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66 Da s Buch für Alle Heſt z
Wolkenfahrt Nach einer Radierung von Josef Uhl

Was man von der Eisenbahn wiſſen muß / Von Prof. Dr. Muhle

Ge Regenſchwaden, begleitet vom Heulen des Sturmes, fegen in
Y Âzdunlkler Nacht über die Landſchaft. In iriesender Feuchtigkeit glänzt die
leere Landſtraße, kein Gefährt, kein Wandrer iſt zu ſehen. Nur da vorn wirft
ein Licht seinen ſchwachen flackernden Schein auf den Weg. Es iſt die Laterne
an der Bahnschranke. Und oben am Maſt blinkt ein rotes Signallicht in die
Finſternis, dem Toben von Sturm und Regen gleichſam trotzend. Hohlheult's
in den Lüften. Bim-baum, bim-baum, bim-baum ertönt mit feſtem Schlage
die Glocke am Bahnwärterhäuschen. Nicht lange dauert es, und das rote
Licht des Signals hat ſich in ein grünes verwandelt, das „Fahrt frei“ dem
zu erwartenden Zuge kündet. Schon ſenkt ſich die Schranke herab, und der
Bahnwärter ſteht auf ſeinem Poſten lroß Regen und Wind, trotz Sturm
und Wettergebraus. Signal und Bahn sind in Ordnung. Da leuchten in der
Ferne zwei blinkende Lichtpünktchen auf, klein und matt; ſchnell werden
ſie größer und heller, ſchon glitzert der Schienenſtrang unter ihren Strahlen,
es knackt und ſchlägt in den eiſernen Gleiſen. Brauſend und donnernd, das
Heulen des Sturmes übertönend, kommt der Schnellzug herangeſtürmt.

Drei rote Lichter, ſchnell verblaſſsend, enteilen in die dunkle Nacht! +
Was war es? Nun, der Nahchiſchnellzug fuhr vorüber, heute wie jede andere
Nacht auch; nichts Besonderes, Außergewöhnliches ! O nein! Etwas Groß-
artiges, Gewalliges ſpielte ſich vor uns ab.
Gigantisch iſt es zunennen, was Menſchengeiſt
und Menſchenhand hier geſchaffen haben. Und
doch kann auch hier die Technik nur triumphie-
ren, wenn die Pflichttreue der Ciſenbahner
dazu kommt. Lokomotivführer und Heizer, die
in kalter, ſtürmiſcher Nacht auf der Maſchine
den Unbilden der Witterung trotzen, der Bahn-
wärter, der in ſpäter Nacht und in früher
Morgenstunde auf seinem Poſten, der Stell-
werksbeamte, der die Weichenhebel bedient,
der Telegraphiſt im nächtlich erleuchteten
Dienſtzimmer, der einfache Wagendrücker
draußen auf dem Rangierbahnhof: ie alle
müſsen das Ihre tun, damit das Riesenge-
triebe glatt abläuft, müssen es tun in treueſter,
oft geradezu ſelbſtloſer Pflichterfüllung; wahr-
lich ein Hoheslied von Pllichttreue! Drinnen
im behaglichen Wagen ſitzt der Reiſende in
seinem Abteil, kaum der vorbeihuſchenden
Lichter, der durchfahrenen Weichen, der bun-
ten Signallampen achtend, vertiest in seine
Zeitung oder ſtark beschäftigt mit dem reich-
lichen Reiſeproviant. Wohl bietet eine Eiſen-
bahnfahrt in der Duntelheit bei weitem nicht
so viel Interessantes wie eine ſolche bei Tage.
Dochgibt'simmerhinſomancheszubeobachten.
Daerblickt manzweiſschrägzueinanderſtehende



Das Signal „Fahrt frei“

niedrige orangegelbe Lichter. Was bedeuten Jie? Tetzt zeigt das Einfahrts-
signal zwei grüne Lichter an hohem Malt, während man ſonſt gewöhnlich
nur ein grünes Licht bemerkt. Welcher Reiſende kann Rechenſchaft geben?
Der Schlußwagen eines Zuges führt drei rote Laternen als Schlußſignal,
das wissen wohl die meiſten. Aber da ſteht auf einem Gleis des Bahnhofs
ein fertiger Zug, desſen beide Oberwagenlaternen am Schlußwagen nach
hinten weißes Licht zeigen, während die untere Schlußlaterne rot leuchtet.
Wie mancherlei aber bemerkt der aufmerkſame Beobachter während
einer Eiſenbahnfahrt am Tage. Hier taucht eine grüne, weißgeränderte
Scheibe mit einem U auf; dort ſind niedrige weiſßz-rote Marken neben einer
Gleisabzweigung angebracht; jetzt ſtellt der Fahrdienſtleiter an einem Ge-
häuſe am Bahnſteig eine rote Scheibe hinter einem Fenſter des Apparates
ein; bald neigt ſich während der Fahrt der Wagen ſchräg ſeitwärts; dann
wieder ertönt ein regelmäßiges Schlagen der Räder; mitunter hört man ein
ſtampfendes Geräuſch von der Lokomotive her, oder man ſieht aus ihren
Zylindern bei der Anfahrt ziſchenden Dampf ausſtrömen. Welcher Nicht-
fachmann unter den Mitreisenden vermag all dieſe Dinge zu erklären? Die
meisten Reiſenden wissen herzlich wenig von den techniſchen Einrichtungen
der Eiſenbahn. Dies hindert Jie freilich nicht daran, über alles Gesehene zu
reden. Was für Bemerkungen hört man oft
im Abteil, wenn der Zug bei der Abfahrt erſt
eine kurze Strecke von der Lokomotive zurück-
gedrückt wird oder wenn er vor der Einfahrt
außerhalb des Bahnhofs hält!
Niemand wird dem Laien zumuten, ſich mit
Hilfe eines großen fachmänniſchen Werkes
über die techniſchen Einrichtungen der Eiſen-
bahnen zu unterrichten. Aber es iſt jezt im
Verlage der Union Deutlſche Verlagsgeſell-
ſchaft in Stuttgart ein hübſches handliches
Büchlein erſchienen, das den Titel trägt: „Was
man von der Eiſenbahn wiſſen muß“. Sein
Verfasser, Prof. Dr. Muhle, ſchildert in feſſeln-
der, für den Laien leichtverſtändlicher Form,
erläutert durch zahlreiche Abbildungen und
Skizzen, das Bahntechniſche und will dadurch
sein Interesse für die Eiſenbahn wecken. Nicht
öde, langweilige Beſtimmungen, Tarife, Vor-
schriften werden erörtert. Der Leſer spürt
vielmehr etwas von dem Zauber der Eiſen-
bahn, so daß er das Büchlein am Schluſſe
hochbefriedigt aus der Hand legt. Er hat dann
von einer Eiſenbahnfahrt in Zukunſt einen
weit größeren Genuß als bisher, denn nun
wird er auf alles mögliche achten und wird
Wissenswertes in Menge auf der Jahrt be-
merken, wo er vordem nur Langeweile hatte.
 
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