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z‘ Das Buch für Alle

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Gibt es denkende und sprechende Tiere?

Von Clisſabeth Gräfin von Montgelas-Salzburghofen

It? manche Gelehrte dem Tierjede Intelligenz abſprechen und in
ihm nur ein reines Inſtinktwesen ſehen wollen, ſtellen andere das
Seelenleben der Tiere dem des Menſchengleichund trauenihnen geiſtige Lei-
ſtungen zu, die jene eines Durchſchnittsmenſchen weit übertreffen würden.
Ich habe mich von meiner früheſten Kindheitan mit Tieren aller Artbeſchäf-
tigt, viele Hunderte von Vierfüßlern, einheimiſche und ausländiſche, im Hauſe
gehalten und bin im ſtändigen Verkehr mit ihnen zu der Überzeugung ge-
kommen, daß die Wahrheit in der Mitte liegt. Jedes höhere Tier besitzt
Verstand, Gedächtnis, Urteilskraft, es fehlt ihm aber im Gegenſatz zum
Menſchen die Fähigkeit, mit Begriffen, ohne beſtimmte Vorſtellungen zu
denken. Es denkt alſo nicht, wie der Menſch denkt, ſondern eben ſeiner Art
entsprechend. Aufgaben zu lösen aus der Mathematik, wie es die Elber-
felder Pferde und die Mannheimer Hunde angeblich in ſelbſtändiger Weiſe
getan haben Jollen, liegt außerhalb des Denkvermögens irgend eines Tieres,
und wäre es auch noch so klug. Und diese Fähigkeiten hätten für das Tier
auch keinen Wert. Kein Geſchöpf besitzt aber eine Fähigkeit, die ihm von
der Natur zwecklos mitgegeben worden wäre.

Alle Fähigkeiten der Menſchen und der Tiere ſind in einem viele Jahr-
tauſende währenden Kampfe mühſam erworben worden und nicht als
Geschenke des Himmels plötzlich herniedergefallen. Hunde und Pferde, die
seit Jahrtausenden gezähmt und dem Dienſt des Menſchen nutzbar gemacht
wurden, konnten Jich in dieſer langen Zeit gewiſſe Fähigkeiten, die ſie im
Freilebennicht hatten, in beſchränktem Maße aneignen. Sie paßten ſich dem
Menſchen und einer geregelten Lebensweise an, arbeiteten für ihn, lernten
aufmerkſam auf Zeichen achten, für die Jie ſonſt kein Interesse hatten.
Wann und wHzu Jollten aber dieſe Tiere die Fähigkeit erworben haben,
zu rechnen und die menſchliche Sprache dem Sinne nach zu verſtehen?

Ich besaß nicht nur Dutzende von Pferden und Hunderte von Hunden,
sondern ich hielt auch eine Menge anderer Tiere, darunter eine Löwin,
zwei Leoparden, viele Affen, Papageien, Rehe und Katzen. Bei keinem
dieser vielen Tiere, auf deren Äußerungen ich mit größter Aufmerkſamkeit
achtete, konnte ich je ein Zeichen dieſer Fähigkeiten bemerken.

Viele unter ihnen verſtehen es ſchnell, den Wünſchen ihres Herrn nach-
zukommen, das heißt aber nicht, daß ſie die Worte, die er ſpricht, dem Sinne
nach verſtehen. Sie folgen einem Befehl, wenn Jie den Laut, der immer
dafür gegeben wird, einmal gewöhnt ſind, verſagen aber, wenn der gleiche
Befehl anders ausgedrückt wird. Der Hund, der dreſsiert iſt, auf „Gib
Laut !“ zu bellen, bleibt ſtumm, wenn man ihm zuruft: Bell’ jettmall!“, er
holt, falls er als Apporteur ausgebildet iſt, auf das Kommando: „Such! ver-
loren apport !“ ein verlorenes Taſchentuch, ſchaut einen aber verſtändnislos
an, wenn man ihm ſagt: „Ich habe mein Taſchentuch verloren, hol’ es mir !"

Ganz anders werden dagegen die „rechnenden" und „buchſtabierenden“"
Tiere geſchildert. Sie verſtehen vermeintlich alles, was man ihnen ſagt,
aufs erstemal, ſie vollbringen Leiſtungen, die nicht bloß für Tiere wunderbar
wären, ſondern auch von keinem Menſchen ohne gründlichen Unterricht
vollbracht werden könnten.

Eine der erſtaunlichſten
Leiſtungen des Mannhei-
mer Hundes Rolf war das
Diktieren vonBriefen. Wie-
viel Erfahrung muß der
Menſchſammeln,bis erzum
Begriffe „Brief“ kommt!
Wohin die Interpunktion
gehört, wurde Rolfnurein-
mal erklärt, er ließ die ſeit-
dem nie aus. Auch darin
war er menſchlichen Schü-
lern weit überlegen. Die
Elberſelder Pferde und der
Mannheimer Hund löſten
ſchwierige Rechenaufgaben
ſchneller, als es viele gebil-
dete Menſchen könnten, Jie
beantworteten Fragen über
Dinge, die ihrer Natur ganz
fernelagen. Ihr Verſtänd-
nis fürdie geſtellten Fragen
zeigten ſie aber immer nur
durch Scharren und Klop-
fen, nie durch eine Hand-

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lung. Wie ich in meinen Büchern „Von meiner Löwin“ und „Vom
Umgang mit Tieren“ näher erkläre, wäre es meiner Ansicht nach viel besser,
dieſen Tieren einen ganz einfachen Auftrag zu geben, durch deſſen Aus-
führung Jie ihr Sprachversſtändnis viel leichter beweisen könnten als durch
die Löſung schwieriger mathematischer Aufgaben. Wenn Rolf aus einem
Nebenzimmer ein Buch geholt hätte, deſſen Titel man ihm, da erja alles
las, angegeben hätte, ſo wäre jeder Zweifel an ſeiner Begabung verſtummt.
Solange die Handlungen der denkenden Tiere nicht mit ihren Antworten
übereinstimmen, ſolange glaube ich, daß ihre angeblich ſelbſtändigen geiſti-
gen Leiſtungen auf unbewußter Gedankenübertragung oder unbewußter
Zeichengebung beruhen. Sie sind ſtets das Echo des Vorführenden, niemals
ſelbſtändige Arbeit des Tieres.

Tiere haben eine sehr feine Beobachtungsgabe, und viele unter ihnen
ſind sehr sensitiv, daher leicht beeinflußbar. Die Erfahrungen, die ich als
Kind bei der Dressur eines Ziegenbocks, den ich im Rechnen unterrichtete,-
machte, haben mich davor bewahrt, an den Elberfelder „klugen Hans" und
ſeine Nachfolger zu glauben. Für mich besteht kein Zweifel, daß die „denken-
den Tiere" in den Fällen, wo eine Zeichengebung ausgeſchloſſen iſt, auf
telepathiſch gegebene Befehle handeln. Scharren oder Klopfen wird ihnen
mechaniſch beigebracht. Wenn Jie dies erlernt haben, folgen ſie den auf
telepathiſchem Wege gegebenen Antriebs- und Haltsſignalen, ſo daß Jie
auf diese Weise zu jeder beliebigen Leiſtung gebracht werden können. Dieſe
Signale werden ihnen aus dem Unterbewußtsein des Menſchen übermittelt,
ohne daß der Vorführende in ſeinem Oberbewußtſein Kenntnis davon
haben muß. Darauf beruht die Selbsſttäuſchung, der die Anhänger der
„denkenden Tiere“ unterliegen. Das Bewußtſein des Tieres iſt ſeinem
Wesen nach dem menschlichen Unterbewußtsein wohl näher als unſerem
Oberbewußtsein. Die Tiere sind also lediglich paſſive Empfänger für
Signale aus dem menschlichen Unterbewußtsein. Daß ein enger ſeeliſcher
Zuſammenhang zwiſchen Menſch und Tierbeſteht, iſtnach meinen Erfahrun-
gen als ſicher anzunehmen.

Das Tier kennt nur die Gegenwart, aber keine Zukunftin unſerem Sinn.
Wenn es für seine Nachkommenſchaft durch Nestbau ſorgt, für den Winter-
ſchlaf Vorräte ſammelt, wie es der Hamster tut, ſind das reine Inſtinkl-
handlungen, die zur Erhaltung der Art notwendig ſind. Es kann ſich keine
Vorstellungen machen über seine Herkunft, über ſeinen ſpäteren Lebens-
weg, über Todund Schicksal, dieihm bevorſtehen. Es iſtalſo falſch, zuglauben,
daß ein Hund fähig iſt, ſeine Erlebniſſe zu diktieren, wie dies der kluge
Rolf getan hat, daß er ſich einen Begriff vom kommenden Weihnachtsfeſt
machen kann, daß er ſich auf Gaben, die man ihm ſchenken wird, freut.
Freuen wird er sich am Weihnachtsabend, wenn er, gleich den anderen
Familienmitgliedern, mit Geschenken bedacht wird, aber auch ohne Gaben
kann er an der allgemeinen Freude teilnehmen, wie er auch für Kummer
und Schmerz seines Herrn ein mitfühlendes Herz zeigt.

Ein Münchner Professor iſt der Ansicht, daß den Tieren eine Rechen-
fähigkeitinnewohnt, wiesie
manchmal auch bei geiſtig
niederſtehenden Menſchen
~inJdiotenanſtalten gibt
es Rechenkünſtler ~zu fin-
deniſt. Als Beweis fürſeine
Anschauung wies er mich
auf die Tatſachehin, daßein
Schäferhund das Jehlen
einiger Schafe aus ſeiner
Herde merkt. Er meint, der
Hund mache Jich ein Zah-
lenbild der Herde, was ihn
dazu befähige, das Fehlen
einiger Stücke zubemerken.

Ich bin überzeugt, daß
hierlediglich der Geruch des
Hundes eine Rolle ſpielt.
Wennſ.icheinige Schafe von
der weidenden Herde ent-
fernen oderin Abwesenheit
des Hundes fortgeſchafft
U MU | strriMüitterungvetormmen
: und der Spur nachgehen,
bis er die fehlenden Stücke


 
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