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Da s B u ch für Alle 59



„Bitte, recht freundlich !-/

gefunden hat. Würde man im Stall, ehe die Herde ausgetrieben wird,
einige Schafe herausnehmen, dann würde der Hund oicher nichts bemerken.
Ich halte es für ausgeschloſſen, daß der Hund einen Begriff von der tat-
sächlichen Zahl der ihm anvertrauten Herde hat.

Der beſte Beweis dafür, daß Tiere nicht zählen können, iſt das Verhalten
der Hündinnen, denen man nach der Geburt einige ihrer Jungen nimmt.
Tut man dies in Abwesenheit der Hündin so, daß ie keine Witterung davon
bekommt, so wird die Hündin bei ihrer Rückkehr das Fehlen der Iungen
nicht bemerken. Hätte ſie aber einen Begrifs von ihrer Zahl, ſo würde Jie
sofort nach den fehlenden ſuchen. Das tutie abernicht, wovon ich mich oft
überzeugte und wovon ſich auch jeder Hundebesitzer mit demſelben Erfolg
überzeugen kann.

Würden die Anhänger der „denkenden Tiere“ mit ihrer Lehre recht haben,
dann wäre in erster Linie der ſprachbegabte Papagei geeignet, ſeine Ge-
danken in Worte zu kleiden. Aber das wird dem Papagei ebensowenig
gelingen wie irgend einem anderen Tier, weil auch er die menschliche
Sprache, obwohl er Jie ſo täuſchend nachahmen kann, dem Sinn nach nicht
verſteht. Der Graupapagei gehört zu den intelligenteſten Tieren, und unter
dieſen nimmt mein Jackl eine besondere Ausnahmeſtellung wegen seiner
Sprachbegabung und Gelehrigkeit ein. Ich kenne keinen Papagei, der so
gescheit iſt wie er. Er verfügt heute über einen Sprachſchatß von ungefähr
vierhundert Worten, die er meiſt richtig anwendet. Trotzdem kann ich mich
mit Jacklnicht unterhalten wie mit einem kleinen Kinde. Jackl weiß manch-
mal recht gut, die entſprechenden Worte anzubringen, um zu erlangen, was
er will. Er unterſcheidet auch richtig zwiſchen tadelnden und lobenden
Worten und wendet Jie ſinngemäß an. Allerdings kommt hier mehr der
Tonfall als die eigentliche Bedeutung des Wortes in Betracht, aber die
richtige Anwendung iſt doch an und für Jich ſchon ein Beweis höherer In-
telligenz. Wenn er im Sommer auf der Veranda ſteht und es nähern Jich
ihm Spatzen und Tauben, um das verstreute Futter zu freſſen, gibt er
ſeinen Ärger darüber kund, indem er seinen ganzen Vorrat an Schimpf-
worten und Ermahnungen auskramt. „Gehſtnetweg, marſch, marſch, wart,
ich komm’ dir, du Lump, Spitzbub du !“ und ähnliche Liebenswürdigkeiten
ſchreit ermit böſe klingender Stimme den Vögeln entgegen. Niemals würde
er in ſolchen Fällen freundliche Worte wie: „Biſt mein guter Vogel“,



Nach einem Gemälde von Paul Meyerheim

„So iſt's brav, Liebling“ oder andere ihm geläufige Koſenamen aus-
ſprechen. Sein ganzes Benehmen zeigt deutlich seinen Zorn. Das Gefieder
iſt geſträubt, und die Augen blicken böſe. Das Nachahmungstalent der
Papageien beschränkt ſich nicht nur auf die Sprache, sondern bei sehr
intelligenten Vögeln auch auf die Gebärden des Menſchen. So besaß ich
einen anderen Graupapagei, der das „Schuhplatteln“ nachahmte. Ich hatte
den Vogel in einer Wirtſchaft gekauft, wo er dieſen Tanz sehr oft gesehen
hatte. Sobald man auf dem Grammophon einen Schuhplattler ſpielen
ließ, erinnerte ihn das an das Gesehene, und er fing sofort an zu tanzen
mit den Flügeln zu ſchlagen und zu ſchnackeln.

Trotz seiner Intelligenz versteht aber Jackl die Worte, die man zu ihm
ſpricht, nicht in der Weise, wie ſie ein Kind verſtehen würde. Wenn ich ihm
das Aussprechen eines häßlichen Schimpfwortes mit den Worten verbiete :
„Pfui, das sagt man nicht", hört er aufmerkfſam zu und fügt dann dem
verpönten Ausdruck ſtets die Worte an: „Pfui, das ſagt man nicht."

Der begabte Papagei ſpricht die Worte, die er bei einer beſtimmten
Gelegenheit hörte, nach, ſobald Jich diese Gelegenheit wiederholt. Jackl
zankt meine Hunde, wenn Jie Lärm machen, mit den gleichen Worten, die
ich anwende, um sie zur Ruhe zu weiſen. Dabei unterscheidet er die
Stimmen der Hunde und ruft denjenigen, der gebellt hat, beim Namen.
Das Bellen meiner Schoßhunde macht er ſo täuſchend nach, daß ich manch-
mal nicht weiß, ob die kleinen Hunde oder der Jadkl gebellt hat. Ihre etwas
ſchwierig auszuſprechenden Namen ,„Struwelkaſpar“ und „Struwelpeter"
rief er ſchon nach zwei Tagen, und er gibt ihnen auch Ermahnungen.

Der Einwand, der von mancher Seite gemacht wird, die Anhänger der
mediumiſtiſchen Erklärung würden den Tieren viel höhere Jähigkeiten
beilegen als diejenigen, die reine Versſtandesleiſtungen annehmen, iſt meiner
Ansicht nach falſch. Es iſtbekannt, daß man auch den Idioten durch Gedanken-
übertragung eine Aufgabe löſen lasſen kann, zu deren Bewältigung seine
eigenen Verſtandeskräfte nicht genügen würden. Im Dämmerzuſstand voll-
bringen Medien Leiſtungen, die sie im wachen Zuſtand nie fertigbrächten.
Ein ſelbſtändiges Arbeiten der Tiere würde einen hohen Grad von Intelli-
genz vorausſetzen, während die Fähigkeit, telepathiſch gegebene Befehle
auszuführen, nichts mit Intelligenz zu tun hat und, wie gesagt, auch bei
ſchwachſinnigen Lebewesen vorkommt.
 
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