Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Overview
Facsimile
0.5
1 cm
facsimile
Scroll
OCR fulltext
238

D a s B u < f üx Alle

He ft 11



Herr Dudelow rauchte ſeine Havanna und ſchimpfte über die
niedrigen Kornpreiſe. Wenn meine liebe Mutter ihm etwas
reichte, verbeugte er ſich mehrmals, sein dicker Oberkörper fiel
nach vorn, als habe ihn jemand in den Rücken geſtoßen.

Dein Vater, ein großer, ſchlanker, dunkler Mann in grünem
Jagdrock, ſprach nur, wenn er gefragt wurde. Doch meine Mutter
unterhielt sich immer wieder mit ihm, und allmählich taute er auf.
Du aßest ruhig und gelaſſen eine von Frau Kuhlichs herrlichen
warmen Waffeln nach der anderen und erzählteſt der Mama
von deinem Leben in der Stadt.

Endlich wurde mir befohlen, dir den Park zu zeigen. Ich hatte
ein Netz mit Bällen im Arm und sagte kurz: „Das iſt das Tee-
haus meiner Urgroßmutter mit dem Chineſen." Ich war gewiß,
daß es ſo etwas Merkwürdiges in deiner Familie nicht gab. Doch
du sahſt nur flüchtig hinein in die rote Finſternis und ſagteſt:
„Netter alter Plunder !“

Wir kamen zu den Rosen.

„Die dürfen nicht gepflückt werden.“ Ich sah dich an.

„Schön –~" sagtest du. „Aber warum ſo viele? Die brauchen

u ia mehrere Menſchen zur Pflege.“

„Natürlich! Der alte Gellert hat vier Jungen und einen Ge-
hilfen. Ich möchte auch Gärtner ſein.“
Du.lachteſt. „Kannſt du ja. Iſi beſſer, als anderen Leuten die
Wege unsicher machen.“
Ich warf meine Bälle in die Luft. „Quatſchkopf !“ sagte ich

j nur. Du lachteſt wieder. Wir gingen durch den Park. Ich lief

über die Wiese mit den Heidſchnucken. „Fang mich !" rief ich und
begann zu rennen.

Doch du gingst langsam allein weiter, bliebſt an der Sonnen-
uhr stehen und betrachteteſt mein langgeſtrecktes, weißes Eltern-
haus mit den vielen grünen Fenſterläden und der breiten Treppe,
auf der Sandſteinvaſen ſtanden, in welchen Petunien blühten.

Dann gingsſt du an der Tannenwand vorbei nach den Ställen.

Ich sah dir nach. Jochen kam mit den Knechten auf nassen
Pferden von der Schwemme.

„Was waill der hier?" brüllte er mich über das Gitter her an.
Ich beachtete ihn nicht. Er kam mir roh vor, wie die Knechte
ſelbſt. Aber es kränkte mich, daß du, Hans Wernikow, mich nicht
gefangen hatteſt. Ich lief ins Haus und ſetzte mich etwas erſtaunt
zu den vielen Büchern in die Bibliothek. Früher hatte ich aus
den Schweinslederbänden Treppen gebaut, jetzt durchblätterte
ich ſie nach alten Stichen, auf denen Teufel und Engel eine große
Rolle ſpielten. Ich hörte dich draußen mit Bunſe ſprechen. Dann
ſahſt du durch das Weinlaub zu mir hinein und ſagteſt: „Da Jitzt
ja die kleine Kröte –Ü

Kleine Kröte! Welch häßliches Wort, wenn man bedachte, wie
Kröten aussehen!

„Du biſt ein ungezogener Bengel und paßt überhaupt nicht zu
uns,“ rief ich ſchnippiſch und erboſt zurück. „Wer biſt du denn
überhaupt?“

„Das wirst du noch ſehen ~" sagtest du ſehr gedehnt und ent-
fernteſt dich.

Beim Erntefeſt kamſt du zum erſtenmal ins Haus mit Paſtors
Anton und dem Geſschwiſterpaar Miſekorn, den Kindern des In-
ſpektorsn. ;

Wir tranken unsere Schokolade auf der Veranda. Die kleinen
Komtessen und ihr Bruder, der Fähnrich aus Templin, waren
auch dabei.

Du unterhielteſt dich mit dem Fähnrich. Er war etwas von
oben herab. Ganz bescheiden, am unterſten Ende der Tafel ſaß
Trudchen Panke, des Lehrers Ülteſte. Als der Tanz begann,
forderteſt du sie auf, ohne mich und die Komtessen zu beachten.
Sprachlos sah ich deinem Walzer zu. Jochen ſagte anzüglich:
„Die gehören ja auch zuſammen." Du kamſt mit Trudchen zurück,
ſahſt Jochen an, und ich werde nie das Blitzen deiner Augen ver-
geſſen, als. du sagteſt: „Ja, wir gehören zu denen, auf deren
Kosten ihr Schmarogter lebt."

Jochen wollte ſich auf dich ſtürzen, doch er rollte ſofort im
Grase, und ich ſchrie auf, als würde mir ein Messer in den Leib
geſtoßen.

„Schmarotzer“ ~ nein, das war ſtark. Und das Gericht brach
über dich herein. Dein ſtiller Vater kam und ſchickte dich mit
kurzen, harten Worten heim. Du gingst + doch nicht von uns
besiegt, nein, ich fühlte deutlich ~ nicht besiegt.

Wir sahen uns lange nicht.

Einmal war ich wieder bei den Köhlern draußen und wärmte
mir die Hände an ihren Feuern. Es war kalt, die Blätter ſauſten
von den Bäumen. Da kamſt du mit einem Ebereſchenzweig.

„Willſt du ihn haben?“

Ich nahm ihn ſchweigend an.

„Meine Muiter iſt ſo krank, darum bin ich hier..

Ich ging mit dir zu deiner kranken Mutter.

Sie lag in weißen Kissen und huſtete. Ich legte verlegen den
roten Zweig auf ihre Decke. Sie lächelte matt. Die Magd brachte
Kaffee und Eierkuchen. Es ſchmeckte mir herrlich, und du zeigteſt
mir deine Bücher. „Kennſt du die Geschichte vom Meretlein?"
Ich verneinte. „Soll ich ſie dir leſen? Oder lieber die Hiſtorie von
der ſchönen Lau?" :

Wir vertieften uns in Mörike. Dann brachteſt du mich heim.

„Warum ſind wir Schmarotzer?“ fragte ich.

„Ach, denk' nicht mehr dran! Es war dumm von mir."

„Jochen sagt, ihr seid Sozialiſten." ~ Ich hatte eine grauen-
hafte Vorstellung von diesem Wort. Wenn Inſpektor Miſekorn
von Sozialiſten ſprach, ſo war es, als male er Teufel an die Wand,
irgendwelche Schreckgeſtalten, die einen noch im Traum ver-
folgten.

„Natürlich ſind wir Sozialiſten ~" sagteſt du ruhig. „Sozialis-
mus und Chriſtentum ſind dasſelbe.“

„Ich bete aber auch zum lieben Gott und weiß doch gar nicht,
was Sozialiſten ſind,“ wehrte ich mich verzweifelt.

„Brauchst du auch nicht zu wiſſen. Jedenfalls ſind wir Men-
schen, die möchten, daß es allen etwas gut geht auf der Welt."

„Das möchte ich auch," sagte ich ganz verwundert.

Wir waren am Partktor.

„Leb' wohl, kleine Annemie," riefſt du lachend, dich zum Gehen
wendend.

„Was fällt dir ein! Für dich bin ich keine kleine Annemie,“
brauſte ich auf. ;

„Natürlich – nur für mich!“ riefſt du zurück. Dann ſprangſt
du über die Hürde, pfiffſt ein Lied, das ich nicht kannte, und fort
warſt du. :

Im Winter Jah ich dich nicht.

Unsere Freundſchaft blieb vorläufig im argen, bis im nächſten
Frühjahr Jochen auf dem Schießſtand erklärt hatte, daß ich zu
dumm sei, um nach der Scheibe zu ſchießen. Oſterglocken läuteten,
die Käßchenwarenlängſt aufgeſprungen, anden Sträuchernzeigten
ſich die erſten duftigen Blätter. Ja, er hatte mir ſogar das kleine
Gewehr fortgenommen. Ich weinte bitterlich.

Da kamſt du, Hans Wernikow, nahmſt Jochen das Gewehr ab
und drückteſt es in meine kleinen, zitternden Hände. Du warſt
noch größer geworden. Jochen verſchwand hinter den Tannen.
Wir schoſſen unermüdlich eine ganze Stunde.

„Du lernst es noch, kleine Annemie,“ sagteſt du gönnerhaft.
Diesmal fühlte ich mich nicht gekränkt, nur getröſtet und erlöſt.
Von da an wurden wir Freunde.

Das Teehaus wurde unſer Treffpunkt. Wir verſchlangen zu-
sammen Karl May und die Märchen von Muſäus. Du verſprachſt
mir, nach Afrika aufzubrechen und dort ein Negerland zu erobern,
in dem ich herrſchen ſollte. Viele Engländer taten es, und Karl
May zeigte die Wege. Ich ſah den kleinen Mohren, der mich be-
diente, bereits in gelber Seide vor mir knien.

Hans Wernikow, du neigteſt deine breite Stirn, über der das
schwarze Haar wie ein Rabenflügel lag. Und mein vierzehn-
jähriges Herz ſchlug dir entgegen. Liebe und Begeisterung ent-
zündeten leiſe ihre Kerzen, in deren Schimmer ich arglos träumte
— unbewußte Träume, unfaßliche und zarte Gebäude einer
glühenden Phantaſie. ;

Voll Ungeduld wartete ich auf deinen Schritt und verbarg
das Zittern meines Herzens unter burſchikoſen Reden, wenn ich
dich endlich ſah.
 
Annotationen