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und Foxtrotts, ferner Walzer, die im altväterlichen Polkaſchrilt, nur viel
langſamer, getanzt wurden. Der Rundwalzer iſt ganz unbekannt. Dann
tanzte man eine Art Rheinländer. Hin und wieder kam der Tanz, der mich
besonders interessierte, ein Originaltanz der mexikaniſchen Indianer. Ih
habe denſelben Tanz hier bei Vögeln in der Balzzeit geſehen.
Die Musik hat ſich in den Jahrhunderten geändert und den modernen
Muſikinſtrumenten angepaßt. Der Rhythmus jedoch, die Schritte und die
Ahsicht ſind noch dieſelben. Ein Teil des Tanzes wird von Gesang begleitet.
Während des Tanzes nähern ſich die Paare und entfernen ſich, berühren
ſich aber nie, nicht einmal mit den Händen, ſondern tanzen girrend und
lockend voreinander herum. In beſtimmiten Zwischenräumen Jetzt die Musik
aus, und die Musiker ſowie diejenigen Männer, die keine Tänzerinnen
haben oder nicht tanzen, ersſezen die Musik durch Singen. Dieses Singen
geſchieht auf der höchſten Höhe der menſchlichen Stimme und iſt eigentlich
kein Singen, sondern ein sehr taktmäßiges, jedoch ſchrilles und kreiſchendes
Modulieren von Tönen, die kaum etwas Menſchliches an ſich haben. Es
überkommt einen ein Grauen, wenn man ganz allein zwiſchen Indianern
um Mitternacht im Dſchungel weilt, ungezählte Meilen von dem nächſten
weißen Menſchen entfernt, und dieſen unheimlichen Gesang hört. Ich
fühlte dabei, daß ich in einer anderen Welt lebte, daß Zehntauſende von
Meilen mich von meiner Rasse trennten.
Ununterbrochen wurde getanzt. Die Pauſen zwischen den einzelnen
Tänzen waren gerade lang genug, um einen Schluck Waſser zu trinken.
Nichts anderes wurde getrunken als Wasser, das von zwei Burſchen in
einem Eimer aus einem Regenpfuhl herbeigesſchleppt wurde, sobald der
Eimer leer war, was alle Augenblicke der Fall war. Jeder Tanz wurde
solange gespielt, bis die Tänzer so ermattet waren, daß ſie ihre Tänzerinnen
zu der Bank führen mußten.
Ab und zu lief den Tanzenden ein Schwein zwiſchen die Beine, während
ein anderes sich an einem Holzsattel, der auf der Erde lag, den Rücken
ſchabte und ein drittes, behaglich grunzend, ſich in dem Schlamm wälzte,
D a s Bu c für Alle
1 57
der sich von dem ausgespuckten Wasser und den weggeſchütteten Kaffee-
reſten gebildet hatte.
Ein Kind begann leiſe zu weinen. Sofort ließ die Mutter ihren Tänzer
ſtehen und lief zu dem winzigen Bündelchen, das auf der Erde ſich bewegte,
wickelte es aus, knöpfte ihr Kleid weit auf, ſetzte ſich auf die Bank, gab dem
Kind zu trinken und ſah dabei den Tanzenden zu, denen ſie luſtige Scherz-
worte zurief.
Die jüngeren Frauen und Mädchen waren mir gegenüber anfangs ein
wenig ſcheu. Als sie aber ſahen, daß ich nicht biſſig war, beim Tanzen
die Beine genau so bewegte wie ihre Stammesgenoſsen, auch nur Hole,
Hemd und Hut hatte und meine Zigaretten verſchenkte, bekamen ſie Zu-
trauen. Die Urgroßmutter tanzte am reizvollſten. Ihr Gesicht |ſah aus wie
zerknülltes und zertnittertes ſchwarzbraunes Leder, ihre Augen waren
ſchwarz wie Pech, ihr langes, offenes, geſträhntes Haar war ölig, und 1hre
Haut strömte einen ſcharfen, nicht angenehmen Geruch aus, aber ihre
Bewegungen waren jung, voll Rhnthmus, voll Harmonie, voll Raſſe und
Schönheit, ſo daß man vergaß, daß hier eine Großmutter tanzte im Wett-
bewerb mit ſonniger Jugend.
Mit den eigenen Frauen tanzten die Männer nur Telten, immer mit
anderen, und sie boten mir ihre Frauen alle der Reihe nach an, damit ich
mit ihnen tanzen möge, wodurch ſie mur eine Ehre erweiſen wollten. Doch
die Frauen betrachteten es als keine beſlondere Ehre, wenn ich mit ihnen
tanzte, ſie haben keine Hochachtung vor dem Weißen. Wenn ich mit einer
Frau oder mit einem Mädchen häufiger tanzte, fingen die Frauen an zu
lächeln und zu kichern.
Mit Sonnenaufgangverblaßte der Mond, verblaßte die MuJik. Unauffällig
zog sich eine Frau nach der anderen hinter die Hütte zurück, kam nach emer
Weile wieder vor, in ihre Lümpchen gekleidet und mit einem Bündelchen.
Ebenso unauffällig, ohne Abſchiedſzenen, mit einem turzen „Adios !“ oder
„Gracias !“ ſetzten ſie ſich auf ihre Eſel oder Prerde und verſchwanden im
dunklen Buſch. Der Sommernachtstraum war zu Ende.
r
:
Wandernde Sioux auf dem Wege zum Sonnentanz
Phot. M. A. Owen
und Foxtrotts, ferner Walzer, die im altväterlichen Polkaſchrilt, nur viel
langſamer, getanzt wurden. Der Rundwalzer iſt ganz unbekannt. Dann
tanzte man eine Art Rheinländer. Hin und wieder kam der Tanz, der mich
besonders interessierte, ein Originaltanz der mexikaniſchen Indianer. Ih
habe denſelben Tanz hier bei Vögeln in der Balzzeit geſehen.
Die Musik hat ſich in den Jahrhunderten geändert und den modernen
Muſikinſtrumenten angepaßt. Der Rhythmus jedoch, die Schritte und die
Ahsicht ſind noch dieſelben. Ein Teil des Tanzes wird von Gesang begleitet.
Während des Tanzes nähern ſich die Paare und entfernen ſich, berühren
ſich aber nie, nicht einmal mit den Händen, ſondern tanzen girrend und
lockend voreinander herum. In beſtimmiten Zwischenräumen Jetzt die Musik
aus, und die Musiker ſowie diejenigen Männer, die keine Tänzerinnen
haben oder nicht tanzen, ersſezen die Musik durch Singen. Dieses Singen
geſchieht auf der höchſten Höhe der menſchlichen Stimme und iſt eigentlich
kein Singen, sondern ein sehr taktmäßiges, jedoch ſchrilles und kreiſchendes
Modulieren von Tönen, die kaum etwas Menſchliches an ſich haben. Es
überkommt einen ein Grauen, wenn man ganz allein zwiſchen Indianern
um Mitternacht im Dſchungel weilt, ungezählte Meilen von dem nächſten
weißen Menſchen entfernt, und dieſen unheimlichen Gesang hört. Ich
fühlte dabei, daß ich in einer anderen Welt lebte, daß Zehntauſende von
Meilen mich von meiner Rasse trennten.
Ununterbrochen wurde getanzt. Die Pauſen zwischen den einzelnen
Tänzen waren gerade lang genug, um einen Schluck Waſser zu trinken.
Nichts anderes wurde getrunken als Wasser, das von zwei Burſchen in
einem Eimer aus einem Regenpfuhl herbeigesſchleppt wurde, sobald der
Eimer leer war, was alle Augenblicke der Fall war. Jeder Tanz wurde
solange gespielt, bis die Tänzer so ermattet waren, daß ſie ihre Tänzerinnen
zu der Bank führen mußten.
Ab und zu lief den Tanzenden ein Schwein zwiſchen die Beine, während
ein anderes sich an einem Holzsattel, der auf der Erde lag, den Rücken
ſchabte und ein drittes, behaglich grunzend, ſich in dem Schlamm wälzte,
D a s Bu c für Alle
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der sich von dem ausgespuckten Wasser und den weggeſchütteten Kaffee-
reſten gebildet hatte.
Ein Kind begann leiſe zu weinen. Sofort ließ die Mutter ihren Tänzer
ſtehen und lief zu dem winzigen Bündelchen, das auf der Erde ſich bewegte,
wickelte es aus, knöpfte ihr Kleid weit auf, ſetzte ſich auf die Bank, gab dem
Kind zu trinken und ſah dabei den Tanzenden zu, denen ſie luſtige Scherz-
worte zurief.
Die jüngeren Frauen und Mädchen waren mir gegenüber anfangs ein
wenig ſcheu. Als sie aber ſahen, daß ich nicht biſſig war, beim Tanzen
die Beine genau so bewegte wie ihre Stammesgenoſsen, auch nur Hole,
Hemd und Hut hatte und meine Zigaretten verſchenkte, bekamen ſie Zu-
trauen. Die Urgroßmutter tanzte am reizvollſten. Ihr Gesicht |ſah aus wie
zerknülltes und zertnittertes ſchwarzbraunes Leder, ihre Augen waren
ſchwarz wie Pech, ihr langes, offenes, geſträhntes Haar war ölig, und 1hre
Haut strömte einen ſcharfen, nicht angenehmen Geruch aus, aber ihre
Bewegungen waren jung, voll Rhnthmus, voll Harmonie, voll Raſſe und
Schönheit, ſo daß man vergaß, daß hier eine Großmutter tanzte im Wett-
bewerb mit ſonniger Jugend.
Mit den eigenen Frauen tanzten die Männer nur Telten, immer mit
anderen, und sie boten mir ihre Frauen alle der Reihe nach an, damit ich
mit ihnen tanzen möge, wodurch ſie mur eine Ehre erweiſen wollten. Doch
die Frauen betrachteten es als keine beſlondere Ehre, wenn ich mit ihnen
tanzte, ſie haben keine Hochachtung vor dem Weißen. Wenn ich mit einer
Frau oder mit einem Mädchen häufiger tanzte, fingen die Frauen an zu
lächeln und zu kichern.
Mit Sonnenaufgangverblaßte der Mond, verblaßte die MuJik. Unauffällig
zog sich eine Frau nach der anderen hinter die Hütte zurück, kam nach emer
Weile wieder vor, in ihre Lümpchen gekleidet und mit einem Bündelchen.
Ebenso unauffällig, ohne Abſchiedſzenen, mit einem turzen „Adios !“ oder
„Gracias !“ ſetzten ſie ſich auf ihre Eſel oder Prerde und verſchwanden im
dunklen Buſch. Der Sommernachtstraum war zu Ende.
r
:
Wandernde Sioux auf dem Wege zum Sonnentanz
Phot. M. A. Owen