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Heft 22



ſtieben übereilig und wütend hangaufwärts. Der Maler Otto hatte es ein-
mal gegen das Honorar von einem Kilo Butter unternommen, den Ab-
transport mehrerer Jungrinder und eines Rudels Schweine vom oberen
nach dem unteren Lager zu leiten. Das tut man zum Futterwechſel, wenn
eine Alm abgegraſt iſt. Während ich die widerſtrebenden Kälber am Strick
zerrte, droſch der Galthirte Waſtl mit einem Latſchenstock auf ihre Rücken
und ſtieß dazu ermunternde Laute aus. Unser Zug bewegte Jich langſam,
aber dennoch vorwärts. Als der Maler Otto die Schweine aus dem Koben
ließ, verflüchtigten Jie ſich sofort ſtrahlenförmig gegen den Berg. Ich habe
noch nie Schweine freiwillig talabwärts laufen ſehen. Nach Stunden er-
folgloſen Mühens mußte der Maler Fachleute zu Hilfe ziehen: Philomena
und den Oberſennen Hans. Seinen Lohn hatte er Jich verſcherzt.
Bisweilen kommen Fremde vom Kurort auf unsere Alm. Die Herren
Haben weiße runde Knie, magere edelweißbesticktte Waden, Monotels,
Stehkragen mit vorgeſteckter Bauernkrawatte und einen ängstlichen Schritt.
Die Damen tragen Lackſchuhe, deren Stöckel irgendwo am rauhen Pfad
liegen, orientalische Dirndlkleider nach Berliner Schnitt und bunte Körbe
von der Inſel Kapri zum Hamſtern. Hamſtern iſt zwar nicht mehr not-
wendig, aber immer noch beliebt.
wendet dich ein umfangreiches ſtädtiſches
„was haben Sie denn dort in der

„Sagen Sie mal, Bäuerin,
Dirndl mit gelbem Bubikopf an mich,
großen Tonne ?“Ú

„Buttermilch,“ sage ich.

„Wozu verwenden Sie die nu eijentlich ?“"

„No, für d' Säu halt und für d’ Fremden. Möchten S' a Glasl?" fragt
der Doktor freundlich, ſo wie er es vom Sennen Hans gehört hat.

Der Dottor ſteht breitbeinig da in der verwetzten Lederhose, die Pfeife
im Mundwintel und das graugrüne Hütel ſchief über der blonden Haar-
ſträhne. Seine Knie, sein Hals, die sehnigen Arme Jind braun wie aus
dem Backofen, und er beherrſcht die Sprache. Er iſt „echt“ ~ nicht zum
Unterscheiden.

„Junger Mann,“ sagt das Dirndl wohlwollend, „melken Sie mir in
meinen Reiſebecher man lieber kuhwarme Milch!“ und deutet mit ihrer
weißen, gepflegten Hand auf die + Jungpiehherde, die unseren Zaun
umweidet.

„Da müaßts auf die Untere Hütten –~zum Hans, sagt der Doktor, „mir

hamm koa Milch net. Beim beſten Willen, Fräulein, damit können wir
Ihne nit dienen." ;

„So viele Kühe und keine Milch?" sagt sie empört.

„Daſanſcho Sie nixfürungut > die einzige Kuah daherob’n, wenn S'
net kennen, daß dös Kälber ſan !“ Der Doktor iſt mißmutig geworden, weil
ihm das Dirndl Fo lang die Sonne verſtellt.

So haben wir täglich unseren Spaß mit allerlei Menſchen und Tieren.
Bisweilen ſuchen wir die Einſamkeit am luftigen Grat und in den Felſen-
kaminen unserer Hausberge und treiben ernſten Sport. Oder wir ergehen
uns hüben und drüben vom Joch auf der ſteilen Lehne, wo Edelweiß und
Steinbrech blühen.

Die ,„Dreizimmerwohnung“ wird eigentlich nur an Regentagen voll
und ganz ausgenützt. Meiſt wirft es dann gegen Abend Schnee hin. Da
entfacht der Doktor in dem großen gemauerten Stubenofen eine Höllen-
glut, in der wir ſpäter Brot und Kuchen backen. Man iſt richtig zu Hausſe
im Herrgottswinkel und auf der „Kutſche“, wie die gepolſterte Ofenbank
hierzuland heißt. Wenn Meltzeit vorbei iſt, kommen die Nachbarn zum
„Heimgarten“, denn wir warten einen Tabak vom ganz guten auf und
einen Schnaps, desſen „Guſchto“" ich der alte Ägid mit der Zunge noch aus
längſt entleertem Glase holt.

Außer der „Stube“, die jede beſſere Almhütte hat, gibt es zwei Räume
bei uns, den „Gaden“ und den „Kaskasten“. Letzterer dient nebenbei, wie
sein Name besagt, in anderen Jahren als Vorratskammer. Der Käſegeruch
war nicht ganz zu bannen; aber die Schläfer gewöhnten sich daran. Unsere
Küche birgt den großen Käskessel aus Kupfer und allerlei Holzgeräte für
die Milchwirtſchaft. Wir benützen das Kochgeſchirr, die Rieſenſchmarrn-
pfanne mit ihrem Durchmesser von einem halben Meter, das ſehr wichtige
Kässpatzenſieb und die luſtigen bunten Tongefäße. Unser Herdchen weiſt
zwei Ringlöcher auf, und der Rauch ſteigt frei zum Dachgebälk. Wenn Föhn
geht oder starker West, beizt uns der Qualm die Augen, daß wir unter
Tränen lachen.

Mag es noch ao lang regnen, ſchneien und ſtirmen + immer noch hat
sich die Sonne eines Morgens aus letzten Schlechtwetternebeln geschält
und den Schnee in Nichts aufgelöſt. Dann leuchten alle Blumen doppelt
rot, gelb und blau, die Herden ziehen höher gegen das Joch, und wir ſitzen
auf dem Zaun vor der Hütte und freuen uns, daß noch Bergsommer iſt.













Das umworbene Dirndl / Nach einer künſtleriſchen Aufnahme von Lilly v. Weech
 
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