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Heft 4

Da s Buch für Alle ... B14



Von Schlangen, Leoparden und anderen Zeitgenoſſen

Erlebnisse von Dr. P. Vageler

angſam verglomm das Abendrot über der Pie-Steppe. Sein letzter

Strahl ließ die ſilbergrauen Äste des Affenbrotbaums, unter dem mein
Zelt ſtand, noch einmal feurig aufleuchten. Nach einem heißen Tagesmarſch
wohlig faul im Lehnſtuhl hingeſtreckt, verfolgte ich die Tätigkeit meiner
Boys, die das Abendbrot rüſteten, ſchon halb an der Grenze des Traum-
landes angelangt. Es iſt Tatſache, daß, wenn man lange in der Wildnis
gelebt hat, das Unterbewußtsein gewissermaßen die Rolle eines treuen
Wächters ſpielt und mit einer, dem bloßen Kulturmenſchen mangelnden
Feinheit auf alles reagiert, was auch nur wenig aus dem Rahmen des
Gewöhnlichen oder der Sachlage nach zu Erwartenden fällt.

Das Lärmen meiner Träger, das Stampfen meiner dicht neben mir
angebundenen Maultiere und Esel, das Kläffen der Schaktale, ſelbſt ein
von ferne leiſe herüberrollendes Löwengebrüll vermochten meine Träume-
reien nicht zu unterbrechen. Doch plötzlich fahre ich mit einem Ruck in die
Höhe. Ein ganz leiſes Geräuſch, wie Blätterrauſchen, hatte mein Ohr ge-
troffen. Blätterrauſchen war unmöglich an dieſem Ort, da erstens kein
Lüftchensichregte und
zweitens keine Blätter
imUnmtreiſe vonvielen
Kilometern vorhan-
den waren. Streckte
doch auch mein Affen-
brotbaum nur ganz
nackte Zweige gen
Himmel. Angeſtrengt
lauſchte ich; da war es
wieder, es kam aus
der Richtung meines
Zeltes her. Mit einem
Satz war ich auf den
Beinen. Ein Blick ins
Zelt. Es ſchien beidem
bereits dämmerigen
Licht leer. Schon ka-
men meine Leute mit
Laternen. Nichts war
zu ſehen. Vorsichtig,
mit geſpanntem Ge-
wehr ging ich hinein,
während ein Träger
mit einem langen
Stock in die dunklen
Ecken fuhr. Anſschei-
nend nichts. Plötzlich
ein ſcharfes Ziſchen.
Zu halber Mannes-
höhe richtete ſich eine
riesige Speiſchlange
auf, und mit tödlicher
Sicherheit fuhr dervon
dem Reptil geschleu-
derte Giftſtrahl dem
Träger ins Gesicht, so
daß er heulend seinen
Stock fallen ließ. Eine
Sekunde später traf
dieKugeldenzum Biß
vorſchnellenden Hals
der Schlange, und das
Reptilsank kraftlos zu
Boden. Hätte mich das
kaumhörbare Raſscheln
der Schuppen auf dem
Boden, das wie Blät-
terrauſchen klang, nicht
gewarnt, so hätte dich
die Lage recht unan-
genehm für mich ge-
ſtalten können.

Nachmehrjährigem
Aufenthaltin den Tro-



Eine Riesenschlange beim Fiſchfang

1. 1925



pen war dies mein erſtes Abenteuer mit der Schlange, die als Inbegriff alles
Gefährlichen so tief im menſchlichen Inſtinkt verankert iſt, daß keine Frage
häufiger an den Tropenreiſenden geſtellt wird als die, wie es mit der
Schlangengefahr in denheißen Ländernder Erde beſtelltsei. Zur Beruhigung
kann ich auf Grund meiner Erfahrung sagen, daß die Schlangengefahr in den
Tropen im großen und ganzen ſehr überſchätzt wird. Der Europäer hat sehr
ſelten Gelegenheit, eine Schlange zu ſehen, und noch weniger gerät er durch
eine ſolche in Gefahr. Ersieht wohl hier und da eine Schlange über den Weg
huſchen, kommt vielleicht einmal dazu, eine träge Puffotter zu erſchlagen;
das iſt aber auch alles. Denn im allgemeinen nimmt jede Schlange bei
Herannahen eines Menſchen rechtzeitig Reißaus, und von einer Angriffs-
luſt der Schlange kann nicht geſprochen werden.

Am meisten kommen einzelne harmlose, in der Nähe menſchlicher Woh-
nungen sich haltende Schlangenarten zu Gesicht, deren Hauptjagdbeute die
Ratten und Mäuse der Siedlungen bilden. Allerdings ſtellen auch diese
gelegentlich einmal einen nicht geringen Anspruch an die Nervenfeſtigkeit.
So veranlaßte mich
eine harmlose Ratten-
ſchlange zu dem größ-
ten Sprung, den ich
je in meinem Leben
gemacht habe und der
mich ſicherzum Olym-
piadeſieger gemacht
hätte. Gemüttlich le-
ſend ſaßz ich am Tiſch
memerBehauſuna, die
ein Strohdach mehr
zierte als ſchützte.
Plötzlich raſckt elte es
über mir. Einſchne!ler
Blick nach oben. Ih
ſehe eine helle Masse,
die mir auf den Kopf
fällt. Eine kühle, an-
der. halb Meter lange
Rattenschlange legt
ſich mir um den Hals
und gleitet über mei-
nen Arm zum Tiſch,
um eine Maus zu ver-
folgen. Ich muß ge-
ſtehen, daß ich zur
Beruhigung der Ner-
ven einen ſtarken Ko-
gnak getrunken k.abe.

Nicht ganz ſo harm-
los hätte es ablaufen
können, als ich einmal
am Kunenenufer, um
eine Felswand klet-
ternd,plöyzlich auf eine
Puffotter griff, die ein
ſchneller Ruck recht-
zeitig in die fünfzig
Meteruntermir brau-
ſende Flutschleuderte.

Vaollſtändigharmlos
ſind die Riesenſchlan-
gen. Selbst die größ-
tenExempiare greifen
ungereizt nicht an und
gereiztnur dann, wenn
ſie keinen andern Aus-
wea finden.

So trat ich einmal
auf einen dicken Aſt,
der im flachen Wasser
eines Altlaufs des Ha-
waſchlag, um vondort
ein beſſeres Ziel auf







Nach einer Zeichnung von F. Specht
 
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