Heſt s
Das B uch f ü x Alle
LO5
Cin zum Vergnügen der Zuſchauer in Brand geſtecktes Wohnhaus in Coney Island, dem Vergnügungspark Neuyorks
Im Kampf mit den Flammen / Von P. Richards
: CJ Volk hat seine eigene Art, ſich zu vergnügen, und nichts spiegelt
die Volksseele deutlicher wider als die Art der Vergnügungen, in
denen die große Masse ſich glücklich fühlt. Der Amerikaner verlangt auch vom
Vergnügen den Lärm und den Nervenreiz, die ihm zum Bedürfnis g-
worden ind. Deshalb übt Coney Island, der gigantisch angelegte Ver-
gnügungspark an der See, dicht bei Neuyork, solch eine gewaltige An-
ziehungskraft auf ihn aus. Viel Menſchliches ist dort zu ſtudieren, viel
Stoff zum Problem Amerika zu finden. Wer offene Augen hat, kann
da draußen eine ſolche Fülle buntwechselnder Menſchlichkeit beiſammen
ſehen wie ſonſt vielleicht nirgends wieder auf gleichem Raum. Und wenn
er die Schauluſtigen beobachtet und belauſcht, kommt er erſt recht auf
seine Koſsten.
Dies trieb auch mich immer wieder hinaus nach dieſem Eldorado des
Vergnügens, insbesondere nach „Traumland“, der Märchenstadt, wo das
rieſige Wahrzeichen Coney Islands, der magiſch erleuchtete Turm, trotzig
herabblicktt auf die wimmelnde, gewaltige Menſchenmasse, und wo ein
ſtolzer Vergnügungspalaſt ſich an den anderen reiht und ihn an neu-
artigen Aufregungen zu überbieten ſucht. :
Unaufhörlich wälzte ſich die ungeheure Menge durch den breiten Ein-
gang. Männlein und Weiblein kreiſten kreiſchend und lachend in den Rie-
ſentaruſſellen, Berg-und-Tal-Bahnen und Schaukelrädern umher, Musik
ſchmetterte, und auf der Brücke, unter der die Boote der ſteilen Rutſch-
bahn herabſauſten ins ſchäumende Wasser, herrſchte lebensgefährliches
Gedränge. :
Ich ſchlenderte langſam die endloſe Straße der Vergnügungen entlang
und ſandte kritiſche Blicke umher, welcher der mannigfachen Volksbe-
luſtigungen ich mich zuerſt zuwenden Jollte. Da fiel mein Auge auf einen
in klaſſiſchem Stil gebauten ſtolzen Palaſt, zu dem Granitſtufen empor-
führten wie zum Parthenon und vor dem das Gewühl immer dichter
wurde.
„Fighting the flames“, im Kampf mit den Flammen, las ich und hörte,
daß der heiſere Ausrufer den Beginn der Vorstellung verkündete, wäh-
rend launige und aufmunternde Weisen zu mir herausdrangen. Das ent-
ſchied. Ich nahm mir an der Kasse einen guten Platz und ließ mich von der
drängenden und ſtoßenden Menſchenmenge in den Riesenraum ſchieben.
Kopf an Kopf saßen die erwartungsvollen Zuſchauer. Die Musik spielte,
dann hob sich der Vorhang. Die Aufmerksamkeit des Publikums wurde
durch einen umfangreichen quadratiſchen Platz gefesselt, der auf drei Seiten
von nüchternen Mietskasernen der ſchmuckloſeſten Art umgeben war.
„Chatham Square" las ich im Programm. Dieſe Gegend, die von un-
zähligen Neuyorkern nie betreten wird, iſt eine Welt für ſich, zwischen
lärmenden Straßen gelegen + ein Viertel der Armut und des Laſters.
Nüchtern reiht ſich Miethaus an Miethaus; kalt ſind ihre Fassaden, ein-
tönig dehnen ſich ihre nackten Fronten. Ein Laternenanzünder ging
von einem Laternenpfahl zum anderen, überall hinterließ er ein Licht,
das wie ein trübes Auge durch die Dämmerung blinkte, ohne zu leuch-
ten. Die Häuſer atmeten Frieden und Ruhe; nur ein riesiger Poliziſt
ſchritt langſam auf und ab, und aus der Ferne ertönte das Geschrei eines
Zeitungsjungen.
Ein unnatürlich gelber Mond ging auf, ein Mond, der kein Licht warf,
sondern dort oben am Himmel hing wie ein Ballon, den Kinder fliegen
ließen. Plötzlich öffnete sich eine Haustür.
Einige Männer in Hemdärmeln traten heraus, charatteriſtiſche Typen;
ein paar Frauen folgten ihnen, mit abgetragenen Umſchlagtüchern um
die Schultern und Filzpantoffeln an den Füßen. Dann Neger, Mädchen
und barfüßige Kinder. Gruppen fanden ſich zuſammen. Überall lagen
Papiere umher, Fetzen von Zeitungen und zertretene Orangen- und
Bananenſchalen.
Jett ließ ein Stiefelwichſer sein gellendes „Blank, blank !“ ersſchallen.
Dann ein kreiſchender Lumpenhändler, heiſer vom langen Mißbrauch ſeimer
Stimme. Und viele andere Neuyorker Straßentypen zogen an uns vor-
über, den Armenvierteln entſproſſen und mit ihnen auf das engste verwach-
ſen; jene Typen, welche noch heute für den Stadtteil so charaktteriſtiſch
ſind und ſeinem öffentlichen Leben ein gut Teil Originalität verleihen.
Das B uch f ü x Alle
LO5
Cin zum Vergnügen der Zuſchauer in Brand geſtecktes Wohnhaus in Coney Island, dem Vergnügungspark Neuyorks
Im Kampf mit den Flammen / Von P. Richards
: CJ Volk hat seine eigene Art, ſich zu vergnügen, und nichts spiegelt
die Volksseele deutlicher wider als die Art der Vergnügungen, in
denen die große Masse ſich glücklich fühlt. Der Amerikaner verlangt auch vom
Vergnügen den Lärm und den Nervenreiz, die ihm zum Bedürfnis g-
worden ind. Deshalb übt Coney Island, der gigantisch angelegte Ver-
gnügungspark an der See, dicht bei Neuyork, solch eine gewaltige An-
ziehungskraft auf ihn aus. Viel Menſchliches ist dort zu ſtudieren, viel
Stoff zum Problem Amerika zu finden. Wer offene Augen hat, kann
da draußen eine ſolche Fülle buntwechselnder Menſchlichkeit beiſammen
ſehen wie ſonſt vielleicht nirgends wieder auf gleichem Raum. Und wenn
er die Schauluſtigen beobachtet und belauſcht, kommt er erſt recht auf
seine Koſsten.
Dies trieb auch mich immer wieder hinaus nach dieſem Eldorado des
Vergnügens, insbesondere nach „Traumland“, der Märchenstadt, wo das
rieſige Wahrzeichen Coney Islands, der magiſch erleuchtete Turm, trotzig
herabblicktt auf die wimmelnde, gewaltige Menſchenmasse, und wo ein
ſtolzer Vergnügungspalaſt ſich an den anderen reiht und ihn an neu-
artigen Aufregungen zu überbieten ſucht. :
Unaufhörlich wälzte ſich die ungeheure Menge durch den breiten Ein-
gang. Männlein und Weiblein kreiſten kreiſchend und lachend in den Rie-
ſentaruſſellen, Berg-und-Tal-Bahnen und Schaukelrädern umher, Musik
ſchmetterte, und auf der Brücke, unter der die Boote der ſteilen Rutſch-
bahn herabſauſten ins ſchäumende Wasser, herrſchte lebensgefährliches
Gedränge. :
Ich ſchlenderte langſam die endloſe Straße der Vergnügungen entlang
und ſandte kritiſche Blicke umher, welcher der mannigfachen Volksbe-
luſtigungen ich mich zuerſt zuwenden Jollte. Da fiel mein Auge auf einen
in klaſſiſchem Stil gebauten ſtolzen Palaſt, zu dem Granitſtufen empor-
führten wie zum Parthenon und vor dem das Gewühl immer dichter
wurde.
„Fighting the flames“, im Kampf mit den Flammen, las ich und hörte,
daß der heiſere Ausrufer den Beginn der Vorstellung verkündete, wäh-
rend launige und aufmunternde Weisen zu mir herausdrangen. Das ent-
ſchied. Ich nahm mir an der Kasse einen guten Platz und ließ mich von der
drängenden und ſtoßenden Menſchenmenge in den Riesenraum ſchieben.
Kopf an Kopf saßen die erwartungsvollen Zuſchauer. Die Musik spielte,
dann hob sich der Vorhang. Die Aufmerksamkeit des Publikums wurde
durch einen umfangreichen quadratiſchen Platz gefesselt, der auf drei Seiten
von nüchternen Mietskasernen der ſchmuckloſeſten Art umgeben war.
„Chatham Square" las ich im Programm. Dieſe Gegend, die von un-
zähligen Neuyorkern nie betreten wird, iſt eine Welt für ſich, zwischen
lärmenden Straßen gelegen + ein Viertel der Armut und des Laſters.
Nüchtern reiht ſich Miethaus an Miethaus; kalt ſind ihre Fassaden, ein-
tönig dehnen ſich ihre nackten Fronten. Ein Laternenanzünder ging
von einem Laternenpfahl zum anderen, überall hinterließ er ein Licht,
das wie ein trübes Auge durch die Dämmerung blinkte, ohne zu leuch-
ten. Die Häuſer atmeten Frieden und Ruhe; nur ein riesiger Poliziſt
ſchritt langſam auf und ab, und aus der Ferne ertönte das Geschrei eines
Zeitungsjungen.
Ein unnatürlich gelber Mond ging auf, ein Mond, der kein Licht warf,
sondern dort oben am Himmel hing wie ein Ballon, den Kinder fliegen
ließen. Plötzlich öffnete sich eine Haustür.
Einige Männer in Hemdärmeln traten heraus, charatteriſtiſche Typen;
ein paar Frauen folgten ihnen, mit abgetragenen Umſchlagtüchern um
die Schultern und Filzpantoffeln an den Füßen. Dann Neger, Mädchen
und barfüßige Kinder. Gruppen fanden ſich zuſammen. Überall lagen
Papiere umher, Fetzen von Zeitungen und zertretene Orangen- und
Bananenſchalen.
Jett ließ ein Stiefelwichſer sein gellendes „Blank, blank !“ ersſchallen.
Dann ein kreiſchender Lumpenhändler, heiſer vom langen Mißbrauch ſeimer
Stimme. Und viele andere Neuyorker Straßentypen zogen an uns vor-
über, den Armenvierteln entſproſſen und mit ihnen auf das engste verwach-
ſen; jene Typen, welche noch heute für den Stadtteil so charaktteriſtiſch
ſind und ſeinem öffentlichen Leben ein gut Teil Originalität verleihen.