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Häußenperg lachte. „Du biſt doch ſelbſt ein Landkind.“

„Pardon, das iſt ganz was anderes. Erstens gibt's bei uns
überhaupt faſt nie Schnee, und wenn, dann zergeht er ſofort,
und zweitens haben wir keine so unproduktiven Berge, die zu
gar nichts taugen, als daß man mit den Augen dagegen ſtößt und
blind wird –~"

„Blind?“

„Ja, vor zweckloſer Sonne. Und wie das alles eng iſt hier!
Ich kann kaum atmen. Immer hab' ich das Gefühl, so ein dummer
Felsklumpen, der nicht einmal zum Anbau von Welſchkorn zu
brauchen iſt, ſo ein öder Stein stürzt auf mich . .. kurz“ H ie drehte
ſich herum und sah ihn kalt an > ,ich habe dir das Opfer gebracht
und deine Herrlichkeiten genossen, jetzt aber iſt's genug, und wenn
ich einen Schnupfen kriege + das Kind hat gestern abend ge-
hüſtelt, kein Wunder, mit Kaminen kann man nicht durchheizen
— dann fahre ich gleich nach Hauſe. Auf keinen Fall bleibe ich in
dem Eiskaſten über Weihnachten. Gott soll mich behüten!“ Sie
ſchmiegte ſich an ihn, ihr Blick wurde weich. „Du fährst doch selbſt-
verſtändlich mit. Wir mieten ein kleines Palais in Budapeſt
die sind billig jetzt, die Ariſtokraten haben kein flüssiges Geld +
du trittſt in den Jockeiklub ein, wir machen Haus, empfangen
Leute, ich repräsſentiere ~

„Ich bleibe,“

„Wenn ich und das Kind wegfahren .
und muſterte ihn verwundert.

Höflich versetzte Häußenperg: „Das wird mir unendlich leid
tun, aber "

„Da gibt's kein Aber, mein Lieber.“ Meſserſcharf ſchnitten die
Worte.

„Ich kann die Heimat nicht verlaſſen. War zu lange fort. Hab'
viel zu tun.“ Messer ſchnitt wider Me)ser.

„Was, wenn ich fragen darf? Felder gibt es keine, zum Anbauen
iſt nichts da. Der Eiskasten iſt in Ordnung, weil dir mein Papa
das Geld dazu gegeben hat, ſonſt hätteſt du ihn längſt dem Juden
verſchachern müssen, erinnere dich, alſo ~“

Er schwieg, fuhr Tich durch das Haar, starrte nieder auf die üppige
Masse feſten Widerstandes. Hilflos murmelte er, nur um etwas
zu sagen: „Du biſt meine Frau, Margit, und ſoliſt dort ſein, wo
ich bin, ſollſt liebgewinnen, was ich liebhab'.'

„Und verbauern, weil du verbauern willſt! Nein, mein Schaß,
ſo haben wir nicht gerechnet. Entweder, du fügſt dich und fährſt
mit uns, oder wir fahren eben allein. Und du kannſt allein bleiben,
wie's beliebt. Für immer.“ Das Messer ſtak. Es tat brennend wohl.

„Spottbühel,“ dachte er, ,ſie ſoll mir's

ſagte Hans Häußenperg. >" Margit lieb fiehen

Zöpfe tief und schaufelte haſtig weiter. Marga tollte in der Halle
umher, lachte und verzog das olivenfarbige Gesichtchen zu einer
mürriſchen Grimasse, als sie den Vater sah.

Häußenperg kraute der Kleinen den ſchwarzen Lockenkopf. , „Du
freuſt dich wohl sehr, daß du fortfährſt?" fragte er.

„O ja," nickte das Kind, „hier pfui, kalt, häßlich.“ Die ſchwarzen
Glasperlenäuglein, unſtet wie die eines Vogels, ſtachen nach ihm.

Reiſefertig kam Margit die Treppe herab. Hinter ihr, beladen
mit Koffern und Reisetaſchen, der Hauswart und ſeine Tochter.
Häußenperg küßte seiner Frau die Hand. Sie zuckte zuſammen in

der Berührung ſeiner Lippen. Ihre wägenden Augen ſchleierten.

„Komm bald nach, und alles iſt wieder gut.“

Er wurzelte in seiner Diele. Nein, sagte sein höflicher Blick.
„Nein !" sprach ſein Mund. Dann geleitete er die Weinende zum
Schlitten. Geklingel ſchrillte, läutete talab, ersſtarb.

Hans Häußenperg ging zu seiner Mutter zurück. In der Halle
lächelten die alten Bilder. Beim Kamin hocéfkte die Theres. Sie
warf Scheite in die Glut, Feuer praſsſelte auf. Sie erhob Jich und
glitt an ihm vorbei. |

„Reserl!“

Sie ſtand mit frohen Augen.

„Mo, was fagſt, jetzt san ma wieder alloi. Mei Mutter, dei
Vater, vu und ich. :
Sie preßte die Hände auf die Bruſt im züngelnden Schein.

„Haſt s Reden verlernt, Dirndl?
„V giffrelu! mi so . « flüſterte ſie ſcheu.

Da war es Häußenperg, als ob aus der Bruſt des Mädchens
heißer Quell bräche. Warmes Strömen war im Raum. , Re-
ſerl...!‘ Sie aber war hinter der duntlen Täfelung der Wand
ſchon verschwunden. |

Im Angesicht der Mutter, an ihrem Schreibtiſch, packte ihn die
Sorge. Dort war die graue Sorge gekauert, wenn Marianne Häu-
ßenperg Tich mit den Zahlen quälte, die heranſchwirrten ~Zgiftige
Pfeile: Schulden.+ Sorge war Zeugin gewesen der Rechenkunſt-
ſtücke im Haushaltungsbuch, der heldiſchen Sparſamteitsabſtriche
im kleinen, indes Gelbenreuth verſchwelgt ward im großen
von einem zahlenfernen, fröhlichen Mann. Nun hotkte Jie breit
im Raum und sah dem Sohne zu. Wie ihm Falten wuchſen auf
der Stirne, wie er das Haar zurückſtrich, die Fäuſte verkrampfte
unter dem Kinn. Wie er aufstand, das Zimmer durchmazß, oichſette,
Papier aus der Lade riß, es vollſchrieb.

Hans Häußenperg rechnete für Spottbühel, zog ſein Haben
zuſammen: Kriegsanleihe, der Mutter Sparkaſſenbuch. + Was

: noch? Monatsgehalt? Da ſetztte er eine



nicht weiter kränken. Und wenn ich hun-

gern muß . .. ich will hungern für Spott-

M ' Häußenperg ſah über den
Klumpen Widersſtand hinweg, der Zorn
gegen ihn ausſtrahlte. Hoch oben im Blau
hackte der „Sturzhahn“ mit dem ſpitzen
Schnabelgegen die goldene Sonne; nahe,
wo in jähem Bogen die Bergſtraße zum
Schloß lief, wob Licht um Spenzer und
Rock der Veith Theres. Sie ſchaufelte
Schnee. Ruhige Anmut lag im ſinnvollen
Bewegenihrer Arme, edle Kraft im Spiel
der Hüften. Die Schaufel in den Schnee
wuchtend, hob Jie die ſchwere weiße Laſt,
ſchleuderte ſie wie Flaum. Und hatte des
Herrn nicht acht.

Häußenpergs ferner Blick taſtete lang-
ſam zu seiner Frau zurück. „Ich bleibe,“
sagte er leiſe, wie entschuldigend, ,das
übrige, bitte, halte wie du magſt.‘

Der rundliche Klumpen in Pelz und
Galoſchen sſtob mit heiſerem Schrei dem
Schlose zu.

Drüben beſchattete die Veith Theres





J ſchmale Null. Seine Titel und Würden
ſchrieb er hin: „Riitmeiſter a. D. im k. k.
Landsturm, Ritter der eiſernen Krone mit
der Kriegsdekoration und den Schwer-
tern, Kämmerer, Herr und Landmann,
Schloßbesitzer." Machte das Gleichheits-
zeichen und maltelächelnd eineneue Null.
Null ... Nullermehl, durchfuhr es ihn.
Meine Nullen reichen kaum auf Brot
aus Kleie. Häußenperg ſchrieb: „SGumme
Mann meiner Frau.“"Malte ein Kreuz
und lachte. Die Sorge lachte gellend mit.
Er addierte ſein Haben aus Kriegsanleihe
und Sparkassenbuch und wußte: Kaum das
trockene Brot. Und ſann: Winter.. .0 j
Grau wurde Mutters Zimmer. Dieletzten
Scheite kohlten im Kamin. Das Öllämp-
chen unter dem holzgeschnitzten Chriſtues
in der Niſche blakte. Finſter ſchatteten
Truhen und Schränke. Stummheit, rat-
los, ungeheuerlich, quoll aus ihnen. Der
lezte Häußenperg blieb muttersſeelen-
allein mit ſeinen Bogen weißen Papiers.
| Die graue Sorge ſchlurſte heran, ſchleu-





die Augen, erkannte den Herrn, senkte
den Kopf mit dem ſchweren Geflecht der Ku

Notwohnung / Radierung von I. Gaber
nsiverlag Wohlgemuth & Lißner, Berlin SW 48

derte Fragezeichen nach ihm. Die bohrten
ſich in ſeinen Schläfen feſt.
 
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