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Da s B ych für Alle t.



bring’ Fſie dir. Sonſt verkühlſt dich tichtic, Pauli, und kommſt nicht zu uns
hinunter, zu der Verlobung."

„Biſt wohl a Luder!“ sagte Pauli aus tiefſtem Herzensgrund und
probierte trotz der geſchwollenen Füße ein paar Schritte durch die Stube.

„Ia,“ stellte die Relli ergeben fest, „mit ſchiechen Worten biſt ja nie
ſparſam umgegangen. Aber willſt nicht ein paar Hoffmannstropfen, auf
Zucker? Ich mein’, wenn dir ein bissel taumelig sein sollte im Kopf von dem
vielen Herumliegen . . .Ú

„Ich lieg' herum, soviel es mir paßt,“ sagte der Pauliwirt grob. „Und
jetzt freut mich das Gehn! So ſteinalt bin ich mit meinen Vierzig ja nicht,
daß es mich nicht extra interessieren tät’, bei ſo einer Verlobung zuzu-
ſchauen !“ Und der vor fünf Minuten noch todkrank gewesene Pauli krem-
pelte ſich, als Vorbereitung zum Zuſchaun, gleich beide Hemdärmel auf.

Die Relli ſah ihn an, wie zwei Röſelein blühten ihre Wangen. „Halt dich
an, wennſt noch ein bissel ſchwach auf den Füßen biſt,“ sagte ſie mütterlich
und ſchob ihm ihren Sessel hin. Eine Erinnerung flog den Pauli an. Wie
die Finken und Zeiſige im grünen Wald sang ihre Stimme, o hatte er
einmal gesagt.

„Kannst dich auch an mir festhalten, wennſt willst!" sagte die Relli.
„Ich halt’ das ſchon aus. Und in einer halben Stund’ biſt ſo weit, daß du
mit mir hinuntergehen kannſt. Zur Verlobung.“

Der Pauli, zwei dicke Falten in der Stirn, mit einem verdächtigen Zucken
in seinem ſtubenblassen Gesicht, ſchob die Antwort auf. Er öffnete das
Fenster und warf seine Medizinflaſchen eine nach der anderen hinaus: den

Baldrian, die eſſigſaure Tonerde, die Hoffmannstropfen und den Kinder-
met. Die Relli brauchtnicht zu denken, daß erich nicht ſelbſt zu helfen wüßte.

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Unten in der Küche ſah die Haushälterin auf ihre Schwarzwälderuhr.
„Maria und Anna, "sagte sie, „daß man gar keine Zeit nicht hat! Der Pauli
liegt mir oben und stirbt, und ich muß da die Kalbsbrüſt’ einſchieben."

In der Schankſtube blieſen ſie den Feuerwehrmarſch, daß die Fenſter
klirrten. Und der Walcherl, der Verlobte, hing der Abwechſlung halber
und weil die Relli von ihrem Krankenbeſuch beim Pauli noch immer nicht
zurück war, der Kellnerin um den Hals.

Der Feuerwehrmarsſch brach, als er gerade im beſten Zug war, in der
Mitte ab. In der geöffneten Tür der Schankſtube stand, ein bißchen ſchwach
auf den Füßen, aber hinlänglich geſtützt von der Relli, der Pauliwirt.
„Nicht loslassen !" sagte er, noch etwas benommen vom Treppenſteigen,
zum Walcherl, der angesichts des abgeschiedenen Geiſtes des Pauliwirts
die Kellnerin wie die ewige Seligkeit umhalſt hielt. ,„Nicht loslassen,
Walcherl! Haſt du meine Kellnerin, hab’ ich deine Relli! Ich hab’ mir's
überlegt, das Sterben iſt keine Beschäftigung für mich. Ich probier’ es mit
dem Lebendigwerden und mit der Relli .

Am nächſten Morgen trug die Haushälterin die ſchöne Kerze zum Krä-
mer zurück.

„Schreibſt mir's gut,“ sagte sie. „Und rechnest sie uns ab, wenn wir um

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die Kindswäſch’' kommen!



Feierabend







tach einem Gemälde von Hans Thoma

Verlag der Photographiſchen Gesellſchaft Charlottenburg, copyr.

3. 1926
 
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