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Das BuchfüvAlle

Heft 22

Illustrierte Familienzeitschrift

1926



t QE ET
Die Scholle / Erzählung von Rudolf Jeremias Kreutz (Wien)

(Fortſetzung)

uf dem „Gamskar“" brauten Nebel. „Koppen“ und „Krip-
Its! trugen dicke Wolkenmäntel. Der ,„Sturzhahn“"

hackte mit ſpizem Felſsſenſchnabel nach den Schwaden. Sie
zerſtoben zuweilen und gaben ſein zerklüftetes Gesicht frei, dann
verhüllten ſie ihn wieder. Der Wald troff von wäsſerigem Schnee.
Im Tale trieb der Wind ſchrägfallende Flocken. Die Glocken von
Gelbenreuth läuteten Mittag. Durch milchiges Halbduntel rollte
der Wagen im Schneebrei.

„Ein Bärenland,“" ſtöhnte Frau Margit, „bei uns ſcheint
immer die Sonne. Hier komme ich mir vor wie in einem Sarg.“
Sie ſah durch ihr Glas abweiſend nach den Waldhängen, die in
finſterer Steile die Straße säumten. „Mein Gott, wie gern muß
ich dich haben, daß ich mitgefahren bin!"

„Mich friert," wimmerte die kleine Marga auf Ungariſch.

Hans Häußenperg war es warm. Er atmete in tiefen Zügen
die rauhe Luft der Heimat, liebkoſte mit hungrigen Augen Stein
und Baum. „Gleich ſind wir daheim," sagte er freundlich.

Rechts ſprang sein See ihn an, plätſcherte Willkommen. Eine
Biegung noch.. Häußenpergpreßte Margits ſchlaffe Hand. „Dal!“"

Turm wuchs aus dem Flockengerieſel, graues Gemäuer, graues
Tor. Davor ſtand der alte
Hauswart, Veith Jörg, und
ſeine Tochter.

Wie groß ie gewordeniiſt,
die Theres, wie rank und
ſchön! Tia, tauſend Tage!
Da wachſen die Dirndln!

Der Veith Jörg riß den
verwitterten grünen Hut mit
demzauſigen Hirſchbart vom
Kopf, die Theres winkte. Der
Wagen hielt.

„Alles wär'’ halt so weit
in Ordnung, bis aufs Sau-
wetter, dös verfluchte,“ mel-
dete der Hauswart, und er
täte recht herzlich dem Herrn
Grafenzur Vermählung gra-
tulieren. Das große Mädchen
knickſtevordemkleinen, rund-
lichen Pelzbündel und sah
fragend zu Häußenperg auf.

Sie traten in die Halle.
Fichtenklöze praſſelten im
Kamin, es roch herb nach
Harz. Lichtſcheinlief die holz-
getäfelten Wände empor,
huſchte über gedunkelte Ah-
nenbilder.Gesprungener Fir-
nis leuchtete auf. „Tauſend
Tage > ein Tag,“ dachte
Hans Häußenperg, und hun-
derttauſendtauſend Tage .. .
hundert, zweihundert, drei-
hundert Jahre ſind hier, als
. wären ſie ein Jahr.|



„Lindenwirtin, du junge“ / Nach einem Scherenſchnitt von Gerti Abel

Frau Margit vergrub die Füße fröſtelnd in das Bärenfell am
Kamin. „Was macht man den ganzen langen Tag, wenn man
gegeſſen und geschlafen hat?"

„Man unterhält ſich mit der Vergangenheit,“ sagte Häußen-
perg, „jedes Ding hier kann Geſchichten erzählen, jedes ſpricht,
man muß nur hören."

„Das ind ſo Worte,“ sagte Margit geringschätzig, „was kauf’
ich mir für das Zeug? Gibt es wenigstens Verkehr? Nette Men-
ſchen, Nachbarschaft?"

„Meine Bauern, sonst iſt niemand da. Wir brauchen niemand.“

„Da hättest du nicht heiraten ſollen." Margit erhob ſich ſchnell,
ſtand rundlich, klein, wie aufgepluſtert im hohen Raum. Die
hageren Gesichter der Toten ſahen aus ihren Rahmen an den
Wänden fremd auf Jie nieder.

„Unheimlich iſt mir,“ sagte Margit, „bei uns zu Haus ſind
Zigeuner, wenn ich traurig bin, und Wein, und der Papa macht
Witze. Zeig' mir was Schönes !“

Häußenperg bot ihr den Arm, führte sie ſtumm in ein kleines
Gelaß. „Mutters Zimmer.“ Er wies auf die Seidenſstickereien,
die die Wand bedeckten, auf handgeknüpfte Teppiche, auf Schränke,
hinter deren Glas alte liebe
Sächelchen ſchlummerten:
Kinderspielzeug, Porzellan-
taſſen, Teller. Im Erker glüh-
tevor einemniedrigen Gebet-

holzgeschnitzter Chriſtus dar-
über, und unweit, alle Helle
vom Fenſter empfangend,
das Ölbild einer ſchlanken,
blaſſen Frau.

„Mutter, "sagte Hans Häu-
ßenperg. Er wies auf die Sei-
dengobelins, die Teppiche.
„Das hat Jie alles ſelbſt ge-
macht. Mein Vater iſt der-
weilinder Welt herumzigeu-
nert. Liebe liegt auf jedem
Ding hier. Die Finger der
Mutter haben jedes berührt.
Begreifſt du, daß ich hier
nicht allein ſein kann?"

Margit muſterte das Bild.
„Wie ſchlecht Jie aussieht,
deine Mama, ganz verhun-
gert! Schade, daß ie nicht
mehr lebt, ſie hätte ſich ſchon
ausfüttern können bei uns
in Ungarn.“

Wangenmustkeln ſpielten in
ſeinem Gesicht.

Frau Margit betrachtete
den Inhalt eines Glaskäſt-
chens. „Merkwürdig, einpaar
sehr ſchöne Sachen. Bedauer-

ſchemel ein ewiges Licht, ein -

Häußenperg ſtöhnte. Die
 
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