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Heft z



Palm ſchüttelte nachdenkſam den Kopf.

„Eine ſchöne Phantasie, mein Freund! Auch die Wissenschaft
wird immer national gebunden bleiben."

Er zog die Uhr.

„Es geht auf halb neun .. .
Neffen und Mitarbeiter, Doktor Norriſſen .. .
pünittlich ... Gehen wir zu den Damen!“

Und man verließ die Halle.

Im Salon kam Genia ihrem Vater entgegen. , Norriſſen
fehlt, aber wir können nicht länger warten.“

„Fangen wir an, mein Kind!“

Doch während Palm ſeiner Tochter und den Damen noch
Leutnant Duijardin vorstellte, erschien Norriſſen in der Tür.

„Tauſendmal Verzeihung, Genia,“ sagte er. „Verzeihung,
lieber Onkel .. . ich bin aufgehalten worden."

Und er ließ sFich bekannt machen.

„Doktor Norriſſen ~ Leutnant Duijardin,“ sagte Palm; aber
da er ſchnell weiterging, um Genia ein Zeichen zu geben, o ſah
er nicht, daß in den Gesichtern der beiden ein kurzes, raſch be-
herrſchtes Zucken Tichtbar wurde. Norriſſen, ein wenig dick in
seinem knappen Smoking, wandte Jich ſchnell zu den Damen.

Genia bat zu Tiſch.

Man ging durch die Halle, um ins Speiſezimmer zu gelangen.
Der runde Tiſch war feſtlich mit Blumen und Porzellan ge-
ſchmückt und strahlte mild im Lichte des Lüſters. Kleine Karten
mit dem Namen der Gäſte lagen auf den Weingläſern.

„Bravo, Genia! Das haſt du hübſch arrangiert !“ ſagte Nor-
riſſen, der plötzlich an ihrer Seite war; ſie fühlte das leicht
Ironiſche seines Tons wie immer = aber warum war es ihr
heute ſo besonders unangenehm?

„Hast du mich auch nicht allzuſehr aus deiner Nähe verbannt?"
fuhr Norrissen fort.

„Du mujtt dich mit dem Leutnant begnigen, Leo,! ſagte
Genia, „es reicht nicht ganz zur bunten Reihe; dafür haſt du
zur Linken Tante Tatjana.“

„Tante Tatjana ift ausgezeichnet, aber der Leutnant .. .!
Norrissen begleitete dieſe leiſen Worte mit einer Handbewegung,
ſo drollig, daß Genia lachen mußte.

„Herr Profesſor, Sie reklamiere ich für mich,“ rief sie Laverne
zu. „Und Sie, Herr Staatsanwalt, an meine andere Seite.“

„Profeſſor Laverne und ich werden also als Faſſung für eine
Perle dienen," lachte Grenander.

Alles nahm Platz. Links von Palm ſaß die ſchöne junge Frau
Grenander, von Dujardin geführt, an dieſen ſchloß ſich Norriſsen,
es folgte Frau Pouwels, die Profeſſor Kleinpaul zum Tiſchherrn
hatte, und ſo war der Kreis unter mancherlei Scherzen vollſtändig
geworden.

Durch das wehende Licht der Kerzen auf dem Tiſch ſah Nor-
riſſen zu Genia hinüber. Er fühlte in der Taſche das kleine Päck-
<en mit Roſa Centifolia + nachher wollte er es ihr geben .. .
Genia aber ſah an ihm vorbei: auf dem Platz neben ihm Jollte
jetzt ein anderer sitzen. Sie ſprach mit Grenander von Dorpat
und von der kurzen, harmoniſchen Zeit, die der Staatsanwalt
im letzten Kriegsjahre als Einquartierung im Palmſchen Hauſe
verbracht hatte. Die Zeit war schön gewesen, ein erſtes Auf-
atmen nach dem Druck eines Krieges, der dem deutſchfühlenden
Herzen droben im baltiſchen Lande täglich neue Marter ver-
urſachte. Gedankenvoll ließ ſie, während Grenander zu ihr ſprach,
die Augen den Tiſch entlangſchweifen. Wahrhaftig, da unterhielt
ſich Tante Tatjana mit Norriſſen angelegentlich über ihre Schmer-
zen, sie redete eindringlich, sie deutete auf die Stelle, wo der
Schmerz ſitze, und Norriſſen hörte ihr zu. Allzudeutlich war auf
ſeinem Gesicht ein erkünſteltes Intereſſe zu leſen. Nun hob er den
Kopf, und sein Blick traf Genias Auge; haſtig wandte ſie ſich mit
einer Frage an Laverne, der leicht und elegant antwortete.

Als Laverne Jie wieder freigab, ſah ſie, wie Norriſsen ſich mit
Duijardin unterhielt. Sie lauſchte hinüber und fing einige
Brocken auf.

„Haben wir uns nicht neulich ſchon kennengelernt?" ſagte der
Franzose. „Ich war von einigen Freunden ... vorgeſtern war

wir warten nur noch auf meinen
er iſt ſonſt ſo

es wohl ... in einen Klub geschleppt worden“ = er zwinterte
mit den Augen > ,Sie verſtehen? Wir ſpielten Trente-et-
quarante und VRearté, Gott, es ging ſchließlich ziemlich heiß

tec ..;

„Ein Irrtum, Monsieur Duijardin," sagte Norrissen mit unbe-
wegter Miene.

„Natürlich. Ein Doppelgänger. Aber eine erſtaunliche Ühn-
lichkeit. Der Herr hieß auch anders. Dottor Oliva, ſoweit ich
verſtanden habe.“

„Ja, solche Doppelgänger gibt es in einer großen Stadt wie
Berlin." Norriſsen sette sein Monokel ins Auge und lachte
dabei. „Kurioſe Vorstellung, ich in einem Spielklub! Nein, wir
Emigranten sind aus begreiflichen Gründen gezwungen, ſehr
ſolide zu leben." –~ Und er dachte ingrimmig daran, daß dieser
fade Abend ihn der Aussicht beraubte, ſeinen Verluſt im „Klub
von 1919" wettzumachen.

Genia sah auf ihren Teller nieder. Was war das? Sie begriff
nichts davon, aber ihr war, als müsse sie im Gesicht des Fran-
zoſen leſen, daß er mehr davon wisse, als er zu erkennen gab.

Die Tafel wurde aufgehoben. Man ging ins Myſikzimmer
und in den Salon hinüber, die jüngeren Herren ſetzten Jich zu
den Damen, während Palm und Laverne Arm in Arm umher-
wanderten. Der kleine Professor Kleinpaul hielt ſich an Lavernes
Seite — die drei sähen aus wie die Orgelpfeifen, bemerkte
Dujardin. der in einem Damaſtſeſſel neben der blonden Frau
Grenander saß und eine Zigarette langſam zwiſchen einen
behaarten Fingern in Rauch aufgehen ließ.

Norrissen stand bei Genia. j

„Erlaube mir, liebe Genia," sagte er, indem er aus der Taſche
seines Smokings das Päckchen holte, „ich habe dir etwas mit-
gebracht, ich denke, es freut dich, es iſt Roſa Centifolia.“"

Sie nahm es lächelnd, löſte leicht die Schnur und roch an dem
kleinen Fläſchchen.

„Dant dir, Leo, du biſt ſehr aufmerkſam.“ Warum ſpürte ſie
das Bedürfnis, ihm eine kleine Bosheit zu sagen? Sie Jagte:
„Dennoch iſt deiner Aufmerkſamteit entgangen, daß ich ſeit dem
Sommer mein Parfüm gewechſelt habe. Ich habe jetzt Peau
d'Eſpagne, Herr Osterdag hat mich darauf aufmerkſam ge-

"ih. i komme alſo zu ſpät?" sagte Norriſſen lauernd und
ächelnd.

Sie sah in ſein Geſicht, da war wieder dieſer Ausdruck.
„Nein, nein,“ sagte ſie raſch. „Ich freue mich troßdem.'
Inzwischen war Peter Palm, die Zigarette in der Hand, mit

seinem franzöiſchen Gaſt und Professor Kleinpaul in die Halle

getreten. Sie ſprachen von Palms Arbeiten, den früheren und
denen, an denen er augenblicklich war.

„Ja," sagte Palm, ,das iſt etwas ſehr Geheimnisvolles, was
ich da augenblicklich unter den Händen habe. Und etwas höchſt
Gefährliches dazu. Man sieht es diesem Hauſe wohl nicht an,
daß ſich in ihm ein ganz reſpektables Quantum Nitroglyzerin
befindet, und doch iſt es ſo. Es liegt unten im Laboratorium,
allerdings in feſter Form, und also unempfindlich gegen jede
mechaniſche Einwirkung .. . Haben Sie Luſt, ſich mein Studio
anzusehen?" :

Laverne nickte eifrig mit dem Kopfe.

„Dann darf ich bitten,“ ſagte Palm und ſchaltete das Licht auf
der Treppe ein, die ins Untergeſchoß des Hauſes hinabführte. Er
drückte auf einen Knopf, alsbald erſchien der alte Lerche.

„Lerche, schließen Sie das Laboratorium auf und machen Sie
Licht. . Joch vill“, wandte er ſich an die beiden Gäſte, „Nor-
riſſen rufen, er kann Ihnen dies und jenes erklären."

Er ging raſch quer durch die Halle und kam binnen kurzem mit
Doktor Norriſsen zurück. Als sie die Tür zum Laboratorium
öffneten, strahlte der weite Raum im Lichte.

„Ja," sagte Palm, „noch können wir hier Licht machen, aber
bald werden wir im Dunteln sitzen müssen, wie die Bergleute.
Sie sehen," sagte er und ſchaltete mit einem Griff statt des
weißen Lichts drei rote Lampen ein, „es ſind bereits alle Vor-
kehrungen getroffen."
 
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