezeichnung „Meister
Hämumerlein“ nichts mehr dachte.
Erſt als dem Volk die Recht-
ſprechung entzogen wurde und
die Scharfrichter mehr und mehr
auch bei Torturen aller Art Henker-
dienste verrichteten, wurde dieses
Handwerk zu einem anrüchigen
und gemiedenen. Zu den grau-
ſamenQuälereiender Foltergaben
ſichnatürlichnurrohe, gewalttätige
Personen her. Der Abscheu vor
dem ursprünglich ehrenamtlichen,
durch die Verbindung mit den
Knechtsdiensſtendes Schindersund
dem unsauberen Geschäft der Ab-
deckerei aber abstoßend gewor-
denen Beruf iſt wohl begreiflich.
Dagegen kann man es in unserer
Zeit doch kaum verstehen, daß die
Achtung eines Mannes, der im
Auftrag der Obrigkeit sein Werk
vollbringt, so allgemein und so
weitgehend sein konnte, wie es im
vierzehntenund fünfzehnten Jahr-
hundert üblich war. Mit dem
Meister Hämmerlein wollte nie-
mand in Berührung kommen. So
verächtlich und ängſtlich rückte man von ihm ab, daß ihm beispielsweise
in den Trinkſtuben nur abseits ein Platz gegönnt wurde. Sein Becher hing
besonders an der Wand, mit einem Kettlein befestigt, damit er ja nicht etwa
aus Versehen einem anderen Gaſt zum Trunk gereicht würde. In die Kirche
durfte der Henker nur eintreten, wenn die Besucher des Gottesdienſtes
Platz genommen hatten. Dann mochte er in einem verstectten Winkel sein

Glückliche Kindheit

Gebet verrichten. Der Scharfrichter war ein aus der bürgerlichen Gesell-
ſchaft Ausgeſtoßener. Weder er selbſt noch einer seiner Nachkommen oder
Gehilfen konnten Bürgerrecht in der Stadt erwerben. Ersſt im Jahre 1731
verfügte ein deutſches Reichsgesetz, die „Unehrlichkeit“ der Nachkommen
des Scharfrichters oder Schinders solle zwar in der erſten und zweiten
Generation noch aufrechterhalten, dagegen dürften die späteren Ge-
ſchlechter von keinem Gewerbe, das sie zu ergreifen Luſt hätten, ausge-
ſchloſſen werden. Hart und hoffärtig erſcheint uns solche Verfemung, und
doch ſteckte darin auch ein achtbares Empfinden. Die bürgerliche Gemein-
ſchaft ſchätzte ſeßhafte und ehrliche Hantierung hoch, mochte aber Leute, die
als Vaganten bald da, bald dort im Lande umherzogen oder um
des Erwerbes willen die natürliche Scheu und Selbstachtung, wie sie sich
im Widerwillen gegen unmenschliche Grauſamkeit kundtun, preisgaben,



O g s Buch für Alle 41

in ihrer Mitte nicht leiden. Dem einzelnen konnte freilich damit ſchweres
Unrecht angetan werden. Keineswegs war jeder Scharfrichter ein Rohling.
Gar mancher hatte im Gegenteil ein ſtilles, in ſich gekehrtes ſanftes Wesen,
wie man es wohl eher bei Poeten ſucht. So war SampJon, ein Henker aus
der Schreckenszeit der französſiſchen Revolution, der Hunderten in Aus-
übung seines grauſigen Berufes den Kopf vom Leibe trennte, doch ein un-
gewöhnlich zartempfindender, über die tiefſten Fragen des Menſchen-
lebens nachſinnender Menſch. Und ein anderes Beispiel des seltsſamen
Widerſpruches zwiſchen dem abſtoßenden blutigen Handwerk und der
innerlichen, geiſtig gerichteten Art des Ausübenden iſt Karl Hus, der
Scharfrichter von Eger. Vom Vater hatte er das verrufene Geſchäft
des Henkers übernommen, aber seine Liebhaberei waren naturwiſſen-
ſchaftliche und hiſtoriſche Studien, die er mit solcher Gründlichkeit be-
trieb, daß Gelehrte vom Fach einen
regen Briefwechsel mitihmunter-
hielten und Fürsten auf ihn auf-
merkſam wurden. Kein Gerin-
gerer als Goethe hat ihn ſeit dem
Jahr 1806 wiederholt beſucht und
mit dem „derben unermüdlichen
Sammler“ manches Erfreuliche
über die Ergebnisse mineralogi-
scher Studienausgetauſcht. Guſtav
Frentag, der Dichter der Ahnen,
schrieb von ihm: „Gemeinsame
Freude an den Gebilden der Kunſt
und Natur war es, was den größ-
ten Dichter der deutſchen Nation,
Goethe, mit dem Nachrichter von
Egerin ein gemütliches Verhältnis
brachte und ein leichtes Band wob
zwischen dem Gönner der Gelehr-
ten, dem Lieblinge der Unſterb-
lichen, und dem armen Ausge-
ſtoßgenen, den alte Münzen und
Steine dafür tröſten mußten, daß
ihn die Menschen in seiner Um-
gebung nicht als ihresgleichen ach-
teten.“ H. R. S.

Pilger zerstören ihr Augenlicht
vor glühend gemachten Steinen
(S.33). Bunt iſtdas Völkergemiſch
der Scharen vongläubigen Muſel-
manen, die jährlich in der „Mutter
der Städte“, in Mekka, auf ihrer
Wallfahrtzuſammenſtrömen, Ara-
ber und Perser, Neger und In-
der, Ügnpter und Türken, Afgha-
nen und Angehörige noch anderer
Rassen und Stämme. Ein buntes
Bild bietet auch das Gemiſch der
verſchiedenen Behauſungsarten,
wie sie ſich in dem Gewirr krum-
mer, enger Straßen der heiligen
Stadt aneinanderreihen, von der
elenden Beduinenhütte an und
dem bienenkorbartigen Neger-
haus, uralten Steinbauten ara-
biſchen Stils bis zu prächtigen Gebäuden der Neuzeit, überragt von
hundertzweiundfünfzig Kuppeln und vielen Minaretten. Und buntartig
ſind auch die mannigfachen Ausprägungen des Iſlams in Sekten und Schu-
len je nach dem besonderen Volkscharakter und je nach dem Empfinden des
einzelnen. Da gibt es wie in anderen Religionsgemeinsſchaften Selbſt-
gerechte, die in die äußerliche Erfüllung der Weiſungen des Propheten
ihren Stolz setzen. Ein arabiſches Sprichwort warnt vor solchen überheb-
lichen Leuten: „Wer einmal zur heiligen Kaaba gewallfahrtet, mit dem
wohne nicht mehr in einem Hause zusammen, wer zweimal die Reise vollen-
det, mit dem hause nicht in derselben Straße, und wer dies gar zum dritten-
mal getan, dem ziehe aus dem Weg in eine andere Stadt.“ Andere wieder
treibt ein innerliches, wahrhaft religiöses Erleben an die Stätte, von der
die Mühseligen und Kummerbeladenen Heilung für ihre Seelen erwarten,

Plaſtik von Franz Brahmſtaedt

Verlag der Neuen Photographisſchen Gesellſchaft A.-G., Berlin-Steglitz

wenn Jie den entsündigenden ſchwarzen Stein im Innersten der Moschee
in gläubiger Anbetung geküßt haben. So tief hat dieſe von vielem Leid in
langem Leben ſchmerzhaft Verwundeten der Ekel vor den ſinnlichen Ge-
nüsſſen des Lebens und dem unreinen, oft so widerwärtigen Welttreiben
erfaßt, daß sie nach dem Anblick des Heiligtums, und nachdem ihre Seele .ich
in höchſter, alles Irdiſche vonsich ſtreifender Verzückung gang und gar in den
 
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