Das BuchfüvAlle
Heftes Jllustrierte Familienzeitschrift
1926
Zum letzten Heller / onen von Toni Rothmund
(Fortſetzung)
I): Männer fügten aus Baumäſten und grünen Zweigen
eine Bahre, auf die ſie den toten Schmugglerkönig legten.
Dann trugen ie ihn bei ſinkender Nacht heim in den
Schwanderhof. Sein Weib ging ihm zur Seite, und der Hund lief
heulend neben der Bahre her. Zwanzig Schritte hinter dem trau-
rigen Zug ſchritt Margrit. Sooft die Männer raſteten, blieb Jie
auch ſtehen. Wenn ie weitergingen, folgte ſie, immer im gleichen
Abstand bleibend. Das Schwanderhaus öffnete ſich dem Zug.
Draußen im Dunkel vor dem Fenſter blieb die Ehebrecherin ſtehen,
horchte auf das laute Weinen des kleinen Leonhard, auf den ſchril-
len Aufschrei der Magd, das Klagen der Mutter und die murmeln-
den Stimmen der Männer. Spät gingen die Kriminalbeamten.
Sie hatten den Toten mitten in das große Zimmer gelegt auf sei-
ner grünen Bahre. Zwei Kerzen brannten ihm zu Häupten und
zwei zu Füßen. Judith kauerte neben ihm auf einem niederen
Schemel und hielt das kleine Mädchen im Arm. An ihre Knie
hatte ſich ihr Knabe gesſchmiegt, und Jie ſtieß ihn nicht fort. Das
war ja nunalles nicht t
nug über uns gebracht, und es iſt am beſten, wenn du gehſt. Ich
will keine Mörderin im Haus haben."
„Ich bin nit ſchuld an seinem Tod. Ich hab' ihn den Grenzern
nit verraten," ſagte Margrit heiser.
„Nein, das haſt du nit, das hat's Judith getan. Aber ſchuld biſt
du doch, denn du haſt es dazu getrieben. Und das ſag’ ich dir, ich
wunder’ mich nur, daß du noch lebſt. Hätt’ mir eins meinen Mann
geſtohlen, ich hätt's erwürgt mit meinen eigenen Händen!“
War's der Blitz, der das Gesicht des Weibes so über alle Maßen
furchtbar erscheinen ließ, oder war es die Wildheit ihrer Seele?
Margrit bebte entſetzt vor ihr zurück. Das Weib aber ſagte: „Hab'
keine Angſt, daß ich dir was tu’. Dazulasſ’ ich's nit kommen. Aber
wozu 's Judith imſtand’ iſt, wenn es dich morgen wieder ſieht, das
weiß ich nit. So mach' dich fort, daß ich nit noch ärgeren Greuel
mit dir erleben muß. Und mög’ dir's gehen, wie du's verdient
haſt. Ich kann dir nit verzeihen, und 's Judith kann's erſt recht nit.
Pack’ du deine Sachen und komm mir nimmer unter die tust
: „Mutter !“ rie
mehr nötig, denn der
Thomas war ja tot.
Die Stunden ran-
nen hin, die Nacht
ſenkte ſich herab, eine
ſchwüle, mondlose
Nacht. Fern am Him-
melzuckten Blitze, und
leiſemurrte ein dump-
fer Donner. Es zog
ein Gewitter herauf,
und der Wind raunte
verhalten und bang
in den Linden. Wie
lang Margrit da außen
geſtanden hatte, Jie
wußte es nicht. Näher
grollte der Donner,
röter flammten die
Blitze, und die Lin-
den bewegten in lei-
ſemBrauſenihre Kro-
nen hin und her. Ein-
mal öffnete ſich die
Tür, und die Schwan-
derin tratheraus. Sie
ſah an den Himmel
und gerade, als ein
langer, blauer Blitz
über den Hof flog, er-
blickte ſie die Tochter
und ging auf sie zu.
. „Sv, daſtehſt du?
ſagte die alte Frau.
„Du haſt wohl recht,
daß du dich nit ins
Haus getrauſt. Du
haſt nun Unglück ge-
Margrit auf. Aber
denSgchrei verschluckte
der Donner, und eine
Antwort ward ihr
nicht. Als der nächſte
Blitz das Haus über-
flammte, war der
Platz, auf dem die
Schwanderin geſtan-
den, leer. Da ſchlich
Margrit inihre Kam-
mer, zündete eineKer-
ze an und packte von
ihren Habſeligkeiten
in ein Bündel, was
ſietragenkonnte. Das
übrige versſchloß ie in
ihre Lade und ſteckte
den Schlüssel zu Jich.
Das alles tat sie in
einem ſseltſamen Zu-
ſtand von Traumwa-
chen, wie ſie ihn noch
nie erlebt hatte. Zu-
lett setzte ſie ſich auf
denBettrand undver-
ſuchte ihre Gedanken
zu sammeln.
„Alſo Thomas iſt
tot," dachte Jie. „Aus-
gelöſcht. Weggewiſcht
iſt er aus derWelt für
immer. Ichſeh' ihnnie
wieder. Ich kann es
mir noch nicht vorſtel-
len, wie das ſeinkann.
' HAber es iſtso, und ich
muß es nun lernen.
Heftes Jllustrierte Familienzeitschrift
1926
Zum letzten Heller / onen von Toni Rothmund
(Fortſetzung)
I): Männer fügten aus Baumäſten und grünen Zweigen
eine Bahre, auf die ſie den toten Schmugglerkönig legten.
Dann trugen ie ihn bei ſinkender Nacht heim in den
Schwanderhof. Sein Weib ging ihm zur Seite, und der Hund lief
heulend neben der Bahre her. Zwanzig Schritte hinter dem trau-
rigen Zug ſchritt Margrit. Sooft die Männer raſteten, blieb Jie
auch ſtehen. Wenn ie weitergingen, folgte ſie, immer im gleichen
Abstand bleibend. Das Schwanderhaus öffnete ſich dem Zug.
Draußen im Dunkel vor dem Fenſter blieb die Ehebrecherin ſtehen,
horchte auf das laute Weinen des kleinen Leonhard, auf den ſchril-
len Aufschrei der Magd, das Klagen der Mutter und die murmeln-
den Stimmen der Männer. Spät gingen die Kriminalbeamten.
Sie hatten den Toten mitten in das große Zimmer gelegt auf sei-
ner grünen Bahre. Zwei Kerzen brannten ihm zu Häupten und
zwei zu Füßen. Judith kauerte neben ihm auf einem niederen
Schemel und hielt das kleine Mädchen im Arm. An ihre Knie
hatte ſich ihr Knabe gesſchmiegt, und Jie ſtieß ihn nicht fort. Das
war ja nunalles nicht t
nug über uns gebracht, und es iſt am beſten, wenn du gehſt. Ich
will keine Mörderin im Haus haben."
„Ich bin nit ſchuld an seinem Tod. Ich hab' ihn den Grenzern
nit verraten," ſagte Margrit heiser.
„Nein, das haſt du nit, das hat's Judith getan. Aber ſchuld biſt
du doch, denn du haſt es dazu getrieben. Und das ſag’ ich dir, ich
wunder’ mich nur, daß du noch lebſt. Hätt’ mir eins meinen Mann
geſtohlen, ich hätt's erwürgt mit meinen eigenen Händen!“
War's der Blitz, der das Gesicht des Weibes so über alle Maßen
furchtbar erscheinen ließ, oder war es die Wildheit ihrer Seele?
Margrit bebte entſetzt vor ihr zurück. Das Weib aber ſagte: „Hab'
keine Angſt, daß ich dir was tu’. Dazulasſ’ ich's nit kommen. Aber
wozu 's Judith imſtand’ iſt, wenn es dich morgen wieder ſieht, das
weiß ich nit. So mach' dich fort, daß ich nit noch ärgeren Greuel
mit dir erleben muß. Und mög’ dir's gehen, wie du's verdient
haſt. Ich kann dir nit verzeihen, und 's Judith kann's erſt recht nit.
Pack’ du deine Sachen und komm mir nimmer unter die tust
: „Mutter !“ rie
mehr nötig, denn der
Thomas war ja tot.
Die Stunden ran-
nen hin, die Nacht
ſenkte ſich herab, eine
ſchwüle, mondlose
Nacht. Fern am Him-
melzuckten Blitze, und
leiſemurrte ein dump-
fer Donner. Es zog
ein Gewitter herauf,
und der Wind raunte
verhalten und bang
in den Linden. Wie
lang Margrit da außen
geſtanden hatte, Jie
wußte es nicht. Näher
grollte der Donner,
röter flammten die
Blitze, und die Lin-
den bewegten in lei-
ſemBrauſenihre Kro-
nen hin und her. Ein-
mal öffnete ſich die
Tür, und die Schwan-
derin tratheraus. Sie
ſah an den Himmel
und gerade, als ein
langer, blauer Blitz
über den Hof flog, er-
blickte ſie die Tochter
und ging auf sie zu.
. „Sv, daſtehſt du?
ſagte die alte Frau.
„Du haſt wohl recht,
daß du dich nit ins
Haus getrauſt. Du
haſt nun Unglück ge-
Margrit auf. Aber
denSgchrei verschluckte
der Donner, und eine
Antwort ward ihr
nicht. Als der nächſte
Blitz das Haus über-
flammte, war der
Platz, auf dem die
Schwanderin geſtan-
den, leer. Da ſchlich
Margrit inihre Kam-
mer, zündete eineKer-
ze an und packte von
ihren Habſeligkeiten
in ein Bündel, was
ſietragenkonnte. Das
übrige versſchloß ie in
ihre Lade und ſteckte
den Schlüssel zu Jich.
Das alles tat sie in
einem ſseltſamen Zu-
ſtand von Traumwa-
chen, wie ſie ihn noch
nie erlebt hatte. Zu-
lett setzte ſie ſich auf
denBettrand undver-
ſuchte ihre Gedanken
zu sammeln.
„Alſo Thomas iſt
tot," dachte Jie. „Aus-
gelöſcht. Weggewiſcht
iſt er aus derWelt für
immer. Ichſeh' ihnnie
wieder. Ich kann es
mir noch nicht vorſtel-
len, wie das ſeinkann.
' HAber es iſtso, und ich
muß es nun lernen.