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Hefti 6

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Von den kleinen Freuden des Lebens / Bon H. Lohß

Schwäbiſche Erinnerungen

ie erſte leiſe Ahnung vom langsam nahenden Weihnachtsfeſt brachte
D) uns Kindern der ſeltſam herbe, ſtarke Duft der acht großen, goldgelben
Quitten, die auf dem Schrank des zur Spätherbſtzeit ſeinem Zweck wenig
dienenden Gaſtzimmers lagen. Dorthin hatte Mutter die aus dem gro-
ßen, zum Einmachen beſtimmten Korb sorgfältig ausgewählten, beſonders
großen, ſchönen, tadelloſen Früchte gelegt, damals, als wir ſie an einem
regenfeuchten Oktobertag vom Obſtmarkt holten, wo Jie lockend gelb und
faſt ein wenig ausländiſch anmmutend unter rotbackigen Äpfeln und dicken,
grünen Birnen vorgeleuchtet hatten. Wenn dann nach Wochen die glän-
zende, hie und da noch von braunen Pelzreſtchen umflockte Haut einer der
Quitten auf dem Gaſtſtubensſchrank faſt unmerklich zu faulen begann, dann
war die Zeit gekommen, in der die erſte ferne, leiſe Ahnung Jich in die fröh-
liche, ſichere Gewißheit verwandelte: „'s weihnachtelt ſchon im Hauſe !“
Denn jetzt, ehe der ſstecknadelkopfgroße braune Fleck Zeit hatte, die blanke
Quittenhaut ganz und gar zu verderben, ſich in das harte, gelbe Fleiſch
einzufreſſen und die sieben anderen Geſchwiſter anzuſtecken, holte Mutter

ſie alle zuſammen vom Schrank und zog die Backſchürze an. Dieſe große,

weite, weiße Schürze kam nur zum Vorschein, wenn die Zeit begann, in
der das ganze Haus durchſtrömt war von einem linden, ſüßen Duft nach
Honig, Zimt, Kardamomen, Vanille, Zitrone und Pomeranzenſchale, fröh-
lich eingeleitet von dem strengen Duft der Weihnachtsquitten, die ſich nun
unter Mutters flinken, geschickten Händen in unzählig viele ſchneeweiße
Quittenschäumle und ebenso viele leckere, bräunliche, zuckerumkruſtete
Quittensternle verwandelten.

„Ein halbes Pfund friſchgekochtes Quittenmark, ein wenig Zitronen-
ſchäle, ein Pfund Zucker und der Schnee von sechs Eiweiß + das iſt das
ganze Hexenwerk!“ Wie oft hat es mir die Mutter geduldig wiederholt,
bis es unverlierbar feſt in meinem Kopf ſaß, während ich, Jie ablöſend,



Iugend ;

Pallas-Verlag A.-G.,

rührte und rührte, bis die weiße Maſſse in der Schüssel immer ſchneeiger,
immer feſter, immer unwiderſtehlicher wurde. So unwidersſtehlich, daß
ſelbſt die Mutter die Augen zudrückte, wenn der Rührlöffel hie und da ein
weißes Flöckchen über den Schüſſelrand ſpritte, das man dann natürlich
nicht verderben laſſen konnte, ſondern auflecten mußte. Zuletzt war die
Schüssel angefüllt mit einem ſteifen, lockeren, untadelig weißen Schaum.
Mutter nahm mir den Rührlöffel aus der Hand: „Jetzt iſt's genug, ſteifer
kann er nimmer werden !", ſtreifte den Rührlöffel ab, nicht allzupeinlich,
denn meine Augen bettelten zu ſehr, und ſetztte mit Hilfe von zwei Kaffee-
löffeln zierliche Häuflein der weißen Maſse auf zuckerbeſtreutes Papier.
Vor und auf und im und um den warmen Stubenofen wurden diese
appetitlichen weißen Häuflein getrocknet. Beileibe nicht, wie das, der
Schnelligkeit wegen, die Tanten und andere Inhaberinnen des berühmten
Familienrezeptes zu machen pflegten, im Backofen, und wenn er noch ſo
leicht geheizt war, überbacken. Denn Mutter war ſtolz darauf, wenn von
allen Quittenſchäumchen der ganzen Familie die ihren die beſten waren.
Daß eines oder das andere in den zwei oder drei Tagen, während der der
leckere Zuckerbäckerladen um den Ofen aufgebaut war, Fingerſpuren auf-
wies oder gar ganz verſchwunden war, nahm die mit Humor und in der
richtigen Weihnachtslaune mit in Kauf. Bis zum Chriſtfeſt wurden die
fertigen Quittenſchäumle in alten, zinnernen Milchflaſchen untergebracht
und hinter dem Ofen aufgehoben, weil sſie auf dieſe Weiſe knuſperig und
„krachig“ blieben.

Wenn Mutter am Vormittag die weißleuchtenden Quittenſchäumles-
berge aufgesetzt hatte, dann gehörte der Mittag der Herſtellung der Quitten-
ſternle. In den allerältesten Zeiten, in denen unſere Puppenkaufläden noch
mit allerlei guten Dingen versorgt werden mußten, gehörte auch die Her-

ſtellung der Quittenwürsſte mit in das Arbeitsgebiet des Quittentages, und

Nach einem Gemälde von Gergely

Berlin SW 11
 
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