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Die Kinder der Welt / Bon Felix Baumann

E jämmerliches Kindergeſchrei riß mich aus meiner Verſunkenheit
während einer Spazierfahrt in einem der „Sado“ oder ,„Dos-àa-Dos“"
genannten reizenden kleinen Ponywagen in der Umgebung von Medan auf
Sumatra. Ein Blick über den niedrigen Hofzaun zur Rechten des Weges ließz
mich ein entzückendes tropiſches Familienidyll ſchauen. Wie ihn Allah ge-
ſchaffen, ſtand ein kleiner Bataker in ſeiner unſchuldsvollen Naturpracht da,
deſſen Tränenſtröme Jich mit den Fluten eines von der Mutter über seinen
Kopf gegossenen Eimers voll Wasser vermengten. ;

„Siehſt du, jetzt kommt der weiße Mann und beißt dich, wenn du nicht
sofort artig biſt !"“ rief die junge Frau dem Kinde auf malaiiſch zu, um es zur
Ruhe zu zwingen. Und talfsächlich, die Furcht vor dem weißen Mann im
weißen Anzug und weißen Tropenhelm überwog die Angſt vor dem Waſser.
Noch eine Duſche, dann einen leichten Klaps, und das Kerlchen war frei, um
ſich von der Tropensſonne trocknen zu lassen.

Meine Kindergalerie war um ein Bild reicher = ich rief der jungen
Mutter noch ein Scherzwort zu und ſettte meine Fahrt fort. Gedachte der
eigenen Kindheit, der ſpäteren vielen, vielen Reiſeerfahrungen und kam
zu dem Schluß, daß im Grunde genommen Kinderfreud' und Kinderleid
in der ganzen Welt dasselbe ſind und bleiben werden.

Ob weiß oder ſchwarz, ob braun, rötlich oder gelblich, ob im Eskimo-
pelzkittelchen oder im paradiesiſchen Urzuſtande, ob in der ſpitzenbesetzten
Wiege oder als Huckepackbündel auf dem Rücken einer Japanerin ~ überall
machen sich bei den Kindern dieselben Inſtinkte, dieselben Manieren und
~ Unarten bemerkbar.

Man kann auf Gottes weitem Erdboden kommen, wohin man waill,
nirgends wird man die typiſchen kindlichen Eigenſchaften vermissen, als da
unbestreitbar ſind: Fingerchen in der Nase oder im Mund. Und im Orient
und Fernorient kommt noch + es soll nur vorſichtig angedeutet werden +
das bekannte Fließznäschen hinzu, das den Europäer manchmal ebendo zur
Verzweiflung bringen kann wie der Anblick der vielen von einer Art von
Ekzem heimgeſuchten Kinderköpfe. Dieſer Ausſchlag iſt in Europa ganz
unbekannt und soll leicht heilbar sein, aber weil der populäre Aberglaube
diesen grindigen Schädeln
einen Geſundheit verlei-
henden Einfluß für das ſpä-
tere Leben zuſchreibt, wird
kein Verſuch unternom-
men, den Ausschlag zu be-
ſeitigen.

Die Furcht vor den wei-
zen Ausländern iſt unter
den Kindern in den orien-
taliſchen Ländern noch weit
verbreitet. Was bei uns der
„ſchwarze Mann“" bewirtt,
dieſen Erfolg zeitigt bei den
Orientalen und Fernorien-
talen der „weiße Mann“.
Es iſt dies wohl auf die
ſlrenge Abgeschiedenheit zu-
rüclzuführen, in der beſon-
ders früher die orientali-
ſchen Frauen gelebt haben
und die sich naturgemäß
auch inder Kinderwelt aus-
" wirken mußte. .“ cicihiähütatrsics

Die großen Refomben. It~t~{39
ſltrebungenderletzten Jahr- ' js
zehnte ſind auch der geſam-
ten Kinderwelt zugute ge-
tommen. Überallhaben ich
Kindergärten aufgetan, in
denen die Jüngſten gehegt
und gepfslegt werden. Und
lenkt man seine Schritte
heute in die einſt verſchlos-
ſen gewesenen Länder der
ferneren Welten, ſo iſtman
überraſcht über die gewal-
tige Ausdehnung, die die
Kinderfürsſorge in der gan-

zen Welt genommen hat. Bärchen hat Hunger



Auf der anderen Seite haben uralte Kindersſitten und -gebräuche es ver-
ſtanden, ſich den Platz an der Sonne zu bewahren. Und man läßt ihnen das
kindliche Vergnügen, läßt die Kleinen im chineſiſchen Dorfe ihr Mittags-
ſchläfchen auf dem Bauche des Familienſchweines vollziehen, läßt die
kleinen ſudanesiſchen Rangen Jich gegen den ortsüblichen Bacſſchiſch zu-
gunsten der Fremden wie Haimonstkinder auf dem ſtets geduldigen Grau-
tier photographieren und einige junge Fellachinnen im Jlügelkleide als
„drei dunkle Grazien“ vor der Kamera posieren, weniger verlegen als die
fleine buntschecktige Afrikanerſchar aus Daressalam, die ſich angeſichts des
„großen Glasauges" ſichtbar in verſchiedenartigen Verlegenheiten ergeht.

Auch das Chineſenbaby auf der Mutter Arm wollte ſich mit dem wei-
zen Photographenmann nicht befreunden, während der kleine chineiſche
Hemdenmag mit der drolligen Friſur ~ halb Pony, halb Kahlkopf + |ſich
ſchon freundlicher zeigte und die zierlichen japaniſchen Kinder in ihren
neuen Wintermänteln Jich als unerſchroceene Modelle bewiesen. Kinder,
die neue Mäntel oder Kleider tragen, ſind in der ganzen Welt gleich
glücklich und gleich eitel. >

In England genießen neben Amerika die kleinen Knaben und Mädchen
unter den Kindern der ziviliſierten Welt wohl die größte Freiheit. Das
junge Herrchen oder kleine Fräulein werden, auch wenn Jie erſt fünf oder
sechs Jahre alt ſind, von den Dienſtboten ſchon mit einem Titel angeredet:
Master Charlie, Maſter Willie oder Miß Emily. Das Baby hat gewisser-
maßen keinen Namen, es behält die Würde der „Babyhood“, bis ein folgen-
des Kind ankommt. Dann erst wird es ein Kind wie ſeine Geſchwiſter. Das
jüngſte Kind bewahrt stets, ſolange es im Hauſe bleibt, etwas von seinen
Rechten und wird von den älteren Geſchwiſtern noch lange als „unſer Baby“"
behandelt. Das liebe „Baby“, dem eigentlich das ganze Haus untertan iſt,
benennt, wie vielfach auch bei uns, Perſonen und Gegenſtände nach einem
eigenen Wörterbuch, das nur der Eingeweihte zu entziffern vermag.

In den Vereinigten Staaten besteht faſt keine Schranke zwiſchen Kindern
und Erwachſenen, was den geringen Respekt der jungen amerikaniſchen
Generation vor allem gezeitigt hat, das nicht mehr so jung wie sie iſt.

Drollig ſind die Manieren

der amerikaniſchen Neger-
kinder, die an Afrika und

denfernen Orient erinnern
oder an die jungen Buren,
die uns durch ihre manch-
mal geradezu köſtlichen Be-
wegungen und Spiele er-
freuen. Auch mit den poſ-
ſierlichen Affen in unſeren
Tiergärten, deren Spiel
wir so gerne beobachten,
ſind dieſe Negerkinder zu
vengleichen.

InManila(Philippinen)
führt von der Anlabrücke
ein Weg nach der mitten
im Paſsigfluß gelegenen
Insel Convalecencia, auf
der ſich das San-Joſé-Aſyl
erhebt. An der einen Mauer
befindet ſich eine ſoge-
nannte,, Drehlade" für aus-
gesetzte Kinder. Bei ihrem

Anblick mußte ich der Kin-

derausſezungen in China

häuſer in den romaniſchen
Ländern, in Spanien und
Italien, gedenken, wo ſich
ähnliche Vorrichtungen für
Findelkinder befinden oder
befunden haben, die ver-
zweifelten Müttern die Er-
haltung ihrer Kinder er-
möglichen, allerdings unter
Verzicht auf alle Rechte.
Alo Kinderleid und Kin-
derfreud’, überall dasselbe

I> Idylle aus dem Kinderleben in der ganzen Welt.

und derzahlreichen Jindel- t
 
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